Tausende sind tot, verletzt oder auf der Flucht. Die Regierung des Bergstaats Nepal bittet das Ausland erneut um rasche Hilfe für sein Land.

Kathmandu - Unzählige Rauchwolken steigen über Kathmandu in den Himmel. Unten am heiligen Fluss Bagmati, am Pashupatinath Tempel vor den Toren der Stadt, drängen sich Hunderte Menschen. In langen Schlangen warten sie auf einen Platz, um ihre Toten zu verbrennen, wie es die hinduistischen Rituale vorschreiben. Doch die Verbrennungsstätten reichen nicht aus für all die Toten, die das Land zu beweinen hat.

 

Drei Tage nach dem schlimmsten Erdbeben seit 81 Jahren in Nepal, das große Teile des Kathmandu-Tals verwüstete, wird das Ausmaß der Katastrophe immer gewaltiger. Verzweifelt bat die Regierung am Dienstag erneut um schnelle Hilfe: „Wir brauchen Zelte, Trockennahrung, Decken, Matratzen und 80 verschiedene Arzneien.” Auch fehlten Hubschrauber, um zu den Eingeschlossenen zu gelangen.

Experten warnen vor dem Ausbruch von Seuchen

Derweil rollt die Hilfswelle an. Flugzeuge mit Hilfsgütern landen, Helfer aus aller Welt strömen ins Land. Die Zeit drängt. Millionen warten ohne Essen und Wasser auf Hilfe, viele sind abgeschnitten. Mindestens eine Million Kinder sind laut Unicef betroffen. Tausende fliehen aus Angst vor Nachbeben aus der Hauptstadt Kathmandu. Andere campieren im Freien, viele haben nicht mehr als eine Decke, um sich gegen Kälte und Regen zu schützen. Selbst Präsident Ram Baran Yadav schläft in einem Zelt, weil seine Residenz Risse aufweist.

Experten warnen vor dem Ausbruch von Seuchen. Immer weiter steigen die Opferzahlen – bis Dienstagnachmittag auf über 4000 Tote und mehr als 7000 Verletzte. Fast die Hälfte Kathmandus ist zerstört. Und noch weiß niemand, wie es in den Regionen rund um Lamjung aussieht, wo das Epizentrum lag. Viele Bergdörfer sind nur aus der Luft oder durch tagelange Gewaltmärsche zu erreichen. Experten befürchten das Schlimmste und noch viel mehr Tote. „Erste Informationen sprechen von totaler oder fast totaler Zerstörung”, sagt Jeremy Konyndyk vom USAID.

Auch Tausende ausländische Touristen sind in Nepal gestrandet. Botschaften versuchen, ihre Staatsbürger zu lokalisieren. Urlauber berichten von komplettem Chaos. Viele wollen das Land so schnell wie möglich verlassen, am Flughafen versuchen Hunderte, einen Flug zu ergattern. „Wir haben alle Angst. Es gibt nichts zu Essen”, sagt die Kanadierin Pierre-Anne Dube. Vielen geht das Geld aus, weil Geldautomaten nicht funktionieren.

Am Mount Everest wird weiter gebangt

Andere packen mit an. „Als ich hörte, dass die Krankenhäuser Freiwillige brauchen, habe ich mich sofort gemeldet”, erzählt die 28-jährige Heli Camarinha aus Portugal. Allerdings gibt es inzwischen auch Berichte, nach denen zumindest Kathmandu vor Helfern überquellen soll. „Es werden keine städtischen Rettungs- und Suchmannschaften mehr benötigt“, heißt es auf der Webseite des gemeinsam von den Vereinten Nationen und der Europäischen Kommission betriebenen Global Disaster Alert and Coordination System. Trotzdem sind viele Retter mit ihren Kräften am Ende, mit bloßen Händen graben sie nach Überlebenden. Überlastet sind auch die Ärzte und Schwestern, die in den Hospitälern zahllose Verletzte versorgen. Patienten liegen auf Matratzen auf den Straßen. „Wir stehen alle kurz vor dem Zusammenbruch”, sagte Laxmi Prasad Dhakal vom Innenministerium.

Auch am Mount Everest geht das Bangen weiter. Dort sitzen Hunderte Bergsteiger fest. Mindestens 400 sollen ausländische Kletterer sein, die den höchsten Berg der Welt bezwingen wollten. Doch der Trip geriet zum Albtraum. Das Beben trat eine Lawine los, die Teile des Basiscamps verwüstete, in dem sich 1000 Menschen aufgehalten haben sollen. Mindestens 19 Menschen starben, weitere werden vermisst. Auch in den höheren Camps 1 und 2 sind 100 Kletterer gefangen. Die Lawine hat die Rückroute über die Eisfälle zerstört. Am Dienstag begannen Hubschrauber, die Festsitzenden aus den höheren Camps ins Basiscamp zu fliegen.

Nepal gilt als Hochrisikogebiet

Experten fürchten, dass das Beben nur der Vorbote einer schlimmeren Katastrophe sein könnte, die das Land über kurz oder lang heimsuchen werde. Szenarien halten bis zu 350 000 Tote bei einem größeren Beben für möglich. Nepal ist der am dichtesten besiedelte Bergstaat der Welt und gilt als Hochrisikogebiet, weil dort die eurasische und indische Kontinentalplatte aufeinandertreffen.

Eine Ursache des wilden Baubooms ist die chaotische politische Lage. 2006 endete ein Krieg zwischen Maoisten und den Streitkräften mit der Abschaffung der Monarchie. Seither basteln die politischen Kontrahenten an einer Verfassung. Um die Bedrohung durch Erdbeben kümmerten sich weder Verwaltung noch Politik. Seit Jahren fordern Experten daher, zumindest Schulen und Krankenhäuser erdbebensicher umzubauen. Einige werfen den Verantwortlichen Versagen vor. „Erdbeben töten keine Menschen, unsichere Gebäude töten“, schrieb die „Nepali Times“ schon im vergangenen Jahr.