Andra Darzins und Sabine Sauer spielen in der Haigstkirche Kammermusik. Sie zeigen was für ein wunderbares Instrument die Viola sein kann.

Stuttgart-Degerloch - Sie ist das Aschenputtel unter den Streichinstrumenten, ein Stiefkind in der Mitten. Böse Musiker erzählen besonders gern Bratscher-Witze. Was für ein wunderbares Instrument die Viola in Wahrheit ist, ließ am Sonntag beim letzten Konzert der Kammermusiksaison in der Haigstkirche die Stuttgarter Professorin Andra Darzins hören und erleben, begleitet von Sabine Sauer am Flügel. Zu den ersten Komponisten, die etwas für die Emanzipation der Bratsche vom Begleiter zum Soloinstrument taten, gehörte Robert Schumann mit seinen späten „Märchenbildern“ für Viola und Klavier. Das sind vier Charakterstücke, deren atmosphärische Dichte und Vielfalt mit ihren vielen romantischen Rubati das Duo dann doch bald fein abgestimmt herauszauberte.

 

Für seine Frau am Klavier und für seine Professoren-Kollegin von der Musikhochschule hat der Orgelvirtuose Jürgen Essl unter dem Titel „Blue Limit“ eine Sonatine für Viola und Klavier komponiert, deren Uraufführung das Publikum beiwohnte – ein expressives, aber auch musikantisches Stück in drei klassischen Sätzen. Musikantisch meint, dass der 1961 geborene Essl sich zwar der Moderne verpflichtet fühlt, deshalb aber keineswegs klarer rhythmischer Struktur, einer ausgeprägten Melodik und gewissem Wohlklang abschwört, der bei allen teils scharf schneidenden Dissonanzen doch sehr zugänglich bleibt. Das ist der emotionale Teil der Musik.

Angriff und Rückzug mit großer dramatischer Kontur

Da sind Gegensätze zu hören von Ruhe und Bewegung, von vielstimmiger Fülle und filigraner Linie, von einsamem Ton und verbindendem Klang, von Auseinander und Zusammen, Ausbruch und Verklingen, ja Angriff und Rückzug mit großer dramatischer Kontur. Eine volksliedhafte Schlichtheit scheint hier und da ebenso anzuklingen wie ganz dezent Harmonien und Rhythmen von Jazz oder Rock’n’Roll. Selbstverständlich schreibt Essl auch für die Instrumente und ihre Spielerinnen, sogar virtuose Passagen nach Art der klassischen Kadenz mit allerlei technischen Kabinettstückchen. Man merkte, wie intensiv Andra Darzins und Sabine Sauer ihr Geschenk zum Strahlen bringen wollten.

Darzins stammt aus Australien, wurde in Adelaide und Berlin ausgebildet, lebt und lehrt in Schwaben, hat aber starke, lebendige lettische Wurzeln. Deshalb lag ihr an der 1985 komponierten „Kleinen Sommermusik“ von Peteris Vasks, dessen von Natur und Volkskultur inspirierte Suite wie ein Vorgriff auf die „Singende Revolution“ wirkt, in der Lettland 1991 seine Freiheit und Unabhängigkeit errang. Sechs tonal gebundene Miniaturen sind das.

„Das Lieblingsstück aller Bratschisten“

Ein Frauen-Duo dieser Besetzung kann ein Viola-Standardwerk überhaupt nicht auslassen, mit dem Rebecca Clarke 1919 Furore machte für die Frauen – und für die Bratsche, ihr Instrument: die Sonata, mit der sie als Komponistin anonym einen wichtigen Wettbewerb gewann, für Andra Darzins „das Lieblingsstück aller Bratschisten“. Clarke war Engländerin mit deutscher Mutter, zog auf der Flucht vor ihrem fürchterlichen Vater in die Vereinigten Staaten, komponierte aber „französisch“, im kongenialen Stil eines Spät-Impressionismus Claude Debussys. Das grandiose Stück hat alles, was ganz große Musik braucht: Struktur, Klang, Kraft, Melodik, Motorik und höchsten virtuosen Anspruch. Die beiden Musikerinnen holten das alles ganz fulminant und eindrücklich heraus.

Sie wurden gefeiert und bedankten sich dafür mit einer Romanze von Max Reger. Beim Ständerling klang die Saison aus.