Eine Erzieherin und Mutter ist vom Streik mehrfach betroffen, da sie als Gruppenleiterin in einem städtischen Hort tätig ist und ihre Kinder nun selbst betreuen muss. Ihren Job will sie auch wechseln.

Stuttgart - Fünf Tage lang dauert der Ausstand der Erzieherinnen bereits, doch ein rasches Ende ist noch nicht in Sicht. Auch in der kommenden Woche werden die meisten der 178 städtischen Kitas sowie der Schülerhäuser geschlossen bleiben. So wollen es die Gewerkschaften. Der Gesamtelternbeirat (GEB) der städtischen Kitas ist nicht begeistert. In einem offenen Brief kritisiert das Elterngremium die kommunalen Arbeitgeberverbände.

 

Eltern sehen großen Personalmangel

„Ihre Arbeitgeberverbände sitzen das Ganze aus, während die Familien gezwungen sind, den Alltag mit Beruf umzuorganisieren und Urlaub zu opfern, und dabei auf eine schnelle Einigung hoffen“, schreibt der Stuttgarter GEB an die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände. Diese verschleiere Missstände, werfen die Eltern der Vereinigung der Arbeitgeberverbände vor. So würde in der Tarifmappe „Sozial- und Erziehungsdienst“ betont, dass die Stellenzahl, die Gehälter und die Ausgaben für Finanzierung von Kitas stark gestiegen seien. „Damit vermitteln Sie in der Öffentlichkeit den Eindruck, dass es in der Kindererziehung durch kommunale Träger zum Besten stehe, ja, keinen Mangel gebe.“

Doch dies stimme nicht, so das Elterngremium: „Es gibt nachweislich immer noch großen Personalmangel: Dies zeigt sich an fehlenden Spätdienstangeboten, zu wenig Krankheitsvertretungen, dem Wegfall von Bildungsangeboten innerhalb des Tagesablaufes und der nicht ausreichenden Anzahl an Betreuungsplätzen.“ In der Gehaltsstruktur besonders benachteiligt seien immer noch Kinderpflegerinnen, Stellenwechslerinnen und Beschäftigte in kleinen Einrichtungen. „Wir wollen in unseren Kitas gut ausgebildetes und qualifiziertes Personal, das neben der Wertschätzung der Eltern und Kinder eine gesellschaftliche Anerkennung erfährt, die auch in der angemessenen Einstufung des Berufs zum Ausdruck kommt“, verlangt der GEB – und dringt auf Gesprächsbereitschaft.

Anne Müller kritisiert fehlende Wertschätzung

Diese Forderungen würde auch Anne Müller (Name geändert) unterschreiben. Denn die Mutter dreier Kinder ist vom Streik gleich mehrfach betroffen, da sie als Gruppenleiterin in einem städtischen Hort beschäftigt ist und ihre Kinder nun selber betreuen muss. Dass der Streik, den sie inhaltlich unterstützt, allerdings ausgerechnet während ihrer Abiturprüfung stattfinde, „das war für mich der persönliche worst case“. Statt sich aufs Abi vorzubereiten – am Mittwoch habe die Kommunikationsprüfung Englisch stattgefunden – sei sie mit der Jüngsten zum Streiken gefahren.

Die 39-Jährige, die seit kurzem alleinerziehend ist, hat dreieinhalb Jahre lang parallel zu Job und Familie das Abendgymnasium besucht und würde ihren Job als Erzieherin gern an den Nagel hängen und Gymnasiallehrerin werden. Aktuell arbeite sie zwar nur zu 40 Prozent. „Doch selbst mit vollem Gehalt käme ich damit nicht gut über die Runden, ich müsste mir noch einen Nebenjob suchen. Ich möchte nicht ewig auf Unterhalt angewiesen sein.“ Dabei bereue sie es nicht, nach ihrer Erzieherausbildung in eine städtische Einrichtung gegangen zu sein – „man hat so viele Möglichkeiten der Teilzeitbeschäftigung“.

Doch es sei nicht nur die Geldfrage allein, die sie zu der Entscheidung bewogen habe, sich von dem bisherigen Beruf zu trennen, sagt Anne Müller. „Es ist auch eine Frage der Wertschätzung.“ Nicht nur seitens des Arbeitgebers, auch seitens der Eltern. Deren Anspruchshaltung sei sehr hoch. „Die Eltern verlangen, dass die Hausaufgaben perfekt zurückkommen müssen“, berichtet die Horterzieherin – „aber das ist gar nicht unser Job“. Von vielen Eltern komme hauptsächlich Kritik. „Man fragt sich dann schon, ob man vor dem Hintergrund einer so geringen Wertschätzung im Beruf vor seinen eigenen Kindern rechtfertigen kann, ihnen so wenig bieten zu können“, sagt Anne Müller.

Kein Verständnis für den Streik

Viele Eltern hätten kein Verständnis für den Streik, berichtet sie. Manche hätten gesagt: „Hättet ihr halt was anderes gelernt! Was beschwert ihr euch?“ Darauf kontere sie: „Der Beruf war eine Herzensangelegenheit – aber ich hab nicht gewusst, dass ich mal drei Kinder alleine großziehe.“

Unterdessen zeigt sich mancher Arbeitgeber auch großzügig: Neben der Stadt Stuttgart bietet auch das Regierungspräsidium Eltern die Möglichkeit, ihre Kinder während des Kitastreiks mit zur Arbeit zu bringen. Andere Arbeitgeber bezahlten Babysitter für ihre Mitarbeiter, wie ein Geschäftsführer berichtet. Und die Elterninitiative der Kita Bernsteinstraße ist nach einer Woche Improvisation auf der Jugendfarm und im Waldheim froh, nächste Woche die Kita in Eigenregie bespielen zu dürfen. Das habe Verdi-Geschäftsführer Cuno Hägele am Mittwoch zugesagt.