Der deutsche Kardinal Walter Kasper nimmt am bevorstehenden Konklave zur Papstwahl teil. Er hofft, dass ein jüngerer Papst die großen Probleme der Kirche anpackt. Hier verrät er, wie man die Persönlichkeit eines potentiellen Papstnachfolgers einschätzen kann.

Unter den Papstwählern ist er der älteste. Wäre Papst Benedikt XVI. auch nur fünf Tage später zurückgetreten, hätten sich für Walter Kasper die Türen zum Konklave gar nicht mehr geöffnet: Diesen Dienstag wird er 80 Jahre alt und überschreitet damit die Altersgrenze. Just dieses Jahr, in den Vorbereitungen und den Gesprächen zum Konklave, wird sein Geburtstag ins Wasser fallen. „Ein bisschen leid“, sagt er, tut’s ihm durchaus; es war vieles geplant, „und man freut sich ja auch darauf“. Die andere Seite ist: „Noch einmal mitwählen zu dürfen, noch einmal zur Verantwortung aufgerufen zu sein“; das will der deutsche Kardinal auch aktiv nutzen, „um einen Beitrag zu leisten, so weit ich es kann, zu einem guten Übergang vom einen Pontifikat ins nächste“.

 

Beim Gespräch in seiner Wohnung, gegenüber dem Eingang zum Vatikan, ist Kasper das Alter überhaupt nicht anzumerken. Er redet über den zurückgetretenen Papst, der „mit seinen Worten viel mehr Gehör gefunden hat, als es scheint“, der „als großer Theologe“ ebenso in die Kirchengeschichte eingehen wird wie mit seinem Rücktritt. Dieser hat „zwar nicht das Wesen des Papsttums verändert, aber ihm ein neues Gesicht gegeben“: „Eine gewisse sakrale Aura ist dem Papsttum genommen, es ist menschlicher geworden. Und einer, der sagt, er habe nicht mehr die Kraft für sein Amt, verdient Respekt.“

„Mit Mitte 60 hat man noch Kraft“

Wenn Benedikt sich schwach fühlte, signalisierte er Kardinälen damit nicht, sie sollten jetzt einen jungen Starken suchen – sich damit aber auch wieder auf ein langes Pontifikat einrichten? Ist die Kirche bereit dafür? „Na ja, hinreichend Erfahrung muss einer schon haben, der ins Papstamt berufen wird, eine gewisse Weisheit des Alters auch. Er muss über den Parteien stehen, damit es keine Spaltungen gibt. Ein zu Junger, das wäre schwierig. Aber Mitte 60, Anfang 70, da hat man schon noch Kraft, das wäre das richtige Alter.“

Für ihn aber, sagt Kasper, „für meine Entscheidungsfindung ist nicht das Alter wichtig, auch nicht die Nationalität. Es geht um die Persönlichkeit.“ Wie findet man die heraus? Kennen sich die Kardinäle gut genug? „Das genau ist die Aufgabe der Begegnungen im Vor-Konklave. Das sind keine Hinterzimmergespräche, wie es oft dargestellt wird, da finden auch keine Absprachen statt, die sind sowieso verboten, aber man kommt untereinander ins Gespräch, man lernt sich gegenseitig – auch nonverbal – kennen und einschätzen. Das ist ein ganz normal-menschlicher Prozess, zu einer Entscheidung zu kommen.“ Und deswegen, sagt der Kardinal, „bin ich auch nicht dafür, das Konklave vorzuziehen. Sich kennenlernen braucht Zeit, die Papstwahl sollte man nicht übers Knie brechen.“

Was muss der Neue eigentlich können? „Er kann nicht nur ein Manager sein, er muss ein geistlicher Mensch sein, ein Hirte. Er muss die Kurie leiten und die universale Kirche. Er muss sich den Reformen stellen, die – das sieht man ja – in beiden Bereichen nötig sind.“ Um global anzufangen: „Die Kirche ist in neuer Form Weltkirche geworden; ihr Schwerpunkt hat sich auf die südliche Halbkugel verlagert. Da ist die Frage nach der Einheit und der Vielfalt neu zu bedenken.“ Gewiss, fährt Kasper fort, „es ist die Stärke der katholischen Kirche, ein Zentrum, einen Papst zu haben. Das ist ein Geschenk des Herrn. Aber ein Zentrum zu haben, muss nicht unbedingt Zentralismus bedeuten. Da sind neue Überlegungen dringend notwendig.“

Kasper schlägt vor, großen Ortskirchen, „Kontinenten oder kulturellen Einheiten“, mehr Eigenständigkeit zuzugestehen, „in Bereichen, die nicht den Glauben betreffen.“ Er war neulich in Korea. „Das ist eine ganz eigene Welt. Da sagen uns Theologen und Bischöfe: ,Ihr in Rom versteht uns nicht.’ Es ist klar, wir können sie mit ihrer völlig anderen Geschichte und Kultur nicht voll verstehen. Deshalb würde ich sagen: Einheit ist wichtig, aber in loyaler Vielfalt.“

Und die Kurie – angesichts all der Berichte und Mutmaßungen darüber, wie schmutzig sie im Inneren sein könnte? „Wie weit die Berichte stimmen, weiß ich im einzelnen nicht. Aber da gibt es Phänomene, die mich zutiefst beunruhigen, Korruption, Sachen, die mit Sexualität zusammenhängen, Macht- und Karrierestreben. Gut, man kann sagen, das sind allgemeine menschliche Phänomene, aber ich meine, es sollte sie in der Kurie nicht oder zumindest wesentlich weniger geben als anderswo. Das ist ein Fall für die Kurienreform, auf die ich warte.“ Für die der neue Papst aber auch „Willens- und Widerstandskraft“ braucht: „Der kann ja auch nicht so einfach sagen, das und das machen wir ab morgen anders. Der muss sich auch durchsetzen.“

Genauso, sagt Kasper, braucht die Kurie mehr Organisation und Transparenz: „Die Leiter der einzelnen Dikasterien („Ministerien“) müssen sich regelmäßig treffen.“ Und zur Förderung der vom Zweiten Vatikanischen Konzil angestoßenen, aber längst nicht eingelösten „Kollegialität“ müssen „auch die Ortskirchen in Rom stärker zu Wort kommen.“ Und die anderen offenen Baustellen? „Das eine ist eine Grundfrage der heutigen westlichen Welt: Wie kann ich das Zentrum des christlichen Glaubens so bezeugen, dass es die Menschen im Herzen anrührt?“ Und dann: „Wie geht’s weiter mit der Piusbruderschaft? Mit pastoralen Fragen wie der Zusammenlegung von Pfarreien, mit der Ökumene und dann vor allem: Wie geht es mit wiederverheirateten Geschiedenen weiter? Das ist eine ganze Latte von Fragen, die wird auch ein künftiger Papst nicht alle sofort angehen können. Er muss Prioritäten setzen und dann Schritt für Schritt vorangehen.“

„Als Kardinal geht man nicht in Pension“

Gerade in der Ökumene wünscht sich Kasper als Fachmann vom künftigen Papst, „dass man nicht immer nur sagt, was nicht geht, sondern dass wir positive Angebote und Vorschläge machen.“ Das Problem ist ja, sagt er, dass „die Dialogpartner ein verschiedenes Kirchenverständnis haben und deshalb auch ein verschiedenes Verständnis davon, was Einheit der Kirche sein muss“. Da könnte ein neuer Papst durchaus helfen, sagt Kasper. Oder durch eine neue Amtsausübung, durch – gerade im Blick auf die Orthodoxen – eine „Stärkung der synodalen Struktur, auf der Ebene der universalen Kirche ebenso wie in den Ortskirchen.“

Und was macht ein Kardinal Kasper jenseits der kirchlichen Pensionsgrenze? Was wünscht er sich selbst zum runden Geburtstag? „Man geht als Kardinal nicht in Pension. So lange man was tun kann, soll man es tun. Ich sitze am Schreibtisch, und mit Veröffentlichungen kann man durchaus noch etwas bewirken in der Kirche. Die intensive Reisetätigkeit der letzten Jahre werde ich reduzieren. Das ist, vor allem wenn man alleine reisen muss, doch beschwerlicher als vorher. Ich werde mehr im Stillen arbeiten und mehr Zeit haben für die eigene Spiritualität, zum Beten und Meditieren, das gehört auch zu einem christlichen und menschlichen Älterwerden.“

Viele Priester fühlen sich heute frustriert. Die Kirchen leeren sich, aus heimeligen Pfarrgemeinden werden unüberschaubare Seelsorgeeinheiten – was sagt Kasper dazu? „Als ehemaligem Bischof sind mir die Probleme der Seelsorge vertraut. Ich hoffe, sie spielen im Konklave eine Rolle. Wenn man die Pfarreien unter rein administrativen Gesichtspunkten zusammenlegt, führt das nicht weiter, sondern zu mehr Frust. Richtig betrachtet, kann das auch zu einem Wachstumsschub führen, die neue Herausforderung kann eine Chance sein.“ Kasper sagt: „Wir sind auf eine neue Weise Kirche in einer neuen Diaspora-Situation. Das ist auch eine Rückkehr zur Urkirche. Als Rückkehr zu den Ursprüngen kann uns diese Entwicklung neu Kraft und Hoffnung geben.“ Keine Resignation also? „Was mich prägt, sind Hoffnung und Zuversicht.“