Sie war Chefköchin in einem der renommiertesten Restaurants. Doch dann suchte Nicole Pisani „nach etwas, was sich wirklich lohnt“. Jetzt kocht sie für 500 Schüler in einem armen Londoner Stadtteil.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

Stuttgart - Im vorigen Jahr noch hat sie im Herzen Londons die Gaumen wohlhabender Kunden gekitzelt. Nicole Pisani war Chefköchin im Restaurant Nopi, einem kulinarischen Top-Establishment in Soho unter der Leitung von Starkoch Yotam Ottolenghi. Weil sie der Job aber erschöpfte, schaute sich die unternehmungslustige 34-jährige Gourmet-Köchin „nach etwas anderem“ um: „Nach einer dankbaren Aufgabe, nach etwas, was sich wirklich lohnt“, wie sie britischen Reportern erklärte.

 

Als jemand sie darauf aufmerksam machte, dass eine große Londoner Schule eine neue Kantinenchefin suchte, bewarb sich Pisani und rückte zum Probekochen für 500 Schüler an. Mit Handkuss wurde sie eingestellt. Die Gayhurst Community School konnte kaum glauben, dass jemand so Prominentes wie sie, statt in Soho zu glänzen, in heruntergekommenen Schulräumen in Hackney tagtäglich eine kulinarisch kaum verwöhnte Massen-Klientel bekochen wollte.

„Seetang habe ich ganz neu eingeführt“

Am Anfang sei es auch gar nicht so einfach gewesen, die verschiedenen Erwartungen auszutarieren, meinen heute übereinstimmend Pisani, die übrigen Küchen-Mitarbeiter der Schule und die Schüler. Für alle war es, beim Kochen wie beim Essen, ganz offenkundig ein Lernprozess. Unterdessen werden in der Gayhurst Community School statt zerkochten Bohnen, Pommes frites und Pizza jetzt auch Kichererbsen-Küchlein mit Süßkartoffeln, Spinat und Rübchen angeboten. Auch geraspelte rote Beete mit griechischem Joghurt gibt es und leckere Muscheln. „Seetang“, sagt Nicole Pisani, „habe ich ganz neu eingeführt.“

Das eine oder andere hätten die Kinder, von denen ein Drittel aus mittellosen Familien kommt, natürlich sonderbar gefunden, gibt die neue Schulköchin zu. Aber mehr Schüler als früher kämen jetzt, neugierig geworden, mittags in die Kantine spaziert. Die Zahl der Konsumenten plastikverpackter Lunchpakete habe sich dagegen um ein Drittel vermindert. Viele wollen offenbar einfach gern mal wissen, wie eigentlich Couscous mit Gemüse-Auflauf á la Pisani schmeckt – oder Fischstäbchen in fünffach gewürzten Brotkrumen mit Joghurt und Fenchel-Krautsalat.

Auf den Spuren von Jamie Oliver

Kürzlich lud die ehemalige Nopi-Chefköchin zum Zwecke des Spendensammelns die Erwachsenen zu einem spezielles Acht-Gänge-Dinner in die Schulaula ein. Dreißig Pfund (41 Euro) pro Kopf wurde zahlungswilligen Gäste für ein Menü abverlangt, bei dessen Zubereitung frühere Kollegen Pisanis aus dem Ottolenghi-Restaurant mithalfen. Die eingenommenen 3000 Pfund investierte die Schule in neues Geschirr, Tischdecken und Blumen fürs normale Schulessen – und in einen Kräutergarten draußen im Hof.

„Wir wollen uns hier keinen Namen als versnobte Küche machen“, erklärt Pisani. „Wir wollten nur einfach mal was Originelles versuchen.“ Es ist genau zehn Jahre her, dass Jamie Oliver zur „Revolution“ in den Schulküchen aufrief. Diese Mission will Pisani weiter führen. Zu ihrem Job gehört es auch, 18 weitere Schulen in der Umgebung zu besuchen und dort Köche und Kantinen-Personal für Neues zu begeistern. Den meisten ihrer Schützlinge, habe sie den Eindruck, schmecke ganz gut, was sie ihnen vorsetze. „Aber wenn Seetang auf den Tisch kommt, das finden sie immer noch furchtbar komisch.“