Auf Manitous Insel geben kanadische Ureinwohner Einblicke in ihre Kultur. Etwa in ein besonderes spirituelles Reinigungsritual.

Manitoulin - Es ist noch dunkel, als Steve „Red Sky“ das Ufer des Huron-Sees erreicht, um dort mit den ersten Sonnenstrahlen sein „Smudging-Ritual“ abzuhalten. Mit einem Streichholz entzündet er Kräuter in einer Perlmuschel. Die Mischung aus wildem Salbei, Tabak, Süßgras und Zeder glimmt kurz auf. Mit andächtigen Bewegungen schöpft der drahtige Mann mit den samtschwarzen Haaren den aufsteigenden Rauch mit seinen Handflächen und fährt sich über Kopf, Augen, Mund und zuletzt über seine Fußsohlen. Smudging ist ein Reinigungsritual, das ihn von dunklen Mächten befreien und ihn für den Tag vorbereiten soll. Sein stilles Gebet schließt er mit einem „Mii’Gwetch“, einem Danke an den großen Geist, der ihn zurück nach Manitoulin Island führte, um die Traditionen seines Volkes zu bewahren.

 

Die im Nordwesten der kanadischen Provinz Ontario gelegene Insel ist für die Ureinwohner von besonderer Bedeutung. Einst hat hier der Große Geist Manitou die vier Elemente Feuer, Erde, Wasser und Wind geformt. Deshalb gaben die Ureinwohner der Insel den Namen Manitoulin, was so viel wie „Gottes Insel“ bedeutet. Steve ist 36 und zählt zum Stamm der Ojibwe aus Sheshegwaning. Er gehört zu einer neuen Generation von First Nations, wie sich die kanadischen Ureinwohner selbst nennen.

Vier Nächte meditierend am Lagerfeuer

Auf Manitoulin sind es Anishinaabe, die auf acht First-Nations-Reservaten leben. Die zurückkehren zu ihren Wurzeln und die Traditionen ihrer Vorfahren wieder aufleben lassen. „Mein Großvater musste in ein Internat“, sagt Steve. Da wurden Kinder fernab von ihren Eltern und ihrer Stammesgemeinschaft umerzogen. „Aber sie haben es nicht geschafft, unser Denken zu verändern“, erzählt Steve. Wie viele andere hat Steve eine Wandlung erlebt. Bis vor einigen Jahren arbeitete er als Manager in einem Poker-Kasino. Dann spürte er den Ruf. Steve zog sich in eine Hütte zurück. Vier Nächte verbrachte er meditierend am Lagerfeuer. Als Kind erhielt er seinen First-Nations-Namen, „Red Sky“ - „Morgenröte“. Während der vierten Nacht geschah es: Stephen James Antoine erlebte seine spirituelle Erweckung. Steve weiß, dass dieser Name seinen Weg bestimmte. Er kehrte der Stadt und dem Kasino den Rücken und kehrte zurück nach Manitoulin Island. Heute arbeitet er beim „Great Spirit Circle Trail“, dem Zusammenschluss der Anishinaabe-Stämme, der Besuchern und Touristen Einblicke in ihre Tradition und Kultur vermittelt.

Mit Karl May’s Winnetou hat das rein gar nichts zu tun. „Viele kommen her und wundern sich, dass wir nicht in Tipis wohnen“, erzählt Falcon Migwans. Statt lederner Mokassins und zu Pferd steigt Falcon in Boots aus einem beigefarbenen VW Jetta. Die geflochtenen Haare und ein mit Ornamenten verzierter Lederbeutel, den er am Gürtel seiner Jeans trägt, lassen auf seine First- Nations-Zugehörigkeit schließen. Als Achtjähriger erhielt er den Namen „Little Hummingbird“ - Kleiner Kolibri. „Ich fand den Namen damals uncool“, erzählt er vor einer Besuchergruppe. Ein Ältester seines Stammes der Odawa-Ojibwe erwählte ihn zu seinem Nachfolger. Fünf Jahre lang unterwies er ihn in den Lehren seiner Urahnen.

Darüber existieren keine Bücher oder Aufzeichnungen, alles wird, wie seit Tausenden von Jahren üblich, nur mündlich weitergegeben. Der 35-Jährige folgt den spirituellen Geboten seines Volkes über Liebe, Respekt, Mut, Weisheit, Wahrheit, Integrität und Demut. Alkohol, Nikotin und Drogen lehnt er strikt ab. „Little Hummingbird“ versteht sich als Bewahrer seiner alten Kultur, deren Lehren ihm heilig sind. Die Gratwanderung zwischen Kulturvermittlung und touristischer Vermarktung ist nicht einfach, doch auf Manitoulin Island gelingt sie. Statt verklärter Indianerromantik setzt der „Great Spirit Circle Trail“ auf authentische Erlebnisse. Bevor sich die Gruppe unter Falcons Leitung auf eine Art Kräuterspaziergang begibt, der die medizinische und spirituelle Verwendung von Pflanzen vermittelt, wird das Smudging-Ritual vollzogen. Danach teilt Falcon Tabakkrümel aus.

Der Herzschlag von Mutter Erde

„Dieser Tabak hilft uns dabei, mit den göttlichen Geistern in Verbindung zu treten“, erklärt Falcon. „Damit erinnern wir uns daran, dass wir trotz unseres Körpers Geistwesen sind.“ Die nächsten Tage sind ausgefüllt mit Kanutouren, einem traditionellen Festmahl am Lagerfeuer, Trommel-Workshop, Wanderung auf dem Nimkee’s Trail, einem alten Trapperpfad und einer Übernachtung in einer Hütte mitten im Wald. Was sich zunächst nach lauter Klischees anhört, entpuppt sich als tiefgründige Erfahrung einer eindrucksvollen Kultur, die der Natur mit Respekt und Achtung begegnet. Zu erleben, mit welcher Begeisterung und Ehrfurcht Steve eine kleine Adlerfeder vom Boden aufhebt, an der zuvor die Gruppe achtlos vorüberging, schärft die eigenen Sinne. Und wer unter fachkundiger Anleitung eine eigene Trommel herstellt und eine Einführung in die Schlagtechnik erhält, wird das Trommeln nie wieder als monotones Bumbum wahrnehmen, sondern als den Herzschlag von Mutter Erde.

Am nächsten Tag regnet es, das ganze Dorf von M’Chigeeng strömt zur örtlichen Sporthalle. Es ist Pow Wow, eines der vielen traditionellen Feste, bei denen die Angehörigen der Stämme zusammenkommen, um ihre Kultur zu feiern. Mit großem Stolz tragen Männer und Frauen ihre bunten und mit vielen Federn versehenen handgefertigten Trachten. Viele davon sind sehr alt und werden innerhalb der Familie vererbt. Es heißt, dass sie einen eigenen Geist besäßen. Keinesfalls dürfen Tracht, Trommel oder gar Adlerfedern angefasst werden. Ungefragt Fotos machen ist respektlos. Jeder Pow Wow beginnt mit der Parade, der „Grand Entry“, und läuft nach demselben Schema ab: Alle erheben sich, denn als Erstes wird der Stab mit den Adlerfedern als heiliges Symbol der First Nations in den Kreis getragen. Danach beschreiten die Ältesten und Kriegsveteranen den Kreis, dem die Tänzer und danach die Tänzerinnen folgen. Pow Wow heißt vor allem eines: Spaß haben, das Leben feiern und mit anderen teilen.

Infos zu Manitoulin Island

Anreise
Von Frankfurt aus mit Air Canada, www.aircanada.com , via Toronto nach Sudbury und weiter mit dem Mietwagen nach Manitoulin Island (ca. zwei Stunden) oder alternativ von Toronto per Mietwagen (ca. sechs Stunden).

Unterkunft
Mit seiner Lobby in Form eines Tipis und vielen aus der Natur inspirierten Design-Elementen spiegelt das neue Manitoulin Hotel & Conference Centre in Little Current die Gastfreundschaft der Besitzer, die First-Nations-Stämme Manitoulins, wider. Übernachtungen ab 112 Euro/Person im DZ.

Naturliebhaber finden in der Nishin Lodge in Sheshegwaning ein rustikales Blockhaus im Wald, das Platz für 8 bis 12 Personen bietet. Ab zwei Nächte für 265 Euro/Nacht.

Übernachten im Glamping- Tipi: ab 109 Euro/Nacht. Buchung und weitere Angebote über www.circletrail.com .

Allgemeine Informationen
Infos über Ontario: www.ontariotravel.net

Ausflüge/Sehenswert
Über den „Great Spirit Circle Trail“ lassen sich zahlreiche Angebote buchen. Von der Kanutour über Einführung in die Medizinkunde, Trommel-Workshop, Handarbeiten, Wanderungen, Bannock- Backen bis hin zu Übernachtungen im Tipi oder in Hütten, www.circletrail.com

Im Sommer bietet die De-ba-jeh-mu-jig-Theatergruppe Aufführungen, die sich kritisch mit ihrer Kultur auseinandersetzen, www.debaj.ca

Im Ojibwe Cultural Foundation in M’Chigeeng sind eindrucksvolle Kunstwerke und Ausstellungen zur Geschichte der First Nations auf Manitoulin zu sehen, www.ojibweculture.ca

Eine Aufstellung mit allen Pow Wows auf Manitoulin, www.ourmanitoulin.com/powwow.html