An zwei Orten wird derzeit um den Atomausstieg gerungen: in Berlin geht es in einer Kommission um die Entsorgungskosten, in Karlsruhe bald um Verfassungsbeschwerden der Konzerne. Ziehen sie ihre Klagen zurück?

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart / Karlsruhe - Ungeachtet einer möglichen Einigung zwischen dem Staat und den Atomkonzernen wird sich das Bundesverfassungsgericht nächste Woche mit dem Atomausstieg befassen. Es bleibe bei der für Dienstag und Mittwoch geplanten mündlichen Verhandlung über die Verfassungsbeschwerden der Konzerne, sagte ein Gerichtssprecher der Stuttgarter Zeitung. Grundsätzlich könne eine Verfassungsbeschwerde zwar jederzeit zurückgenommen werden. Von den Verfahrensbeteiligten habe man bisher aber keine entsprechenden Signale erhalten. Daher halte der Erste Senat an seinem Zeitplan fest.

 

Beschwerdeführer in Karlsruhe sind die Konzerne Eon, RWE und Vattenfall sowie eine Kernkraftwerksbetriebsgesellschaft; die EnBW durfte als fast ganz staatliches Unternehmen nicht vor das Verfassungsgericht ziehen. Die Konzerne sehen sich durch die Energiewende nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima in ihren Grundrechten verletzt. Das Ausstiegsgesetz sei verfassungswidrig, weil es für die Enteignung durch die verkürzten Laufzeiten der Atommeiler keine Entschädigung vorsehe, argumentieren sie. Es entspreche nicht den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes und führe zudem zu einem ungerechtfertigten Eingriff in die „Berufsfreiheit der Betreiber von Kernkraftwerken“.

Unter Trittins Führung zum Konsens

Mit der Verfassungsbeschwerde flankieren die Atomkonzerne ihre Klagen gegen Bund und Länder. Für den eigentlichen Atomausstieg fordern sie – mit Ausnahme von EnBW – Milliarden als Schadenersatz, für die Monate des Moratoriums nach Fukushima dreistellige Millionenbeträge. Die EnBW klagt auf 261 Millionen Euro, hat dabei aber eher geringe Chancen, wie das Landgericht Bonn bei der Verhandlung Anfang Februar signalisierte. Parallel zu dem rechtlichen Vorgehen verhandeln die Konzerne mit einer von der Bundesregierung eingesetzten Kommission „zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs“. Dabei geht es um einen Konsens über die Entsorgungskosten für den Rückbau der Atommeiler, die Zwischen- und Endlagerung. Das Gremium, das unter anderem vom früheren Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) geleitet wird, wollte eigentlich bereits Ende Februar zu einer Einigung kommen, diese verzögerte sich jedoch wegen noch offener Fragen. Nun soll bis in den April hinein weiter beraten werden – über den Verhandlungstermin in Karlsruhe hinaus.

Klärende Hinweise aus Karlsruhe erwartet

Nach dem Entwurf des Abschlussberichts, der der Stuttgarter Zeitung vorliegt, soll der Konsens den Streit um die Nutzung der Kernenergie „endgültig beenden“. Voraussetzung dafür sei „eine Beendigung der anhängigen Rechtsstreite der Betreiber mit den Ländern und dem Bund“. Die Kommission empfehle den Betreibern daher, ihre Klagen fallen zu lassen; diese hätten ohnehin nur eine „recht bescheidene Werthaltigkeit“, heißt es. Dagegen werde die angestrebte Neuaufstellung der Konzerne durch anhaltende Rechtsstreitigkeiten eher behindert als befördert.

Die Rücknahme der Verfassungsbeschwerden wird in dem Entwurf zwar nicht explizit genannt, wird nach StZ-Informationen aber ebenfalls erwartet. Es gehe schließlich um einen „umfassenden Frieden“, verlautete aus Kommissionskreisen. Von der Verhandlung in Karlsruhe erwarten beide Seiten klärende Hinweise.

Stuttgart verteidigt den Atomausstieg

Obwohl die EnBW nicht zu den Beschwerdeführern gehört, ist das Land Baden-Württemberg – zusammen mit Schleswig-Holstein – dem Verfahren beigetreten. Beide Länder würden durch den gleichen Prozessbevollmächtigten vertreten und hätten eine gemeinsame Stellungnahme abgegeben, bestätigte der Gerichtssprecher. Nach StZ-Informationen werden darin vor allem sicherheitstechnische Argumente für den Atomausstieg aufgeführt. Diese fehlten in der Gesetzesbegründung ganz und würden auch in der Stellungnahme des Bundes nur oberflächlich behandelt, hieß es. Man hole mithin nach, was auf Bundesebene versäumt worden sei.

Neben Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein haben nach Angaben des Gerichts die Länder Bremen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz eine gemeinsame Stellungnahme abgegeben – allesamt mit SPD-geführte Regierungen. Weitere Bundesländer hätten sich bis jetzt nicht geäußert. In Karlsruhe wird der Atomausstieg mithin von keinem CDU-regierten Land verteidigt – auch nicht von Hessen, das sich ebenfalls mit Klagen eines Konzerns konfrontiert sieht.