Was ist stärker: Halloween oder der Reformationstag? Auch in Sachsen-Anhalt stellten sich viele diese Frage. In der Lutherstadt Wittenberg findet ein Staatsakt zum 500sten Thesenanschlag von Luther statt.

Wittenberg - Mehrere Zehntausend Menschen sind am heutigen Reformationstag nach Wittenberg (Sachsen-Anhalt) gekommen, um bei Festgottesdiensten und einem Festakt zu Ehren von Martin Luther teilzunehmen. Bei Nieselregen tummelten sich die Menschen schon am Morgen in der Altstadt, Stadtführer hatten Hochkonjunktur, ein mittelalterlicher Markt bot Speisen und Getränke aus der Zeit Luthers an. „Aufbruch zur Freiheit“ hieß es auf einer Leuchtreklame vor dem Haus, wo Luther 35 Jahre gewohnt hatte. Der Kirchenrebell und Reformator hatte mit seinem Anschlag von 95 Thesen an der Tür der Schlosskirche von Wittenberg vor genau 500 Jahren die Welt verändert. Am Nachmittag werden alle Staatsorgane der Bundesrepublik sowohl zu einem Festgottesdienst als auch zu einem Empfang im Stadthaus erwartet: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundeskanzlerin Angela Merkel, die auch eine Rede halten wird, sowie der Bundesverfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle, der Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble und Bundesratspräsident Michael Müller, Bürgermeister von Berlin. Mit dabei sind natürlich auch der Vorsitzende es Rates der EKD, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm soiwe andere Kirchenführer.

 

Gesamte Spitze des Staates reist an

Dass sich die gesamte Staatsspitze in Wittenberg versammelt ist ein Beleg für den hohen Wert, den die deutsche Politik der Reformation beimisst, die Martin Luther einst eingeleitet hat. Der Ratsvorsitzende der EKD, Bedford-Strohm erklärte am Reformationstag: „Von Wittenberg ging eine spirituelle Erneuerung aus, die Menschen in Bewegung gesetzt hat. In Deutschland, Europa und weltweit. Der 500. Jahrestag der Reformation ist ein Tag der Dankbarkeit.“ Man sei dankbar für die „religiösen Erneuerungsimpulse“, die aus der Reformation kamen. Dankbar aber auch dafür, dass aus den Konflikten und Kriegen zwischen den Konfessionen in der Vergangenheit heute „Versöhnung, Verstehen, ja Freundschaft“ geworden sei.

Er hoffe, so Beford-Strohm, dass „daraus auch ein Zeichen wird für die Welt, die von Konflikten und Spaltungen bedroht ist. Wortwörtlich sagte der EKD-Ratsvorsitzende: „Für die Kirche der Zukunft ist das Wichtigste: dass wir die Liebe selbst ausstrahlen, von der wir sprechen.“

Mit dem Reformationstag endet eine einjährige Zeit der Luther-Jubiläumsfeierlichkeiten mit tausenden von Veranstaltungen und vielen Millionen Teilnehmern. Die „Luther“-Bundesländer Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen hatten hohe Millionenbeträge in die Vorbereitungen investiert, aber auch von einem Boom bei den Touristenzahlen profitiert.

Konkurrenz von Halloween

Dass der Reformationstag ausgerechnet mit Halloween zusammenfiel, sorgte allerdings für eine ungeliebte Konkurrenz. In den Dörfern rund um Wittenberg liefen schon in der Nacht zum Dienstag Scharen von Kindern und Jugendlichen und forderten „Süßes oder Saures“. Ein Radiokommentator wies daraufhin, dass der freie Tag nichts mit Halloween zu tun habe, sondern der Reformation zu verdanken sei. Die Botschafterin der evangelischen Kirche für das Reformationsjubiläum, Margot Käßmann, ging kritisch mit den Halloween-Feiern zu Gericht: „Das ist ein reines Kommerzfest“, sagte die 59-jährige der „Rhein-Neckar-Zeitung“. „Mir tut das leid, denn Luther wollte uns ja nun gerade von der Angst vor Geistern befreien.“ Das Merchandising von Luther-Artikeln verteidigte Käßmann hingegen: So gibt es Luther-Brote, Luther-Bier, Luther-Pralinen und ein Playmobil von ihm, auch Socken mit der Aufschrift „Hier stehe ich und kann nicht anders“ werden feilgeboten. Käßmann sagte: „Luther hat gesagt: Das Evangelium kann nur mit Humor gepredigt werden. Und Humor tut der Evangelischen Kirche gut.

Katholik Kretschmann würdigt die Reformation

Auch in Stuttgart wurde der Reformation gedacht. Das Jubiläum sei ein Anlass noch einmal zu schauen, „was wir der Reformation zu verdanken haben“, so der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann, ein bekennender Katholik, am Dienstag in Stuttgart im Rahmen eines Empfangs aus Anlass von 500 Jahren Reformation. Vertreterinnen und Vertreter der Kirchen, der Zivilgesellschaft, der Wirtschaft und der Politik folgten der Einladung der Landesregierung ins Neue Schloss.

„Anhand der drei Begriffe Einigkeit, Recht und Freiheit – die uns auch aus unserer Nationalhymne bekannt sind – ist die Bedeutung der Reformation gut festzumachen“, sagte Kretschmann. „Die Reformation erinnerte mit ihrer Rechtfertigungslehre an die fundamentale ,Freiheit des Christenmenschen‘: Der Mensch wird vor Gott nicht gerecht durch seine guten Werke, sondern durch seinen Glauben an Jesus Christus. Ein ungeheuer befreiender Gedanke für viele – bis heute.“ Denn er mache innerlich frei. Doch wer sich befreit erlebe von der lähmenden Sorge um das Jenseits, „der muss Verantwortung übernehmen für sich, für andere, für die Welt. Es ist also eine Freiheit, die in Verantwortung mündet“, so Kretschmann.

Mit der Reformation sei jedoch auch eine weitere konfessionelle Spaltung eingetreten, sagte Kretschmann. „Diese Spaltung ist schmerzlich und prägt das Christentum und die ganze Gesellschaft bis heute. Doch unsere säkulare Gesellschaft braucht ein Christentum, dass sich nicht selber auseinanderdividiert, sondern mit einer Stimme spricht und vereint handelt.“