Erstmals wird eine Frau Frankreichs Hauptstadt regieren. Die volksnahe Sozialistin Anne Hidalgo und die feinsinnige Konservative Nathalie Kosciusko-Morizet liefern einander ein Duell auf Augenhöhe – mit landesweiten politischen Folgen.

Paris - Hätte ein Drehbuchautor das alles ersonnen, ein Regisseur es in Szene gesetzt, der Beifall des Publikums wäre ihnen gewiss. Der Kampf um Paris könnte packender nicht sein. Zwei Frauen treten gegeneinander an, beide charakterstark, ehrgeizig, schön – zwei Amazonen, die Bürgermeisterin werden wollen und auch das Zeug dazu haben.

 

Die eine, Nathalie Kosciusko-Morizet, 40, ehemals Umweltministerin und Wahlkampfsprecherin des früheren französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy, geht bei den Kommunalwahlen am 23. und 30. März für die rechtsbürgerliche UMP an den Start. Die andere, Anne Hidalgo, 54, seit 13 Jahren Stellvertreterin des scheidenden Stadtoberhaupts Bertrand Delanoë, tritt für die Sozialisten an. Vor laufenden Fernsehkameras haben die zwei kürzlich Kostproben ihres Könnens gegeben. 

Anne Hidalgo ist bisher Stellvertreterin im Rathaus von Paris. Foto: AFP
Das Lächeln so gelöst, als seien sie in einem japanischen Kloster zur Zen-Meditation erschienen, deckten sie einander in freundlichem Ton mit Gemeinheiten ein. Wäre da nicht auch dieser lauernde Blick gewesen, der Zuschauer hätte den Sender verdächtigt, versehentlich den falschen Ton einzuspielen. „Wenn man eine Lüge hundertmal wiederholt, wird sie leider nicht wahr“, ließ in der Attitüde freundschaftlicher Anteilnahme die UMP-Kandidatin ihr Gegenüber wissen. Die Replik auf die Behauptung der Sozialistin war das gewesen, Sarkozy habe aus Paris 1500 Polizisten abgezogen und dem Verbrechen Tür und Tor geöffnet. Im Gegenzug erteilte Hidalgo großzügig Gratisnachhilfe in Anthropologie. „Es gibt Leute, die theoretisieren, und Leute, die handeln“, eröffnete die langjährige Vizebürgermeisterin der mit wenig kommunalpolitischer Praxis antretenden Ex-Ministerin.

Eine Entscheidung mit Strahlkraft für das Land

Und als wäre der Kampf um die Macht in Paris nicht schon spannend genug, kommt ihm auch noch landesweite Bedeutung zu. Für die Sozialisten, die in François Hollande den unbeliebtesten Staatschef der

Nathalie Kosciusko-Morizet, kurz NKM genannt, hat wenig kommunalpolitische Erfahrung. Foto: AFP
Fünften Republik stellen, heißt es, das ihnen vielerorts drohende Wahldebakel mit einem Sieg in der Hauptstadt wettmachen. Die Opposition sieht in der Eroberung von Paris ein Fanal für die Rückkehr an die Macht im ganzen Land. Und für die Kandidatinnen geht es um die ganz große politische Karriere. Jacques Chirac hat gezeigt, was möglich ist. Das Pariser Rathaus war ihm Zwischenstation auf dem Weg zum Élysée-Palast.

Doch es gibt kein Drehbuch, keine Regieanweisungen. Das Kräftemessen ist krude Wirklichkeit, sein Ausgang offen. Gewiss, es gibt Umfragen. Meinungsforscher haben der Sozialistin für die Stichwahl 52,5 bis 54 Prozent der Stimmen prophezeit und damit den Sieg. Dieselben Meinungsforscher haben aber auch darauf verwiesen, dass sich die Verdrossenheit linker Wähler über den in der Krise hilflos agierenden, zuletzt auf unternehmerfreundlichen Kurs eingeschwenkten Staatschef in massiver Stimmenthaltung niederschlagen und Hidalgo den Sieg kosten könnte.

Ex-Premier Juppé steht der konservativen Kandidatin bei

Und so kämpfen die Kandidatinnen um jede Stimme. Nathalie Kosciusko-Morizet, kurz NKM genannt, empfiehlt sich an diesem Tag in einem Café des von Immigranten, Künstlern und Touristen geprägten 18. Arrondissements. Charisma, Empfindsamkeit und Intelligenz sagt man ihr nach – zu Recht, wie sich zeigt. Ein feinsinniges Lächeln andeutend,  schildert sie in wohlgesetzten Worten die Strapazen der unter verstopften Straßen und teurem Wohnraum leidenden Pariser Bürger und verspricht Abhilfe: „Ich werde aus Paris wieder eine Stadt machen, die ihre Bewohner nicht verschleißt, sondern ihnen neue Lebenskraft gibt.“ „Was für eine schöne, charmante Person“, flüstert einer im Publikum.

Kosciusko-Morizet ist nicht allein gekommen. Alain Juppé, Ex-Premier, Bürgermeister von Bordeaux und laut einer aktuellen Umfrage Frankreichs beliebtestes Stadtoberhaupt, steht der Parteifreundin bei. Der alte Kämpe streicht die nationale Dimension der Wahl heraus. Sie sei eine Gelegenheit, Hollande einen Denkzettel zu erteilen, der weder Haushaltsdefizit noch Arbeitslosigkeit wie versprochen gesenkt habe, sagt Juppé.

Es fehlt der Ex-Ministerin an Volksnähe

Zu Tage treten in dem Café am Montmartre freilich auch die Grenzen der Kandidatin. „Brillante Intelligenz, brillante Erscheinung“, attestiert die Rentnerin Yolande Delobbe der im schokoladenbraunen Hosenanzug erschienenen Konservativen, fügt aber einschränkend hinzu: „Um Bürgermeisterin zu werden, reicht das nicht, Volksnähe braucht es schon auch.“

Die Elitehochschulabsolventin NKM hat sie nicht. Das Flair einer Aristokratin umgibt sie. Als sie später lächelnd von Ladentür zu Ladentür geht, Händler, Kunden und Passanten nach Wünschen und Nöten fragt, gleicht sie einer Schlossherrin, die Huldigungen entgegennimmt. „Sie ist keine von uns“, meint der 53-jährige Sèrge, der in der Comic-Buchhandlung Temps Libre die Geschäfte führt. „Sie gehört zu denen ganz da oben.“

NKM bekommt das nicht mehr mit. Die Tür ist bereits hinter ihr ins Schloss gefallen. Sie dürfte ohnehin wissen, dass es ihr an Bürgernähe mangelt. Sollte sich das bei den Kommunalwahlen als entscheidendes

Die konservative Kandiatin Nathalie Kosciusko-Morizet hält zu viel Distanz zu den Bürgern, sagen ihre Kritiker. Foto: AFP
Handicap erweisen, mag sich die Politikerin damit trösten, dass das Flair des Besonderen, das sie umgibt, sie womöglich für besondere Aufgaben prädestiniert. Mancher NKM-Fan sieht die Tochter einer seit vier Generationen politisch engagierten Familie schon als erste Staatspräsidentin Frankreichs in den Élysée-Palast einziehen.

Eine, die die Bürger jederzeit um Rat bitten können

Hidalgo, die ein paar Straßenecken weiter im Theater Divan du Monde um Stimmen wirbt, ist eine aus dem Volk. Die in Lyon aufgewachsene Tochter  andalusischer Einwanderer galt lange Zeit als schüchtern. Als Arbeitsinspektorin hat sie dann zupacken gelernt, als stellvertretende Bürgermeisterin Einblick in die Alltagsnöte der Pariser gewonnen. Und selbst wenn sie nun auf High Heels über die Bühne stolziert, die Gesten dank der Tipps eines Schauspiellehrers gewandter geworden sind: Die Frau, die da zwischen schmiedeeisernen Rosetten und rotem Samt grüne Boulevards verspricht und ein neues Altersheim, scheint noch immer die nette Nachbarin von nebenan, die man jederzeit um Rat und Hilfe bitten kann. „Anne Hidalgo ist weniger bekannt als Nathalie Kosciusko-Morizet, aber wenn man sie kennenlernt, löst sie positivere Reaktionen aus als jene“, sagt Frédéric Dabi, Leiter des Meinungsforschungsinstituts IFOP.

Auch Hidalgo hat Verstärkung geholt, was in ihrem Fall nicht leicht ist. Hollande, der es nicht einmal mehr auf 20 Prozent Zustimmung bringt, taugt nicht zum Fürsprecher. Für Regierungschef Jean-Marc Ayrault, die

Die Sozialistin Anne Hidalgo hat als Arbeitsinspektorin zupacken gelernt. Foto: AFP
Ministerinnen und Minister gilt das Gleiche. Also heißt es Ehemalige aufbieten, die für vermeintlich bessere Zeiten stehen. Der frühere Premier Lionel Jospin ist herbeigeeilt. Der redliche Intellektuelle mit dem schlohweißen Haar, der 2002 in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen dem damaligen Front-National-Chef Jean-Marie Le Pen unterlag und ausschied, ergreift nicht selbst das Wort. Die schlichte Anwesenheit des Altvorderen soll für die Seriosität der Kandidatin bürgen.

Es fehlt an Zukunftsvisionen

Eines sucht man im Arsenal der Rivalinnen vergeblich: Zukunftsvisionen. Dabei hätte Paris sie bitter nötig. Wohnraum ist in der Stadt ein Luxus geworden, den sich viele dort arbeitende Menschen nicht mehr leisten können. „Paris ist zu einem Reservat für verwöhnte Kinder verkommen, ergänzt um eine Kulissenstadt für Leute, die sich ausschließlich für die Vergangenheit interessieren, die Touristen.“ Der Soziologe und Schriftsteller Philippe Meyer hat diesen Befund Anfang des Jahres erhoben.

Das 18. Arrondissement, das die Wahlkämpferinnen aufgesucht haben, ist geradezu ein Musterbeispiel für die von Meyer angeprangerte Fehlentwicklung. Als schräges, buntes Viertel hat es die dort lebende Rentnerin Yolande Delobbe erlebt. Fremde hätten es nach Einbruch der Dunkelheit gemieden, erzählt die 72-Jährige. Ihre Nachbarn seien verarmte Künstler, Prostituierte und Einwanderer gewesen. Sie selbst habe sich als Verkäuferin von Wandteppichen durchgeschlagen. Tagsüber hätten sich die Touristen hinzugesellt, die Straßenzüge zwischen Sacré Cœur und Moulin Rouge erkundet.

Wo die Spekulanten am Werk sind

Die Touristen kommen noch immer. So mancher dürfte ein Foto Delobbes mit nach Hause genommen haben. Das Haar hennarot, die Lippen karminrot, den Pullover feuerrot, passt sie vortrefflich in dieses farbenfrohe Viertel oder besser: in dieses ehemals farbenfrohe Viertel. Denn auch hier sind die Spekulanten am Werk. Sie renovieren alte Absteigen, bieten sie Betuchten als prestigeträchtige Luxusapartments an. Blassgelb, elfenbeinfarben oder blütenweiß leuchten frisch verputzte Fassaden in der Frühlingssonne. Zu Souvenir-, Sex- und Sushi-Shops haben sich Feinschmeckerläden gesellt. Hier hat eine Käsehandlung aufgemacht, da ein Meeresfrüchtegeschäft, dort eine Filiale des Chocolatiers Jeff De Bruges. Meyer hat die Stadtplaner aufgefordert, dem Trend entgegenzutreten, Alternativen zu entwickeln. Der Ruf des 66-Jährigen ist ungehört verhallt. Die Kandidatinnen fürs Bürgermeisteramt bleiben sie auf alle Fälle schuldig.

„Hidalgo liefert den Parisern Accessoires“, pflegen Gefolgsleute Kosciusko-Morizets zu spotten, „hier einen Kinderkrippe, da eine Fußgängerzone, dort eine Straßenbahnlinie.“ „NKM liefert dem Wähler überhaupt nichts Konkretes, von Schmähungen des Staatschefs einmal abgesehen“, entgegnen die Anhänger der Sozialistin vollmundig. In einem sind sich beide Seiten allerdings erstaunlich einig. Die Kandidatinnen liefern einander ein Duell, wie es Frankreichs bisher ausschließlich von Männern regierte Hauptstadt noch nicht erlebt hat.