Von Januar an bilden die 44 katholischen Pfarrgemeinden Stuttgarts zwölf Seelsorgeeinheiten. Auch wenn der Stadtdekan Christian Hermes hier und dort schon neuen „Schwung“ verspürt, so ist ein Teil der Basis doch sehr verunsichert.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - In diesen Tagen bekommen die 44 Pfarrgemeinden der katholischen Kirche Post vom Stadtdekan Christian Hermes. Die meisten der 25 Seiten behandeln die Frage, wie eine neue Satzung der Gemeinden aussehen könnte, die von Januar an zu zwölf Seelsorgeeinheiten zusammengefasst werden. Bis Ende Januar sollen sie erklären, ob sie mit ihren jeweiligen Partnerpfarreien schon Anfang 2016 eine neue Gesamtkirchengemeinde gründen wollen oder erst 2017. Damit beginnt ganz formell die Umsetzung des Projekts „Aufbrechen“, mit dem Hermes seit 2011 die Neuordnung der katholischen Kirche in der Landeshauptstadt vorantreibt. „Die Route ist geplant, die Expedition vorbereitet“, sagt er. „Jetzt geht es los.“ Hermes ist zuversichtlich, dass die durchaus strapaziöse Tour ihr Ziel erreichen wird. Er hat auch schon einigen „kreativen Schwung“ in den neuen Verbünden ausgemacht. Doch an der Basis gibt es noch immer erhebliche Sorgen.

 

In der Gemeinde St. Georg in Nord, die mit St. Eberhard und St. Konrad nun eine Seelsorgeeinheit bildet, ist dieser Schwung zu spüren. „Ich finde es spannend, zur City-Kirche zu gehören und wie wir uns aufstellen werden zwischen diesen neuen Shoppingmalls“, sagt die Gemeindereferentin Christine Göttler-Kienzle. „Der Prozess wird mitgetragen“, ist ihr Eindruck, obwohl dies für die Ehrenamtlichen mit mehr Arbeit verbunden sei. Bereits dreimal haben sich die drei Pfarrgemeinderäte getroffen, per Stadtspaziergang haben sie sich gegenseitig ihre Gemeinden vorgestellt. Bald steht eine Klausur an, bei der es etwa darum gehen wird, wie die Jugendarbeit gemeinsam verbessert werden kann. Und Göttler-Kienzle als Hauptamtliche freut sich auf den geistigen Austausch im Dreierteam. Einen Nachteil für die Identität der Nordgemeinde sieht sie nicht. „Jede der drei Gemeinden hat ihr Profil – und der Norden bleibt der Norden.“

In der kleinen Pfarrei St. Thomas Morus in Heumaden herrscht eine ganz andere Stimmung. Dort muss man sich von den Gemeinden Kemnat und Ruit trennen, die nun zu Ostfildern kommen und mit denen man gemeinsam mit Sillenbuch eine Seelsorgeeinheit gebildet hatte. Stattdessen ist Heumaden Teil des Verbunds mit Sillenbuch, Plieningen, Birkach, Hohenheim und Degerloch, wo das Stadtdekanat ein neues Zentrum für Trauerpastorale aufbauen wird. „Die Zusammenarbeit ist noch schwierig“, sagt der Pfarrgemeinderat Alexander Feil. Das Gremium wollte die neue Zuordnung nicht, schon wegen der Entfernung nach Degerloch Allen Beteuerungen zum Trotz sei die Neuordnung „von oben nach unten durchgepeitscht worden“, findet Feil. Deshalb stellten sich die allermeisten Mitglieder des Kirchengemeinderats auch nicht mehr zur Wahl. „Ich mache auch nicht weiter“, sagt er.

Bestätigt fühlen können sich die Kritiker durch den Weggang des Pfarrers der bisherigen Seelsorgeeinheit. „Der hat sich gesagt: Ich bin doch kein Betriebswirt, ich bin Seelsorger“, erzählt Feil. Mit rund 14 000 Gläubigen sei die neue Einheit etwa doppelt so groß wie die bisherige. „Da sind wir das fünfte Rad am Wagen“, beschreibt der Kirchengemeinderat die Sorgen in Heumaden in dem neuen Verbund, der derzeit ohne Pfarrer ist. Christian Hermes sieht keine Alternative zu dieser Gebietsbereinigung. „Es tut mir leid, aber durch diesen Frust müssen wir jetzt gemeinsam durch.“ Und er hält der Kritik entgegen, dass man den Standort Heumaden gesichert habe durch die Erweiterung der Kita, wodurch die Gemeinde einige Räume verloren hat. Kleine Gemeinden mit großen und maroden Räumen gehören zu den Problemfällen unter den rund 200 kirchlichen Immobilien, die den Stadtdekan zum Handeln gezwungen haben. Bei 25 Millionen Euro liege der Investitionsbedarf in den nächsten Jahren, sagt Hermes. „Diese Belastungen müssen wir um die Hälfte senken.“ Zumal man die nächsten Jahre noch 30 Millionen Euro für den Kitabereich werde aufbringen müssen.

Weil das so ist, wird etwa die marode Kirche St. Peter in Bad Cannstatt abgerissen und durch eine kleinere ersetzt, auf dem Gelände baut die Stiftung Liebenau eine Behinderteneinrichtung. In Mühlhausen soll die Kirche St. Johannes Maria Vianney, ebenfalls aus den 60er Jahren, abgerissen und durch eine kleinere ersetzt werden. Passend zum pastoralen Schwerpunkt der Pfarrei will die Caritas dort eine Seniorenwohnanlage bauen, der Kindergarten in Mönchfeld wird erweitert. In Birkach wird die Kirche Vinzenz Palotti abgerissen, das Siedlungswerk baut dort Wohnungen für Familien, für Flüchtlinge und Studierende, auch die Kita wird neu gebaut und vergrößert.

Christiane Reim, zweite Vorsitzende des Plieninger Kirchengemeinderats, steht hinter den Plänen in Birkach: „Wie sollen wir mehr als 1,5 Millionen Euro aufbringen für eine Kirche mit 450 Plätzen, in die zuletzt 15 bis 20 Gläubige zum Gottesdienst gekommen sind? Die Leute sind mobil und gehen lieber nach Hohenheim.“ Reim ist auch der Meinung, dass die Kirche das Geld der Gläubigen nicht in marode Gebäude, sondern in soziale Projekte, in Kindergärten und für die „menschenwürdige Unterbringung von Flüchtlingen“ ausgeben sollte. Und dass in der Stadt Zentren für Trauerpastorale in Mariä Himmelfahrt in Degerloch, für die Jugendseelsorge in St. Nikolaus im Osten und für Spiritualität in St. Fidelis im Westen aufgebaut werden sollen, findet Reim „absolut notwendig für die innere Erneuerung der Kirche“. Nun in einem Punkt übt sie Kritik: „Die Kommunikation des Projekts Aufbrechen war zu sehr auf die Finanzen ausgerichtet und zu wenig auf die inhaltliche Erneuerung.“ Der Stadtdekan sieht das anders. Es sei ein Gebot der Ehrlichkeit, die wirtschaftliche Lage in aller Deutlichkeit darzulegen.

Jenseits dieser Debatte zeigt sich: viele Kirchenmitglieder sind verunsichert. „Die Menschen kommen mit dem Tempo dieses Prozesses nicht mit“, sagt Gabriele Fischer, Gemeindereferentin im Verbund von St. Maria im Süden, St. Antonius in Kaltental und von St. Josef in Heslach. Diese neue und durchaus heterogene Seelsorgeeinheit lebt schon seit 18 Monaten in der Zukunft, seit der Pfarrer von St. Maria in den Ruhestand gegangen ist und sich kein Nachfolger fand. So sei etwa ausgemacht, dass das Pfarrhaus und das Gemeindezentrum von St. Maria abgerissen werden, nennt Gabriele Fischer einen Grund für die „große Verunsicherung“ unter den Gläubigen, niemand wisse, wo sich die Senioren und der Chor künftig treffen werden. Auch Fragen, wie die Jugendarbeit oder die Altenseelsorge gemeinsam gestaltet werden könnten, seien nicht beantwortet. Fischer: „Wir bräuchten mehr Zeit, um zu überlegen, was sinnvoll ist.“