Beim Katholikentag in Mannheim sind Zehntausende im Glauben vereint, aber in den Kirchenfragen tief zerstritten.

Familie, Bildung, Soziales : Michael Trauthig (rau)

Mannheim - Der junge Mann macht aus seinem Herzen keine Mördergrube. Seine Ungeduld mit der katholischen Kirche, seine Enttäuschung über die Verkrustungen, aber auch seine Begeisterung für den Glauben – das alles bricht sich in diesem Moment Bahn. Michael Kreuzfelder steht auf dem Mannheimer Marktplatz und blickt zu den 15 000 Gläubigen, die beim Eröffnungsgottesdienst des Katholikentags für einen neuen Aufbruch beten. Die Sonne trägt den Sieg über die dunklen Wolken davon, während eine fromme Schar die Fußgängerzone bevölkert und sich auf den „Abend der Begegnung“ einstimmt. „Für die Teilnehmer ist das super“, sagt Kreuzfelder. „Die erleben Gemeinschaft, ein Festival. Das ist ihre emotionale Tankstelle für den Alltag.“

 

Kreuzfelder, der Gemeinderatsvorsitzende aus Essen, spricht aus, was die meisten der rund 33 000 Dauergäste auf dem Laientreffen denken. An erster Stelle steht für sie die Botschaft Jesu Christi. „Deshalb bin ich bei dem Laden“, sagt der 33-Jährige etwas flapsig mit Blick auf seine Glaubensgemeinschaft. Erst an zweiter Stelle kommt die Kirche, mit ihren guten und schlechten Seiten. „Wir brauchen dringend einen neuen Aufbruch“, sagt Kreuzfelder in Anspielung auf das Motto der Veranstaltung. Dann rattert er die Reformthemen herunter, die die Basis seit Jahren bewegen, ohne dass sich etwas tut: den Zölibat, die Sexualmoral, die Gleichberechtigung der Frauen und mehr Mitsprache für die Laien. „Es geht darum, an den Leuten dranzubleiben. Mich fragen Außenstehende doch oft, was machst du noch bei dem mittelalterlichen Haufen.“

Viele Gläubigen hoffen auf Veränderungen

Ludwig Müller ist zwar fast 40 Jahre älter als Kreuzfelder, doch die beiden sind Brüder im Geiste. Der stämmige Pfarrgemeinderatsvorsitzende aus Neckargerach stützt sich auf einen imposanten Pilgerstab. Auch er hofft auf Veränderungen, darauf, dass der Aufbruchsrhetorik der Veranstalter Taten folgen. „Die Kirche muss mehr auf die Menschen zugehen“, sagt der Mann mit dem Vollbart. Wiederverheiratete Geschiedene sollten zur Eucharistie gehen dürfen, Homosexuelle nicht ausgegrenzt werden, Frauen mehr Einfluss bekommen. „In letzter Zeit hat man aber den Eindruck, dass alles eingefroren wird“, sagt der pensionierte Techniker.

So viel Schwarzseherei passt nicht zur fröhlich-gelassenen Atmosphäre des Treffens. Eine Nonne, die mit dem Sagway durch die Gegend rauscht, strahlt wegen des neuen Erlebnisses. Sie hat auch keine revolutionären Forderungen. „Ich wünsche mir eine stärker dienende Kirche, wo sich Menschen geborgen fühlen.“ Konkreter werden da schon die Jugendlichen aus Walldürn, die sich in Mannheim auf ihre Firmung im November vorbereiten. „Wir haben Spaß hier“, sagt die 14-jährige Laura. Ein Foto mit irgendeinem Bischof haben sie schon als Erinnerung im Kasten und die Konzerte mit den Wise Guys, Stefanie Heinzmann und Luxuslärm noch vor sich. Jugendgottesdienste stehen auch auf dem Programm der Gruppe. Zwei sind Messdiener, und die 14-jährige Laura hat zur letzten Skifreizeit ein Gebetbuch mitgenommen, um jeden Tag Gott um Schutz vor einer Verletzung zu bitten.

Der dramatische Mitgliederschwund ist gestoppt

Gläubig sind die Teenager also, unkritisch aber nicht. Die Kirche soll cooler, die Musik in der Messe moderner werden. „Die Pfarrer müssen so reden, dass wir sie verstehen“, sagt die 14-Jährige Jana. Irgendwie ist die Truppe typisch für die Gäste des Katholikentags: Sie wissen um die Probleme, wollen sich aber davon nicht unterkriegen lassen. „Die Lage der Kirche lässt sich nicht über einen Kamm scheren. Sie ist in den Bistümern unterschiedlich“, sagt auch der Theologieprofessor Jochen Hilberath. In jedem Fall ist etwas Entspannung eingetreten seit 2010.

Da waren die Missbrauchsfälle bekannt geworden. In der Folge büßte die Kirche an Glaubwürdigkeit ein, verlor dramatisch an Mitgliedern. Rund 180 000 Menschen kehrten ihr den Rücken, fast 50 Prozent mehr als zuvor. Mittlerweile bewegen sich die Zahlen wieder auf dem alten Niveau. Das bedeutet aber auch: der Schwund setzt sich fort. „Wir werden als Kirche kleiner werden“, sagt der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Robert Zollitsch. Er wirkt ratlos, wie dem Trend zu begegnen ist. Auch im Blick auf den fehlenden Priesternachwuchs verwalten die Bistümer den Mangel und setzen die Nähe zu den Menschen aufs Spiel.

Seelsorge in den großen XXL-Gemeinden

Seit Jahren werden größere Einheiten, XXL-Gemeinden, geschaffen, um mit den wenigen Priestern auszukommen. Wenn ein Bischof solche Strukturmaßnahmen nutzt, um den Einfluss der Laien in Gemeinderäten und bei der Gestaltung des Gottesdienstes zurückzudrängen, kommt es leicht zum Aufstand wie in der Diözese Augsburg. Dort haben Tausende gegen die Pläne des Bischofs Konrad Zdasar protestiert. Den Progressiven steht eine konservativ-traditionalistische Gruppe gegenüber. Die ist zahlenmäßig nicht so stark, gewinnt aber unter Papst Benedikt XVI. an Einfluss. So geht ein Riss durch das Gottesvolk. Wie schwer es ist, die Lager beieinander zu halten, wird in Mannheim deutlich. 80 Gottesdienste und viele spirituelle Angebote unterstreichen die Frömmigkeit. Dennoch poltert der konservative Kardinal Joachim Meisner, es fehle dem Treffen „die katholische Mitte“. Nicht die Kirche, sondern die Gläubigen müssten aufbrechen. Der Papstvertraute lässt die Blütenträume der Reformer welken.