Die Idee: Kunden bezahlen einen Kaffee extra; er wird später als „Aufgeschobener“ an Bedürftige ausgeschenkt. Eine kleine Geste, die eine große Hilfe sein kann – zwei Gastronomen in Freiburg und Schwäbisch Gmünd berichten über ihre Erfahrungen.

Freiburg/Schwäbisch Gmünd - Helfen ist gut, tut gut und kann so einfach sein. Zum Beispiel jemandem einen Kaffee auszugeben, der knapp bei Kasse ist. Und es muss niemand sein, den man kennt. Denn neuerdings gibt es in einigen Cafés eine besondere Sorte des braunen Genussmittels: „Geschobener Kaffee“. Das ist ein normaler Kaffee, aber er entsteht so: Der großzügige Mensch bestellt einen Kaffee für sich zum Trinken und zahlt nicht nur diesen, sondern auch einen „Geschobenen“. Den trinkt er oder sie nicht, der wird erst ausgegeben, wenn ein anderer Gast fragt, ob es einen „Geschobenen“ gibt. Der ist dann umsonst.

 

Manche Lokale bieten ganze Gerichte zur „Schiebung“ an

Eine nette Geste oder sogar mehr, denn es muss nicht bei einem Kaffee bleiben, es gibt mittlerweile schon Lokale, die Schinkenbrote oder ganze Tellergerichte „schieben“ lassen. Auffällig häufig ist die neue Kaffeesorte in Universitätsstädten vertreten, da darf auch Freiburg nicht fehlen: „Divina’s Café“ im grün-rot-bürgerlichen Wohnquartier Wiehre hat den geschobenen Kaffee auf der Karte. „Ich wollte eigentlich eine Keramikwerkstatt aufmachen“, sagt Ludevina Milhanas mit einem Schmunzeln. Es kam anders. Die 1967 in Titisee-Neustadt im Schwarzwald geborene Portugiesin, Tochter von Gastarbeitern, hatte jahrelang Kachelöfen gebaut und dann vor drei Jahren Wohnort und Metier gewechselt. Ihr Café in Freiburg hat sie in einem herrlichen Jugendstilhaus eingerichtet. Eine Mischung aus Wohnzimmer und Galerie, mit Bildern ortsansässiger Künstler. Es gibt Suppen, Quiche, Kuchen, das Angebot ist stark portugiesisch geprägt. Auch die unvergleichlichen Blätterteigküchle (Pastéis de Nata) sind im Angebot.

Ludevina Milhanas ist von der Idee des „suspended coffee“ begeistert. Foto: Siebold
„Ich fand die Idee gut“, sagt die resolute Köchin und Bedienung in einer Person. Ludevina Milhanas hat vom „Suspended Coffee“ im Internet erfahren und gleich damit angefangen. Sie hat Flyer und Plakate drucken lassen und sie auch zur Heilsarmee und der „Pflasterstub“, einer Anlaufstelle der Caritas, gebracht. Die Stammkunden haben sofort mit den Spenden begonnen, die Wirtin hat stets ein ganzes Bündel von Bons vorrätig, nicht nur für Kaffee, auch für Kuchen und Suppen. „Und es gibt hier ja auch hier nicht nur die gut Betuchten“, sagt sie. Schüchtern noch, aber doch zunehmend häufiger trauen sich sogenannte Bedürftige, an der Theke nach einem „Geschobenen“ zu fragen. „Das ist eine Überwindung“, betont Ludevina Milhanas. Deswegen kommt es ihr gar nicht in den Sinn, nachzufragen, ob und wie bedürftig genau jemand ist. „Nein“, sie schüttelt energisch den Kopf, einen Hartz-Vier-Bescheid würde sie niemals von jemanden verlangen.

Die Armut kommt oft verschämt und versteckt daher

Das fiele auch Rolf Irtenkauf nicht ein, der auf der entgegengesetzten Seite des Landes, in Straßdorf bei Schwäbisch Gmünd, sein „Kaffeehaus“ betreibt. „Der spinnt doch“, hätten die Straßdorfer gemunkelt, als er anfing den geschobenen Kaffee zu bewerben. Auch er stieß im Internet auf die Idee und fand sie auf Anhieb „fantastisch“. Inzwischen ist kein Befremden mehr spürbar. Das liegt nicht zuletzt daran, dass der 54-jährige Kaffeehausbetreiber auch die Marotten seiner Gäste geduldig erträgt. Im Innern seines Lokals hat er zum Beispiel einen Sichtschutz angebracht, der ängstliche Einheimische der Gefahr enthebt, von Vorübergehenden am helllichten Tag beim Kaffeetrinken – also Faulenzen – gesehen zu werden. So ist das in Straßdorf, und eine weitere Eigenart ist es, dass sich Armut nicht in Lumpen unter Brücken zeigt, sondern verschämt und versteckt daherkommt. Zwei ältere Damen gehören inzwischen zu Rolf Irtenkaufs Gästen, die froh sind, einen der Kaffees zu bekommen, die auf einer Kreidetafel auf dem Tresen angeschrieben sind. „Sie sitzen vor einer Tasse Espresso eine halbe Stunde, beobachten, lesen Zeitung, ganz selbstverständlich“, berichtet der Wirt erfreut.

Rolf Irtenkauf wurde anfangs belächelt, doch jetzt trauen sich immer mehr Menschen in sein Café. Foto: Bäßler
Wie es sich anfühlt, schwierige Pfade durchs Leben gehen zu müssen, das weiß der Krankenpfleger selber. Er ist Vater einer geistig behinderten Tochter, die eines Tages anfing, bei ihm im Lokal mitzuarbeiten. Das klappte wunderbar, mittlerweile beschäftigt der Wirt, der auch ein Kleinkunstrestaurant betreibt, drei Behinderte.

So ergab es sich fast selbstverständlich, dass heute auch manche Behindertengruppe im „Kaffeehaus“ einkehrt, indem der Chef abends selber den Kochlöffel schwingt. Zum Stammpublikum gehört eine Gruppe contergangeschädigter Menschen. „Sie sind in anderen Restaurants nicht gerne gesehen, weil sie mit den Beinen essen“, sagt Rolf Irtenkauf. Ihm ist das egal. Vertrauen schöpfen, Stress abbauen, das wünscht er sich für seine Gäste, wenn sie bei ihm sind.

Auch abends, wenn es vor der Kleinkunstbühne hoch her geht, stellt der Wirkt keine Zwischenrechnungen aus. Wer das Lokal verlässt, egal wie lange er da war, sagt, was er verzehrt hat und bekommt den Preis genannt. „Wer mich bescheißen will, soll es halt machen“, sagt der Wirt. „Ich glaube aber nicht, dass das jemand macht.“

Vorne im Kaffeehaus mit den 60 Sitzplätzen, das einmal Showroom eines Autohauses war, stehen Bücher in Regalen. Sie sind auch dazu da, leihweise mitgenommen zu werden. Rolf Irtenkauf ist auf diese Weise auch noch eine Art inoffizieller, profitabgewandter Bibliothekar Straßdorfs. Dazu noch einer, der mit seiner Geberfreudigkeit nur gute Erfahrungen macht. Bis heute, sagt Gastronom Irtenkauf, sei noch jedes Buch früher oder später wieder ins Regal zurückgekommen.

Eine Idee, die in Neapel geboren wurde

Die Idee des „Aufgeschobenen“ ist manchmal mehr als eine nette Geste, denn es muss nicht bei einem Kaffee bleiben. Mittlerweile gibt es Lokale, die Schinkenbrote oder ganze Tellergerichte „schieben“ lassen. Organisiert wird das über Bons, Strichlisten oder eine andere Methode, die Ein- und Ausgang der „Schieber“-Ware registriert. Entstanden ist diese Methode vor langer Zeit, angeblich nach dem zweiten Weltkrieg in Neapel, wo Kaffee bekanntlich Grundnahrungsmittel und ein „Caffè sospeso“ zuweilen heute noch üblich ist. Als „Suspended Coffee“ wandert er jetzt durch die Welt. Vor einem Jahr hat eine Abiturientin im Erzgebirge ihn in Facebook entdeckt und nach Deutschland importiert. Zwischen Kiel und ‚Freiburg sind mittlerweile um die 50 Cafés der neuen Bewegung beigetreten.