Ein Besuch bei Karstadt gleicht derzeit einer ebenso skurrilen wie traurigen Schnäppchenjagd. Größer könnte der Kontrast zur schönen neuen Einkaufswelt der Milaneos und Gerbers nicht sein.

Stuttgart - Wäre die Königstraße die Kulisse eines Western, über Karstadt würden die Geier kreisen. Das oberste Stockwerk des einstigen Vorzeige-Kaufhauses ist bereits geschlossen. Bis zu 70 Prozent bekommen Schnäppchenjäger in den anderen Etagen auf die stark dezimierte Angebotspalette, bestehend aus Kosmetik, Klamotten und Kochgeschirr. Und nicht nur die Vertreter des Geiz-ist-geil-Dogmas kommen bei Karstadt derzeit auf ihre Kosten. Auch wer als Existenzgründer im Einzelhandel Ambitionen hat, kann an der Königstraße das große Los ziehen: Mit den Regalen, Tischen und Anrichten, die ebenfalls verkauft werden, könnte man an anderer Stelle problemlos ein neues Geschäft eröffnen. Ein Bummel durch das Warenhaus kurz vor der Schließung ist wie ein Spaziergang durch ein heruntergekommenes Museum des Einzelhandels. Denn größer könnte der Kontrast zur schönen neuen Einkaufswelt der Milaneos und Gerbers nicht sein.

 

Karstadt startet ähnlich wie Milaneo und Gerber

Dabei hat die Geschichte von Karstadt an der Königstraße und die der beiden neuen Konsumtempel ganz ähnlich begonnen. Werbung hängt in der ganzen Stadt, eine Eröffnungsgala mit TV-Prominenz und Oberbürgermeister, dazu von der Hoffnung auf dicke Gewinne strotzende Festreden auf die Zukunft des Stuttgarter Einzelhandels. Nein, die Rede ist nicht von den Eröffnungen von Gerber und Milaneo im vergangenen Jahr – die Rede ist von der Eröffnung der Karstadt-Filiale auf Höhe der Schulstraße im April 1996. Der Konzern sprach anlässlich des prunkvollen Fests gar von einem „Weltstadt-Warenhaus“.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Kaufhäuser der alten Schule in ihrer jetzigen Form vom Aussterben bedroht sind. Die Inszenierung von Schnellkochtöpfen und beschichteten Bratpfannen unweit der Wäscheabteilung ist ähnlich zeitgemäß wie das Eröffnen einer Videothek in einer Ära, in der Spielfilme via Internet über den Flachbildschirm flimmern. Der Anspruch, sämtliche Waren unter einem Dach anzubieten, beißt sich mit dem offenkundigen Wunsch vieler Kunden, sowohl bei ausgewiesenen Spezialisten einzukaufen als auch zusätzlich zum Konsum noch ein perfekt inszeniertes Einkaufserlebnis geboten zu bekommen. Insofern lässt sich der Wandel im stationären Handel kaum plastischer darstellen, als derzeit im Stuttgarter Karstadt kurz vor der Schließung.

In der Vergangenheit waren immer wieder Gerüchte im Umlauf, die vom unmittelbaren Aus des großen Kaufhauses an der Königstraße berichtet hatten. Als das Ende dann im Oktober vergangenen Jahres offiziell wurde, kam es trotz allem für viele überraschend. Das Vorgehen des Konzerns löste scharfe Kritik aus. „Im März 2014 hatte der damalige Arbeitsdirektor des Unternehmens noch gesagt, dass der Standort profitabel sei und man bei Karstadt mit der wirtschaftlichen Entwicklung in Stuttgart zufrieden wäre“, berichtete etwa der Landesfachsekretär der Gewerkschaft Verdi für den Bereich Handel, Wolfgang Krüger, im Oktober 2014.

Zu hohe Miete vom eigenen Unternehmen verlangt?

Das Problem soll die Miete gewesen sein. Die Königstraße zählt zu den teuersten Handelsstandorten der Republik. Zwar ist die Immobilie an Stuttgarts Einkaufsstraße im Besitz des Karstadt-Eigentümers René Benko. Doch soll die Signa Holding – die Firma des österreichischen Immobilienunternehmers – von der eigenen Marke, also von Karstadt, eine ungewöhnlich hohe Miete verlangt haben, das behauptet zumindest die Gewerkschaft Verdi.

Ursprünglich wurde dann der 30. Juni dieses Jahres als Enddatum für die Filiale genannt. Doch auf einmal ging alles nochmals deutlich schneller. Mitte Mai sollen die Lichter nun endgültig ausgehen. Das lange Ringen um die Zukunft des Warenhauses hat Spuren hinterlassen – vor allem bei der Belegschaft. Einige von denen, die von Beginn an bei Karstadt gearbeitet und verkauft haben, beschreiben die Jahre des Jobabbaus und der Sparrunden als Qual. Man hat auf Lohn verzichtet, um den Standort zu retten, und bekommt am Ende doch nur einen Tritt, so das Gefühl, das bei weiten Teilen der Mitarbeiter herrscht. Gesprochen wird darüber jedoch nur hinter vorgehaltener Hand. In Handelskreisen wird berichtet, das Warenhaus sei bei der langen Einkaufsnacht vor wenigen Wochen nicht mehr dabei gewesen, um die angespannte Stimmung im Betrieb nicht noch weiter zu strapazieren.

Nun steht der Handelsstandort Stuttgart vor der nicht unbedeutenden Frage; was passiert mit der bald freien Immobilie in bester Lage? Allen Versuchen, etwas anderes als Handel an der Königstraße zu etablieren, hat die Verwaltung in Form von Baubürgermeister Matthias Hahn (SPD) eine klare Absage erteilt. Aktuell liegt der Stadt ein Bauantrag vor, nachdem die Flächen aufgeteilt werden sollen. Dass die irische Billigmodekette Primark den Löwenanteil übernehmen wird, gilt in Maklerkreisen inzwischen als „ausgemacht“. Eine offizielle Bestätigung dafür gibt es aber bislang noch nicht.

Eine Stellungnahme von Karstadt zum Ende der Filiale, zum Ausverkauf oder zur Stimmung der Belegschaft ist derzeit nicht zu bekommen. Die Filialleitung in Stuttgart verweist auf die Konzernzentrale in Essen. Die schweigt zum Thema – auch zu den potenziellen Nachmietern.

Ein Museum für den Niedergang der Konsumkultur?

Die Zukunft der Karstadtfiliale scheint demnach noch nicht komplett in trockenen Tüchern. Viel spannender als der nächste Primark der Stadt wären ohnehin ganz andere Ideen für das Kaufhausmuseum. Wie wäre es zum Beispiel mit einem Fluxus II, analog zur spannenden Konsum-Zwischennutzung in der Calwer Passage am Rotebühlplatz? Eine riesige Zeitgeist-Mall nach dem Vorbild des Bikini Berlin mit Stuttgarter Labels, kleinen Shops und ähnlich ungewöhnlicher Gastronomie wie im Fluxus? Oder, noch viel konsequenter: Man nutzt die Fläche tatsächlich als ein riesiges Konsum-Museum, das zwischen den neuen Shoppingzentren an die alte Zeit des Einkaufens erinnert. Ein Stückchen Lerche hier, eine Prise Haufler dort. Und im Eingangsbereich eine Ausstellung des amerikanischen Fotografen Seph Lawless. Der dokumentiert in seinem Bildband „Black Friday“ auf eindrucksvolle Weise leer stehende Malls in den Vereinigten Staaten. Sinnbild für das Ende einer Ära in der Konsumkultur.