Mit Pfiffen haben Zuwanderungsgegner Kanzlerin Merkel in Prag empfangen. Ihre Flüchtlingspolitik ist in Tschechien unbeliebt. Doch Merkel nimmt es gelassen. In anderen Bereichen sei die Beziehung zu Prag gut.

Tallinn - Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die tschechische Regierung bei ihrem Prag-Besuch am Donnerstag nicht für ihre Flüchtlingspolitik gewinnen können. Die Mitte-Links-Regierung hielt an ihrem Widerstand gegen EU-Länderquoten für die Aufnahme von Schutzsuchenden fest. „Wir können keinem System zustimmen, dass auf verpflichtenden Quoten zur Umverteilung von Flüchtlingen besteht“, betonte Ministerpräsident Bohuslav Sobotka am Donnerstag in Prag.

 

Merkel betonte: „Ich denke, wir bleiben im Gespräch.“ Vor dem Regierungssitz in Prag protestierten Dutzende Demonstranten mit einem Pfeifkonzert und Rufen wie „Merkel muss weg“ gegen die offenherzige Flüchtlingspolitik der Kanzlerin. Zuwanderungsgegner und Rechtspopulisten hatten zu sechs Kundgebungen aufgerufen.

Die CDU-Politikerin sprach in Prag auch über andere Fragen der Zukunft Europas nach dem britischen Brexit-Votum und über bilaterale Themen. Am Abend wollte sie mit Präsident Milos Zeman zusammenkommen, der ihre Willkommenspolitik als „Unsinn“ und „absurden Humanismus“ abgetan hatte.

Gutes Verhältnis zu Prag – von Migrationspolitik abgesehen

Am Freitag wird Merkel in Warschau die Regierungschefs der Visegrad-Staaten treffen, die ihre offenherzige Willkommenspolitik ablehnen. „Ich glaube nicht, dass es eines Moderators zwischen der Visegrad-Gruppe und Deutschland und Frankreich bedarf“, betonte die Kanzlerin. Die Visegrad-Staaten umfassen Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn.

Merkel lobte das gute Verhältnis zu Prag in anderen Bereichen als der Migrationspolitik. „Dass die Beziehungen so gut sind, hängt auch stark mit der Arbeit von Bohuslav Sobotka zusammen – das trägt Früchte“, betonte sie.

Anfang Oktober tritt ein neues Polizeiabkommen in Kraft, das unter anderem vorläufige Festnahmen im jeweils anderen Land ermöglicht. „Das wird die Situation auch im grenznahen Bereich deutlich verbessern“, sagte Merkel.

Von Estland nach Tschechien

An der Technischen Hochschule in Prag informierten sich Merkel und Sobotka über „Industrie 4.0“, die Vernetzung und Digitalisierung der Produktion. Die Wirtschaft beider Länder ist eng verzahnt. Merkel sagte mit Blick auf die niedrige Arbeitslosigkeit im Nachbarland: „Das ist ein Zeichen, dass wirtschaftliches Wachstum bei den Menschen ankommt.“

Vor ihrem achtstündigen Kurzbesuch in Prag hatte Merkel in Estland politische Gespräche geführt. Zur künftigen Ausrichtung der EU nach dem Brexit-Votum sagte Merkel dort: „Es kann uns gelingen, den Beschluss Großbritanniens zu verkraften, aber dafür müssen wir hart arbeiten.“ Deshalb haben die verbliebenen 27 EU-Staaten einen „Reflexionsprozess“ und eine „Phase des Nachdenkens“ begonnen. Dies sei in Familien so üblich, sagte sie.