Nach der gefühlten Niederlage bei der Bundestagswahl räumt Kanzlerin Angela Merkel erstmals ein, dass sie selbst das Land spaltet – und will doch bei ihren Positionen bleiben.

Berlin - Sie weiß, dass sie manchmal sehr lange braucht, um sich zu entscheiden. Wenn aber alle Fürs und Widers abgewogen sind, „bin ich mit mir im Reinen“, hat Angela Merkel kürzlich einmal bekannt: „Ich hadere fast nie.“

 

In diesem Geist, wie sie wohl sagen würde, bestreitet die Kanzlerin am Montag nach der Bundestagswahl eine der schwereren Pressekonferenzen ihrer politischen Laufbahn. Ihre CDU ist zwar weiter stärkste politische Kraft im Land, aber vom Bürger mächtig geschrumpft worden, mit der gleichzeitigen Entdeckung einer rechten Alternative zur CDU. So jäh ist der prozentuale Absturz ausgefallen, dass Merkel kurz die Fassung verliert, als ein britischer Journalist sie fragt, ob sie mit diesem Ergebnis in der neuen Donald-Trump-Welt eigentlich noch Anführerin des freien Westens und Hort europäischer Stabilität sein könne, wie ihr das in Übersee gern attestiert wird. Das müssten andere beurteilen, meint sie nach einer kurzen Schrecksekunde: „Ich habe diese Artikel ja nicht geschrieben.“

Sie will in jedem Fall weitere vier Jahre regieren

Selbstzweifel jedenfalls haben keinen Platz an diesem Tag. Nachdenklich wohl, nicht jedoch nachgiebig präsentiert sich die CDU-Vorsitzende den Journalisten im Konrad-Adenauer-Haus. „Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssten“, antwortet sie auf die Fragen nach Konsequenzen und Fehlern im Vorfeld: „Ich habe diesen Wahlkampf gut durchgedacht, ich habe ihn so gemacht wie ich ihn gemacht habe und bin jetzt auch am Tag danach nicht der Meinung, dass ich das anders sehe als ich das gestern oder vorgestern oder vor zwei Wochen gesehen habe.“ Ähnlich unbeirrt klingt es auch, wenn sie nun noch einmal betont, weitere vier Jahre Regierungschefin bleiben und nicht etwa zur Halbzeit jemand anderem Platz machen zu wollen: Ihre Zusage, für das Amt zur Verfügung zu stehen, sei nicht an das Erreichen von 35 oder 40 Prozent gekoppelt gewesen.

Sehen Sie im Video eine Bilanz zur Wahl von Poltitikchef Rainer Pörtner:

Da mag es nun Bemühungen der noch härter getroffenen Schwesterpartei aus München geben, der hassgeliebten preußischen Pastorentochter eine stärkeren Rechtsdrall zu verpassen – zumindest der Form nach macht sie keinerlei Abstriche von ihrer Flüchtlingspolitik, die sich zwar schon längst geändert hat, aber genauso umstritten bleibt wie am ersten Tag. Sicher, stellt sie scheinbar wohlwollend fest, werde sie sich in den nun beginnenden Gesprächen mit CSU-Chef Horst Seehofer irgendwie verständigen, was nun in einer Jamaika-Koalition aus seiner garantierten Flüchtlingsobergrenze werden soll. Aber Angela Merkel gibt dann doch ziemlich klar zu verstehen, dass sie auch weiter ihren eigenen „Kompass“ zur Hand nehmen will, wenn von Nord, Ost, Süd oder West das nächste politische Unwetter heraufzieht.

Und das wird es geben. „Wir können uns keine Welt basteln, in der der Euro stabil geblieben wäre, in der es keine Finanzkrise gegeben hätte und auch keine Flüchtlinge gekommen wären, weil es in Syrien keinen Bürgerkrieg gegeben hätte.“ Selbst an einem für sie so schwierigen Tag gibt es also diese Augenblicke, in denen die Weltpolitikerin Angela Merkel über das tägliche Klein-Klein der deutschen Innenpolitik erhaben scheint: „Wir dürfen nicht dauernd darüber klagen, dass uns eine neue politische Aufgaben gestellt wird.“

Sie hadert also nicht. Und doch steht da eine andere Angela Merkel vorne am Pult des Konrad-Adenauer-Hauses, weil so eine Bundestagswahl eben doch keine Kleinigkeit ist. Die Bundesbürger haben gesprochen, weshalb die Kanzlerin „ein Stück Demut vor dem Wähler“ zeigen muss. Sie bedauert zum Beispiel aufgrund ihrer vielen internationalen Verpflichtungen nicht öfter im Gespräch mit den Bürgern zu sein, gerade in Ostdeutschland, ihrer Heimat, wo sich die Menschen nun in besonderem Maße von ihr abgewandt haben: „Ich habe im Wahlkampf gespürt, dass der Kontakt nicht so eng war, wie sie sich das vorgestellt haben.“

Vor allem aber äußert sich die neue Einsicht darin, dass Merkel endgültig zu akzeptieren scheint und offen ausspricht, dass sie selbst Stein des Anstoßes ist. „Das ist eine Polarisierung“, sagt sie zur Lage im Land, „und das ist auch mit mir verbunden als Person, und zwar ganz offensichtlich.“

Zumindest kurz muss sie über’s Aufhören nachgedacht haben

Da ist es nicht mehr weit zur Frage nach persönlichen Konsequenzen. Sie selbst dementiert nicht, dass sie in den vergangenen Stunden darüber nachgedacht hat, sagt aber, dass dies vor einem Jahr „stärker“ der Fall war. Damals überlegte sie wochen-, ja monatelang, ob sie nach all dem, was passiert war, noch einmal antreten soll. Aber wie das mit ihren lang gereiften Entscheidungen ist: Nun steht sie dazu. Auch, weil aus ihrer Sicht alles so gekommen ist, wie sie das erwartet hat: „Ich fühle mich ziemlich bestätigt in dem, was mir damals im Herbst 2016 auch durch den Kopf gegangen ist.“ Dass es ihr schwierigster Wahlkampf werden würde, dass es „nicht in Stein gemeißelt“ sei, nach zwölf Jahren im Amt trotz zahlreicher, vor allem wirtschaftspolitischer Erfolge, die Menschen noch einmal für sich einnehmen zu können.

Ob sie aber tatsächlich vorausgesehen hat, sich in einer derart schwierigen Ausgangslage wiederzufinden, darf zumindest bezweifelt werden. Die Radikalität mit der ihr Ex-Herausforderer Martin Schulz die havarierte SPD noch am Wahlabend auf die Oppositionsrolle festlegte, hat die Kanzlerin überrascht und in den anstehenden Gesprächen mit Grünen und FDP geschwächt, weil nicht mehr mit der möglichen Fortführung der großen Koalition gedroht werden kann. Das dürfte die Preise der kleinen Partner hochtreiben. Merkel muss ihnen weit entgegenkommen, was angesichts der krawalligen Stimmung der bayerischen CSU ein hohes Risiko bedeutet. Horst Seehofer, selbst angeschlagen, könnte Lust verspüren, eine Blockade als Mittel zu benutzen, neue Stärke zu zeigen. Nicht zuletzt deshalb hat Angela Merkel den Sozialdemokraten am Montag noch einmal die Hand ausgestreckt – ohne dass sie ergriffen worden wäre.

Für die Amtsinhaberin ist das alarmierend. Wenn nämlich die Verhandlungen über ein Jamaika-Bündnis scheitern und die Genossen beim Nein zur GroKo bleiben, könnte das Land auf Neuwahlen zusteuern. Auch wenn es intern noch keinerlei Anzeichen für einen Putsch gibt, ist es derzeit dennoch schwer vorstellbar, dass die Union dann erneut mit Merkel als Spitzenkandidatin anträte. Auch vor diesem Hintergrund ist ihre Aussage zu verstehen, dass sie Neuwahlspekulationen kräftig als „Missachtung des Wählerwillens“ geißelt.

Dass ihr nun schwierige Wochen bevorstehen weiß sie. Erst muss mit der CSU eine gemeinsame Linie für Sondierungsgespräche gefunden werden. Das ist schwer genug, wo doch in der Obergrenzenfrage schon einmal monatelang ergebnislos verhandelt wurde. Wie man sich dann noch mit Grünen und Liberalen einigen will, bleibt bisher ein Rätsel. In ihrer bekannten Schnoddrigkeit gibt Merkel zu Protokoll, dass ihre EU-Kollegen auf eine abgeschlossene Regierungsbildung in Deutschland nun eben etwas warten müssten: „Die sollen erst einmal Mark Rutte fragen– die Niederlande haben auch noch keine Regierung, da bin ich nicht der drängendste Fall.“

Stoisch nimmt Angela Merkel, die Krisengestählte, alles hin. Selbst den Vorwurf der Sozialdemokraten, dass ihre Debattenverweigerung die AfD so groß gemacht hat, lässt sie scheinbar ungerührt über sich ergehen: „Wenn ich auch dafür verantwortlich bin, dann in Gottes Namen.“