Warum birgt die Begegnung zwischen dem Karlsruher SC und dem VfB Stuttgart eine so große Brisanz? Um das Rätsel der Feindseligkeit zu entschlüssen muss man weit zurückblicken.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Peter Stolterfoht (sto)

Stuttgart - Gerhard Mayer-Vorfelder hat die Sache nicht ernst genommen. „Mit einem Stuttgarter kannst du in Karlsruhe nur zweimal in ein und dieselbe Kneipe gehen. Einmal, um dich zu blamieren, und einmal, um dich zu entschuldigen.“ Der im vergangenen Jahr verstorbene Ehrenpräsident des VfB Stuttgart konnte über die Rivalität zwischen dem Karlsruher Sport-Club und seinem Club immer auch noch lachen – und besonders laut nach von ihm selbst erzählten Witzen über die Rivalität.

 

Wo für Mayer-Vorfelder der Spaß anfing, ist für viele Fußballfans in Karlsruhe und Stuttgart Schluss mit lustig. Dann nämlich, wenn die beiden Vereine gegeneinander antreten. An diesem Sonntag ist es im Wildparkstadion nach siebeneinhalb Jahren wieder so weit. Treffpunkt zweite Liga, was die Brisanz der Partie eher noch erhöht. Das Frustrationspotenzial auf beiden Seiten scheint durch die jeweiligen Abstiege im Lauf der Zeit noch gestiegen zu sein. Nie waren die Sicherheitsvorkehrungen und das Polizeiaufgebot größer.

Noch einmal zurück zu Gerhard Mayer-Vorfelder: Der Bindestrich war bei ihm Programm. Mayer-Vorfelder lebte die Zusammengehörigkeit von Baden-Württemberg: beruflich als Landesminister für Kultus und Sport, später für Finanzen, sowie privat als gebürtiger Nordbadener, der eine Schwäbin geheiratet hat. Der Strich in Baden-Württemberg war für ihn deshalb auch nie eine Trennlinie, sondern eine Brücke – auch zwischen Karlsruhe und dem keine 80 Kilometer entfernten Stuttgart. So sah der VfB-Chef Mayer-Vorfelder 1998 auch kein Problem darin, den erfolgreichen KSC-Trainer Winfried Schäfer zu verpflichten. Eine Zusammenarbeit, die nur wenige Monate später auch deshalb beendet wurde, weil viele eingefleischte VfBler nicht akzeptieren konnten, dass ein langjähriges Feindbild plötzlich ihr Trainer sein sollte.

Württemberg wird Königreich, Baden nicht

Um die rätselhafte Feindseligkeit zwischen Karlsruhe, mit 300 000 Einwohnern Baden-Württembergs zweitgrößter Stadt, und der doppelt so großen Landeshauptstadt Stuttgart zu entschlüsseln, muss man weit zurückblicken – bis ins Jahr 1806: Im Zuge der Neuordnung Europas unter Napoleon wurden die mit Frankreich verbündeten Kurfürstentümer Baden und Württemberg für diese Allianzen belohnt. Wie auch Bayern wurde Württemberg zum Königreich befördert. Baden dagegen musste sich mit der Ernennung zum Großherzogtum begnügen – in der Hoffnung, im Gegenzug würde die Schweiz dem damaligen Rheinbundstaat zugeschlagen.

Dieser Wunsch blieb unerfüllt, weshalb sich die Badener im Vergleich zum Königreich Württemberg benachteiligt fühlten. „Zu arm und zu klein“, bekamen die badischen Abgesandten damals in Frankreich zu hören. So residierte in Stuttgart fortan der König, während in der badischen Hauptstadt Karlsruhe der Großherzog beheimatet war. Was dem ausgeprägten badischen Gerechtigkeitssinn widersprach, der sich in der deutschen Revolution deutlich zeigte. Der Aufstand begann 1848 in Baden – mit dem Ziel, einen demokratischen deutschen Nationalstaat zu bilden – und wurde in Baden 1849 auch niedergeschlagen.

Die Sorge der Badener vor Bevormundung wurde auch 1951 deutlich, als sie sich mit 52 Prozent gegen den Länderzusammenschluss mit Württemberg aussprachen. Immer wieder war damals in Baden vom „schwäbischen Imperialismus“ die Rede. Weil sich aber die Württemberger einigermaßen geschlossen für ein gemeinsames Bundesland aussprachen, wurde die Vereinigung 1952 vollzogen. Seitdem schaut man vor allem in Karlsruhe, dem Zentrum der badischen Interessenwahrung, skeptisch in die Landeshauptstadt und ist nicht immer damit einverstanden, was dort entschieden wird. Dann wird zum Beispiel nachgerechnet und angemahnt, dass im Vergleich mit Württemberg die badischen Universitäten und ihre Studenten prozentual etwas weniger Fördermittel erhalten würden.

Auch viele Vorurteile trennen die beiden Lager

Dieser konkrete Fall dürfte die Rivalität zwischen dem Karlsruher SC und dem VfB Stuttgart zwar nicht befeuern. Er zeigt dennoch, was das Problem in dieser Beziehung ist. Viele Badener fühlen sich von den Württembergern schlecht behandelt. Das habe ja Tradition, heißt es dann. Und weil für den Fußballfan die Tradition enorme Bedeutung hat, spielen eben auch politische und historische Begebenheiten eine Rolle – neben den Vorurteilen. In Württemberg ist zu hören, dass der Badener unter massiven Minderwertigkeitskomplexen leide. Den Schwaben dagegen zeichne Ignoranz und Engstirnigkeit aus, so die weitverbreitete Meinung in Baden. Weil der Fußball auch noch ein ganz großer Gefühlsverstärker ist, stehen sich die Fanlager seit je unversöhnlich gegenüber. Und dazu schmettern die Karlsruher mit dem Brustton der Überzeugung das Badnerlied.

Ein Tiefpunkt in der Beziehung zwischen Karlsruher und Stuttgarter Anhängern wurde jetzt im Vorfeld des Baden-Württemberg-Derbys erreicht. In Karlsruhe tauchten Plakate mit der Aufschrift „Tod dem VfB“ auf. Darauf hieß es weiter: „Schwaben jagen, Schwaben schlagen“. In Stuttgart gab es auch schon harte Fälle. Im März 2015 kam es rund um das Bundesliga-Spiel gegen Hertha BSC zu üblen Szenen. Weil die Berliner eine Fanfreundschaft mit dem KSC pflegen, waren Karlsruher Fans nach Stuttgart gereist. Der Polizei gelang es, die gewaltbereiten Gruppen auseinander zu halten, weshalb sich die Aggression der VfB-Hooligans gegen die Beamten richtete. Eine Streife wurde in einen Hinterhalt gelockt und bedroht. Drei Warnschüsse fielen.

Das passende Zitat zur Fanfeindschaft zwischen Karlsruhe und Stuttgart hat schon vor einigen Jahren der damalige KSC-Manager Rolf Dohmen geliefert: „Auf beiden Seiten gibt es einige Leute, bei denen man nicht auf den gesunden Menschenverstand setzen darf.“ Sogar einzelne Spieler schießen weit übers Ziel hinaus. So sangen Karlsruher Spieler bei der Aufstiegsfeier 2007 unter der Leitung von Kapitän Maik Franz „Stuttgarter Arschlöcher“. Auf dieselbe Weise beleidigte der VfB-Stürmer Mario Gomez 2008 seinen Gegenspieler Franz. Der konterte 2015, dass es für ihn „das Schönste“ wäre, wenn der KSC auf- und der VfB absteigt. Weil mit einjähriger Verspätung nur Teil zwei dieses Wunsches in Erfüllung gegangen ist, kommt es nun zu diesem ganz speziellen Derby.