Martin Wehrle ist Karriereberater und weiß aus Erfahrung, dass in der Berufswelt noch immer die Regeln der Männer gelten, weil Frauen sich schlecht verkaufen. Im StZ-Interview fordert er Frauen auf, auch mal auf den Putz zu hauen.

Stuttgart – - Das Berufsleben einer Frau wäre für jeden Mann ein Skandal. Davon ist der Karriereberater und Gehaltscoach Martin Wehrle überzeugt. In seinem Buch „Herr Müller, Sie sind doch nicht schwanger?!“ wacht ein Manager als Frau auf und muss sich in der Arbeitswelt durchschlagen. Warum im Jahr 2014 noch immer die männlichen Spielregeln gelten und wie unterschiedlich Frauen und Männer in Gehaltsverhandlungen auftreten, darüber spricht Martin Wehrle im Interview.

 
Herr Wehrle, Sie listen in Ihrem Buch unter anderem die besten Karrieretipps für Frauen auf. Demnach sollen sie sich bei den Männern eine Scheibe abschneiden. Führt das nicht Ihr Anliegen, dass die Arbeitswelt weiblicher werden soll, ad absurdum?
Mit der Karriere ist es wie beim Schach. Es gibt Spielregeln, und wenn Sie diese ignorieren, stehen Sie Matt. Im Moment gelten leider die Regeln der Männer, da sie nach wie vor in der Mehrzahl an der Spitze der Unternehmen stehen. Wenn eine Frau erst mal an der Spitze angelangt ist, hat sie die Chance, neue Spielregeln zu etablieren.
Nennen Sie doch bitte mal ein Beispiel, wo das so tatsächlich funktioniert hat.
Nehmen wir die Kanzlerin Angela Merkel. Auf dem Weg nach oben hat sie beherzt und hartnäckig nach der Macht gegriffen, hat sich angriffslustig verhalten und die Ellenbogen ausgefahren. Das wurde ihr zunächst negativ ausgelegt. Inzwischen erntet sie Anerkennung für ihre Souveränität und dafür, sich auf keine Machtspiele einzulassen.
Angriffslustig, hartnäckig und beherzt sollen also rein männliche Eigenschaften sein?
Vieles liegt an der Erziehung. Es gibt eine Studie, die besagt, dass der Anführer bei den Jungs auch der ist, der bewundert wird. Anders bei den Mädchen: da ist diejenige, die die Gruppe anführt, eher schlecht angesehen. Mädchen wollen auf Augenhöhe kommunizieren.
Ist das nicht sehr klischeehaft?
Ich berate viele Branchen, die frauendominiert sind, den Journalismus, das Hotelfach, den Tourismus allgemein. Wenn ich Gespräche über Inhalte führe, sitze ich fast immer Frauen gegenüber. Geht es um Vertragsverhandlungen, also im Zweifel um viel Geld, sitze ich fast ausschließlich Männern gegenüber. Ich liefere mit meinem Buch nur den Wetterbericht, ich mache das Wetter nicht. Ich hätte es gerne anders.
Was machen Frauen in Ihren Augen falsch?
Sie machen nichts falsch! Im Gegenteil. Männer hauen einfach eher auf den Putz. Ich erlebe immer wieder in Vorstellungsgesprächen, wie sich Männer gerne besser machen, als sie sind, und Frauen trotz bester Qualifikation eher zurückhaltend sind. Und leider ist es so, dass Mitarbeiter nicht nach dem entlohnt werden, was sie leisten, sondern nach dem, wie sie ihre Leistung verkaufen. Es gibt eine Studie der FU Berlin: wenn man im Vorstellungsgespräch eine Frau bittet, fünf Minuten über ihre Qualitäten zu reden, spricht sie eine Minute weniger. Der Mann hingegen eine Minute mehr. Das Interessante: die Entscheider nehmen den Bewerber mit der längeren Rededauer als kompetenter wahr.
Frauen sollen also mehr reden?
Sie sollen vor allem forscher und fordernder sein. Wenn Männer 500 Euro mehr wollen, fordern sie erst mal 800. Wenn Frauen mehr Gehalt wollen, fordern sie genau das, was sie haben wollen, weil sie den Bogen nicht überspannen möchten. Aber Verhandlungen funktionieren nicht logisch, sondern psychologisch.
Wie sind denn die wichtigsten Schritte einer erfolgreichen Gehaltsverhandlung?
Zunächst muss man sich eines bewusstmachen: eine Firma, die nicht insolvent ist, hat immer Geld. Die Frage ist nur, wo sie es investiert. Zweiter Punkt: ein „Nein“ ist ein rhetorisches Geräusch, das heißt nicht „Nein“, sondern ist eine Aufforderung, möglichst gute Argumente für eine Gehaltserhöhung zu bringen. Drittens: diese Argumente müssen überzeugend und hartnäckig angeführt werden, am besten schriftlich fixiert. Mit einer Alternative in der Hinterhand kann dann eigentlich nichts mehr schiefgehen. Man sollte also auch die Fühler anderweitig ausstrecken.
Frauen gelten nach wie vor schnell als zickig und hysterisch, wenn sie ihre Forderungen und ihre Kritik entsprechend anbringen.
Ich ermutige Frauen dazu, weiter so aufzutreten. Dann gewöhnen sich die Männer daran. Frauen treten noch zu selten so auf, es ist noch zu ungewöhnlich, zu exotisch, dass Frauen ihre Anliegen entsprechend vortragen. Ich würde allerdings empfehlen, gar nicht erst zu kritisieren, sondern gleich die Forderungen auf den Tisch legen.
Sie schreiben auch über die Stutenbissigkeit und darüber, dass Frauen oft Probleme mit weiblichen Vorgesetzten haben.
Das ist leider ebenfalls das Ergebnis einer Studie der Hamburger Wirtschaftsprofessorin Sonja Bischoff: „Wer führt in Zukunft? Männer und Frauen in Führungspositionen der Wirtschaft in Deutschland“. Daraus geht hervor, dass weibliche Vorgesetzte bei Frauen eine geringere Akzeptanz haben als bei Männern. Das hat auch mit Rivalitätsdenken zu tun.
Thema Job und Familie. Von Männern hört man gern: „Teilzeitarbeit und Teilzeitmutter – das ist doch super, ich würde gerne tauschen!“ Seltsamerweise tauschen sie aber höchst selten. Woran liegt das?
An den verhärteten Strukturen. Es gibt zu wenige Vorbilder und vielleicht auch zu viele Frauen, die sich mit der ihnen angestammten Rolle zufriedengeben. Das Schlimme: viele Männer in Deutschland sind sogar der Meinung, dass es jetzt langsam mal gut ist mit der Gleichberechtigung. Ich höre auch immer wieder das Argument, durch die Quote kämen nur Frauen nach oben, die gar nicht die entsprechende Qualifikation haben. Im Moment haben wir im Topmanagement eine Männerquote von 96 Prozent. Ich stelle die Frage: Können die wirklich alle gut managen?