Mit viel Geld hat man bei Ertingen im Landkreis Biberach die Donau renaturiert. Dass das verjüngte Flussbett Lärm macht, wurde nicht bedacht. Zwei Familien müssen das jetzt ausbaden. Sie kämpfen um Lärmschutz – bisher vergeblich.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Ertingen - Wäre beim Dorf Binzwangen nicht die Donau verlegt worden, sondern eine Verkehrsstraße, es wäre nicht zu einem Lärmstreit gekommen, der seinesgleichen sucht. Dann wären in diesem Ortsteil der Gemeinde Ertingen (Kreis Biberach), noch während die neue Straße am Reißbrett entsteht, die Familien S. und J. angehört worden. Man hätte die Lärmentwicklung für direkte Anwohner erwogen und gegebenenfalls über Schutzmaßnahmen gesprochen.

 

Aber die Donau ist keine Straße und kein Schienengleis und auch keine Maschine wie ein Windrad. Für Flüsse gibt es keine TA Lärm, also eine Verwaltungsvorschrift zum Schutz des Menschen gegen Immissionen. Genauso wenig wie für einen Berg, den Wind oder die Vögel. Das ist grundsätzlich vernünftig. Aber was richtig ist, kann sich trotzdem falsch anfühlen, wie sich im Donaudorf gezeigt hat.

Dort ist, auf Veranlassung noch der schwarz-gelben Landesregierung, von 2009 bis 2010 ein grünes Vorzeigeprojekt entstanden, eine Flussrenaturierung im großen Stil. Der Landesbetrieb Gewässer des Regierungspräsidiums Tübingen ließ auf einer Länge von 2,7 Kilometern ein neues Flussbett ausheben. Das alte hatte sich über die Jahrzehnte bis auf Felsengrund gegraben, die Fließgeschwindigkeit des Wassers war immer höher geworden, zum Schaden von Fauna und Flora. Heute, sagt der Binzwanger Ortsvorsteher Wolfgang Gaber, kämen Studenten aus halb Europa zur Besichtigung, 20 zertifizierte Naturführer stünden für Erklärungen bereit.

Wie neben einer Autobahn

Das Fachpublikum bestaunt dann auch eine neue Wasserschwelle, genannt Raue Rampe. Das Wasser plätschert zwischen großen Gesteinsbrocken abwärts, so können Fische weiterhin ungehindert flussaufwärts ziehen. Die Rampe wurde nötig, um einen Höhenunterschied zwischen altem und neuem Flussbett zu nivellieren. Man habe bei der Planung, sagt Wolfgang Gaber, „an alles Mögliche gedacht: Fische, Bienen, Grundwasser, Überschwemmungsflächen. Bloß nicht daran, dass das Lärm macht.“ Das galt für den Ertinger Gemeinderat ebenso wie fürs Regierungspräsidium. „Die betriebsbedingten Lärmimmissionen des geplanten Rampenbauwerks oberhalb von Binzwangen können (. . .) als unerheblich bezeichnet werden“, steht in einer Umweltverträglichkeitsstudie vom Mai 2008.

Auf der Wohnhausterrasse der Familie S., erhöht hinter einem Wäldchen am Fluss gelegen, hört sich die Donau seit dreieinhalb Jahren an „wie eine Autobahn, und da zieht permanent ein Lkw vorbei“. So sagte es der im Juni noch amtierende Spaichinger FDP-Landtagsabgeordnete Leo Grimm nach einem Vorortbesuch im Auftrag des Petitionsausschusses des Landtags. Im Schlafzimmer von Frau S. im Obergeschoss sind 56 bis 58 Dezibel gemessen worden – 365 Tage im Jahr rund um die Uhr. In den vergangenen Monaten waren auch der Ertinger Bürgermeister, der Biberacher Landrat und Sigmaringer Verwaltungsrichter da. Alle standen vor dem schönen Haus der Familie S. aus den 90er Jahren mit den ausladenden Balkonen, lauschten, nickten und erkannten an, dass dieses Wasserrauschen wirklich störend sei. Bloß: getan hat sich bis heute so gut wie nichts.

Falsch beraten

Während der Petitionsausschuss sich der Lärmsache annahm, hatten die Familien S. und J. einen Anwalt konsultiert und im Mai 2010 beim Verwaltungsgericht Sigmaringen Klage eingereicht. Das habe geschehen müssen, weil die Fristen sonst abgelaufen wären, sagt Ortsvorsteher Wolfgang Gaber. Die Kläger seien offensichtlich juristisch falsch beraten worden, hätten trotz der Warnungen des Richters, auf Hilfsanträge auszuweichen, Maximalforderungen wie eine Überdeckelung des Flusses gestellt, erinnert sich Gaber, der bei der entscheidenden mündlichen Verhandlung im März 2011 im Publikum saß. Wenig später wies das Gericht die Klage ab (Aktenzeichen 6 K 109119). Hätten die Kläger hilfsweise den Bau einer Lärmschutzmauer ins Spiel gebracht, wäre wohl anders entschieden worden, glaubt der Ortsvorsteher. Aber es war zu spät. Was blieb, war die Auflage für das Regierungspräsidium, im Obergeschoss des Wohnhauses der Familie S. Lärmschutzfenster einzubauen.

Der Landtags-Petitionsausschuss befürwortete später einen Mauerbau, beauftragte auch das Umweltministerium damit. Doch von dort kam mit Hinweis auf das Landeshaushaltsrecht eine Absage. Die Situation sei zwar für die Betroffenen „schwer zu ertragen“, so ein Sprecher aktuell. „Aber für uns ist das Gerichtsurteil in der Sache bindend, wir dürfen nicht am Urteil und am Gesetz vorbei mit Steuergeldern handeln.“ Keineswegs sei das als Revanche dafür zu verstehen, heißt es auf Nachfrage, dass Bürger das Land mit einer Gerichtsklage herausgefordert haben. Der Ertinger Gemeinderat hat die Weigerung des Umweltministeriums in einer öffentlichen Stellungnahme gleichwohl als „Verweigerungshaltung“ bezeichnet. Ertingen würde sich an den Kosten für eine Lärmschutzwand beteiligen, heißt es, „wenn das Land Baden-Württemberg Maßnahmen ergreift, die den Petenten bisher im Petitionsverfahren und durch Landtagsbeschluss zugesichert wurden“.

Es geht um Kosten von etwa 120 000 Euro

Es gehe, sagt Wolfgang Gaber, um Baukosten von 120 000 bis 150 000 Euro für 60 Meter Mauer. Landtagsabgeordnete von CDU und FDP versuchen derzeit, zu einem parteiübergreifenden Antrag zu kommen, das Geld als Posten in den nächsten Haushalt einzubringen. Frau S. schläft seit Monaten im Keller ihres Hauses. Sie ist krank, will selber nicht mehr sprechen. Ortsvorsteher Gaber sagt, es gehe doch auch um die „Glaubwürdigkeit von Politik“.