Die Welt tobt, Bundeskanzlerin Angela Merkel regiert – das erscheint vielen Bürgern auch im Wahljahr 2017 attraktiv. Unser Berliner Korrespondenten Christopher Ziedler nennt die Gründe dafür.

Berlin - In ihr Innerstes lässt Angela Merkel nur selten blicken. Das war etwa der Fall, als sie während der Pressekonferenz mit US-Präsident Donald Trump die Augen verdrehte und so andeutete, was sie von ihm hält. Mehr als Indizien aber gibt es nicht. Das wirkt manchmal gelangweilt, teilnahmslos gar, und hat noch vor Kurzem Unmut in den eigenen Reihen ausgelöst. Dennoch ist es die größte Stärke der Kanzlerin: kontrolliert auf eine Welt reagieren, die außer Kontrolle geraten zu sein scheint.

 

Die Wähler suchen in dieser Lage die Nähe zur Partei der Kanzlerin – auch wenn die Probleme vor Ort wie jetzt in Nordrhein-Westfalen im Vordergrund gestanden haben mögen. Von einem „Merkel-Malus“, der der Union noch bei den Landtagswahlen des Vorjahres attestiert wurde, ist jedoch keine Rede mehr. Im Gegenteil: Nachwahluntersuchungen zeigen, dass es wieder einen „Merkel-Faktor“ gegeben hat.

An ihren klaren Zukunftsplänen kann das nicht liegen. Manch ein inzwischen verstummter Unionist hat noch kürzlich darüber geklagt, dass ihm keine drei zentralen Forderungen seiner Partei einfallen. Das liegt nicht nur daran, dass das Wahlprogramm noch in Arbeit ist, es hat unter Merkel auch Methode: Wer vorab vage bleibt, kann seine Politik besser an den Realitäten ausrichten, die er später vorfindet. Diese Kanzlerin verspricht ihren Wähler etwas ganz anderes: Auch auf die nächsten unvorhersehbaren Weltereignisse, deren Frequenz zuzunehmen scheint, werde ich so besonnen reagieren wie immer.

Auch bei Macron wartet Merkel erst einmal ab

Ihr Schritt-für-Schritt-Denken tritt beim Brexit zutage wie bei Trump, den sie langsam in die multilaterale Weltordnung einzubinden versucht. Es gilt aber auch für Frankreichs neue Hoffnung Emmanuel Macron. Am Tag nach der NRW-Wahl signalisierte der Präsidentenbesuch im Kanzleramt einerseits Merkels Credo, dass die Arbeit immer weitergehen muss. Andererseits bleibt sie zurückhaltend: Während die Sozialdemokraten zu Recht darauf hinweisen, dass Frankreich nun Deutschlands Hilfe braucht, damit beide wieder zusammen als Motor Europas funktionieren können, wartet Merkel erst einmal ab.

Aus ihrer Sicht ist das gut vier Monate vor der Bundestagswahl klug. Allgemeine Bekenntnisse zu Europa sind beliebt – anders als Versuche, sie mit Leben zu füllen. Die CDU-Kandidatin kennt die zwar schizophrene, aber wahlrelevante Grundhaltung vieler Bürger. Ihrem SPD-Herausforderer Martin Schulz etwa hat es nicht gut getan, eine stärker integrierte Eurozone zu fordern. Die Politik der ruhigen Hand, die Gerhard Schröder einst propagierte, ist von seiner Nachfolgerin perfektioniert worden.

Nicht alle wünschen sich Beständigkeit

Bezeichnenderweise wackelt Merkel immer dann, wenn sie doch einmal schnell entscheidet oder dazu genötigt wird – das gilt für Atomausstieg, Eurorettungsnächte und vor allem für die ausgebliebene Grenzschließung im Herbst 2015, als aus Ungarn die Flüchtlinge kamen. Die Krise ist inzwischen eingedämmt, mit vielen einzelnen Merkel-Schritten, Richtungskorrekturen, aber ohne radikale Wende – das beständige Kurshalten über alle Empörungswellen hinweg scheint nun zumindest innenpolitisch honoriert zu werden. Wie es im politisch und sozial gespaltenen Europa aussieht, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Verschwunden ist der Überdruss an Merkels Politikstil auch in Deutschland nicht – der Wunsch nach frischem Wind und aktivem Zupacken hat sich kurzzeitig in Schulz’ Umfragewerten gespiegelt. Auch der erneute Einzug der AfD in ein Landesparlament zeugt davon, dass sich nicht alle Wähler solche Beständigkeit wünschen.

Aber wohl doch sehr viele. Eigentlich sind die CDU-Strategen darauf eingestellt gewesen, dass es in diesem Bundestagswahlkampf anders als 2013 nicht mehr reichen wird, wenn die Spitzenkandidatin im TV-Duell sagt: „Sie kennen mich.“ Gut möglich, dass sie sich getäuscht haben.