Pflichtmitgliedschaft, Intransparenz, zu hohe Beiträge – die IHK steht mächtig in der Kritik. Auch der Ludwigsburger Gastronom Aristofanis Chatzidis hofft auf einen radikalen Neuanfang und kandidiert daher bei der aktuell laufenden IHK-Wahl.

Ludwigsburg – - Pflichtmitgliedschaft, Intransparenz, falsche Lobbyarbeit – zahlreiche Unternehmer in der Region haben sich in einem losen Verbund zusammengeschlossen, um gegen die Arbeit der IHK zu protestieren. Auch Aristofanis Chatzidis, einer der zwei Chefs des Brückenhauses in Ludwigsburg, hat sich der sogenannten Kaktusgruppe angeschlossen. Er kandidiert bei der derzeit laufenden IHK-Wahl und will die Kammer radikal verändern.
Herr Chatzidis, Sie sind scharfer Kritiker der IHK, kandidieren jetzt aber bei der IHK-Wahl in der Region Stuttgart. Warum?
Ich bin IHK-Mitglied, ob ich will oder nicht. Dann will ich aber auch, dass die Kammer mich und meine Interessen vertritt. Das tut sie derzeit nicht, und das will ich ändern.
Was stört Sie an der IHK?
Das ist nicht mein Verband. Ich bin Gastronom, und wenn es überhaupt einen Verband gibt, der meine Interessen vertritt, dann ist das der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband Dehoga. Dort bin ich ebenfalls Mitglied, werde aber dazu nicht gezwungen. Die IHK streift meine Interessen nur am Rand.
Warum?
Das System, Unternehmer aus allen Branchen in eine Kammer zu zwingen, hat sich überlebt. Man kann Global Player, unglaublich reiche Unternehmen, nicht mit uns in einen Topf werfen. Die Großen können für sich Lobbyarbeit betreiben, können direkt in die IHK hineinwirken, wir haben diese Möglichkeit gar nicht. Das erste Mal aufmerksam geworden auf die IHK bin ich, als ich noch gar nicht selbstständig war. Damals hat die Kammer massiv Werbung für Stuttgart 21 gemacht, weil bestimmte Kreise dieses Projekt unbedingt realisieren wollten. Viele Mitglieder fanden das nicht gut. Auch meiner Meinung nach hat die IHK da ihre eigenen Kompetenzen weit überschritten.
Ist das nicht einfach Lobbyarbeit – und damit die ureigenste Aufgabe der IHK?
Aber für wen? Die Zwangsmitglieder der IHK vertreten ganz unterschiedliche Positionen. Ich sehe Stuttgart 21 zum Beispiel eher kritisch. Außerdem bin ich nicht der Meinung, dass es zur Aufgabe der Kammer gehört, sich derart in Angelegenheiten der Stadt, des Landes oder des Bundes einzumischen. Und es gibt mehrere andere solche Beispiele.
Welche?
Die TTIP-Verhandlungen etwa. Nach allem, was man liest, beurteilt die IHK das Freihandelsabkommen positiv. Aber die Bevölkerung sieht die Verhandlungen und die Art und Weise, wie sie geführt werden, mit großer Sorge. Ich auch. Deshalb ärgert mich das. Es sind auch meine Beiträge, mit der die IHK ihre Lobbyarbeit finanziert – gegen meine Interessen. Ich würde mir wünschen, dass die Kammer die gesamte Bevölkerung mitnimmt, im Sinne einer modernen Wirtschaft. Es kann nicht immer nur darum gehen, die Interessen von Arbeitgebern zu vertreten. Ich habe auch Angestellte und will, dass es ihnen gut geht.
Sie sind Teil der Kaktusgruppe, einem Verbund von Unternehmern, der gegen die Pflichtmitgliedschaft protestiert. Ist das auch Ihr Hauptantrieb zur Kandidatur?
Es ist jedenfalls ein wichtiger Aspekt. Ich habe nicht viel von der IHK. Bevor ich mich selbstständig gemacht habe, war ich bei einer Beratung – das war okay, hat mich aber nicht wirklich weitergebracht. Außerdem bietet die Kammer Fortbildungen an – die bekomme ich aber auch beim Dehoga.
Aber der IHK-Beitrag dürfte für Sie leicht zu stemmen sein, oder?
Darum geht es mir nicht. Spontan weiß ich gar nicht, wie viel ich bezahle. Es ist einfach nicht so toll, irgendwo Mitglied sein zu müssen, wo man nicht Mitglied sein will. Ich weiß nicht, ob die Mehrzahl der Unternehmer das genauso sieht, aber es gibt viele Kritiker, auch in meiner Branche. Lange Jahre hat die IHK einfach so funktioniert, wie sie funktioniert hat. Jetzt, dank der Kaktusbewegung, ist immerhin etwas Schwung reingekommen.
Die Beteiligung bei der letzten IHK-Wahl vor vier Jahren lag unter zehn Prozent.
Erschreckend wenig – das zeigt, dass etwas schiefläuft, weil viele Unternehmer sich gar nicht für die IHK interessieren.
Wie sehen Sie Ihre Chancen bei der Wahl?
Das kann ich kaum beurteilen. Aber ich war immer schon gut vernetzt in der Branche.
Neben Ihnen kandidieren allein im Bezirk Ludwigsburg 20 Anhänger der Kaktusbewegung. Was glauben Sie, erreichen zu können?
Ich würde mich für eine Umstrukturierung einsetzen. Man muss mit den Mitgliedern der verschiedenen Branchen sprechen und dann schauen, wie ein tragfähiges Konzept aussehen kann. Ein Konzept, hinter dem die Mitglieder wirklich stehen können.
Das klingt nicht gerade konkret.
Ich habe kein fertiges Konzept. Mir und den anderen geht es auch darum, dass die IHK transparenter wird, demokratischer. Derzeit ist es so, dass die Vollversammlung nach der Wahl durch weitere Mitglieder ergänzt wird, die den Sprung bei der Wahl nicht geschafft haben. Das entspricht nicht meinem Verständnis von Demokratie.
Auf Ihrer Internetseite haben Sie sich für eine Kürzung der Beiträge ausgesprochen.
Fakt ist: Die IHK ist nicht arm, ganz und gar nicht. Ihr stünde es gut zu Gesicht, sparsam mit Beiträgen umzugehen. Es ist nicht die Aufgabe der IHK, Vermögen anzuhäufen. Auch dass niemand erfährt, was die Führungsriege verdient, halte ich für falsch. Für eine Kammer ist das unangebracht.
Wenn man Sie so hört: Würden Sie die IHK nicht am liebsten abschaffen?
Das kann ich aus heutiger Perspektive schwer sagen. Ich denke, dass Kammern schon wichtig sind. Aber die IHK muss sich dringend verändern, attraktiv werden. Sie darf sich nicht mehr darauf ausruhen, dass die Mitglieder sowieso nicht weglaufen können. Wenn wir dann irgendwann so weit sind, dass die Wahlbeteiligung auf 50 Prozent steigt – dann sind wir auf einem guten Weg.