Sicherheitsbehörden tun sich schwer, mit Cybercrime und digital vernetzten Terroristen Schritt zu halten. Das Bundeskriminalamt dringt auf vereinheitlichte Datenpools und rechtliche Standards.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Ingelheim - Falls die Herrschaften vom IS Amüsement nicht pauschal für Sünde halten, könnten sie sich über den deutschen Föderalismus amüsieren. So wie er im Moment aufgestellt ist, erleichtert er ihnen das Geschäft. Es gibt inzwischen mehr als 700 Islamisten in Deutschland, die als potenzielle Terroristen gelten („Gefährder“). Für sie ist das Risiko, von der Polizei überwacht zu werden, zum Beispiel in Berlin wesentlich geringer als in Bayern. Der Freistaat nutzt elektronische Fußfesseln und Staatstrojaner, um Gefährder unter Kontrolle zu halten. Auch in Baden-Württemberg wird das künftig möglich sein – aber längst nicht überall in der Republik.

 

Holger Münch, Chef des Bundeskriminalamts (BKA), hält das für einen unhaltbaren Zustand. „Genauso wenig wie durch die Wahl des Wohnorts darf es Straftätern möglich sein, durch die Wahl ihrer Kommunikationsmittel zu entscheiden, ob sie sich polizeilicher Verfolgung aussetzen oder nicht“, sagte er bei der Herbsttagung seiner Behörde in Ingelheim. Die Innenminister haben zwar beschlossen, die rechtlichen Normen zu vereinheitlichen – etwa durch ein Muster-Polizeigesetz, an dem die Bundesländer ihre Vorschriften nach und nach anpassen. Münch befürchtet aber eine „Endlosschleife“ an Diskussionen.

Personelle Grenzen

Neben juristischen Fußfesseln gibt es auch technische und personelle. Bei der Überwachung potenzieller Terroristen gerate die Polizei „zunehmend an personelle Grenzen“, beklagt Gerhard Klotter, Landespolizeipräsident in Baden-Württemberg. Um einen einzigen Gefährder lückenlos unter Kontrolle zu halten, würden bisweilen 60 bis 70 Beamte benötigt. Allein in Baden-Württemberg gibt es solche Gefährder „im hohen zweistelligen Bereich“. Akute Engpässe bei der Überwachung ließen sich nur durch länderübergreifende Zusammenarbeit vermeiden. Dazu seien aber gleiche rechtliche Standards nötig.

Was die Ausstattung der Polizei mit digitaler Technik angeht, so vergleicht sie Münch mit „einer gepflegten Gebrauchtwagenflotte“. Polizisten benutzten in Einsätzen auch Whatsapp und ähnliche Hilfsmittel, um sich rasch zu verständigen. Es bedürfe dringend eines eigenen Messengerdienstes, damit jeder Polizist vor Ort mit seinem Smartphone, Autonummern, Fahndungsfotos oder Ausweise abgleichen kann. Für das BKA soll ein solches System 2018 verfügbar sein – fünf Jahre nachdem der Bedarf erkannt wurde. Der Fall zeigt für Münch die „Asynchronität der Möglichkeiten von Straftätern und Polizei“.

Schwieriger Datenaustausch

Noch schwieriger als innerhalb Deutschlands ist der Datenaustausch über nationale Grenzen hinweg. Bei sämtlichen Terroranschlägen in Europa hätten „irgendwo“ Informationen über die Tatverdächtigen vorgelegen, „aber sie waren nicht verfügbar“, so Will van Gemert von Europol. Problematischer sei der Abgleich von Informationen zwischen Nachrichtendiensten und Polizeibehörden. Das Vorwissen über Attentäter werde „noch nicht optimal genutzt“. BKA-Chef Münch will, dass im Datennetz der Schengen-Staaten auch Fingerabdrücke und andere biometrische Merkmale gespeichert werden. Ein hoher Anteil der dort registrierten Verdächtigen werde unter einem anderen Namen gesucht als er in Deutschland vermerkt sei.

Auch die Justiz ist nur mangelhaft für das digitale Zeitalter gerüstet. Ermittler lernten noch heute in ihrer Ausbildung, wie man einen Fußabdruck sichert, nicht aber eine Datenspur, beklagt Oberstaatsanwalt Andreas May von der Zentralstelle Internetkriminalität. „Cybercrime spielt in der Aus- und Fortbildung nahezu keine Rolle.“ May hält auch die rechtlichen Möglichkeiten für unzureichend. Mit Blick auf Vorratsdatenspeicherung, Onlinedurchsuchung und ähnliche Verfahren sagt er: „Es hat zehn Jahre gedauert, um Dinge einzusetzen, die wir vor zehn Jahren schon benötigt hätten.“