Die Frankfurter Buchmesse ist die weltweit bedeutendste Veranstaltung ihrer Art: hier treten Bestseller-Autoren wie Dan Brown und Ken Follett auf. Halten ihre neuen Romane, was sich Millionen Leser versprechen?

Frankfurt - Die Geschichte des Spannungsromans begann vor nicht ganz hundert Jahren: In „Blaue Augen“ des viktorianischen Romanciers Thomas Hardy rutscht der Protagonist Thomas Knight am Ende des 21. Kapitels an einem Felsvorsprung aus. Er kann sich gerade noch an einem Büschel Gras festkrallen. Tief unter ihm tost das Meer. Nur Knights Angebetete, die Pfarrerstochter Elfride, ist in der Nähe. Der Weg ins Dorf dauert eine Dreiviertelstunde. „Das reicht nicht. Ich kann mich nur noch zehn Minuten halten“, ruft der verzweifelte Knight. Wird Elfride rechtzeitig Hilfe holen können?

 

Die Leser der Zeitschrift „Tinsleys’s Magazine“, in der Hardys Fortsetzungsroman 1873 erschien, mussten sich gedulden. Die Auflösung erwartete sie erst in der folgenden Ausgabe. Die Szene aber wurde so berühmt, dass der Trick, eine Handlung an der spannendsten Stelle abzubrechen, seitdem als Cliffhanger bezeichnet wird. Er ist keineswegs so einfach, wie es scheint. Wer den Bogen überdehnt, spannt den Leser nicht auf die Folter, sondern macht sich lächerlich. Dieser Fehler passiert selbst Routiniers. Auf der Frankfurter Buchmesse treten in dieser Woche zwei der erfolgreichsten Autoren auf. Beide gelten als Meister des Cliffhangers: der Amerikaner Dan Brown und der Brite Ken Follett. Erfüllen ihre neuen Romane, was sich Millionen von Lesern erhoffen?

Dan Browns Symbolforscher Langdon tritt zum fünften Mal an

Dan Brown hat es leichter. In „Origin“ tritt zum fünften Mal seit „Illuminati“ der Symbolforscher Robert Langdon an, allerlei Codes zu knacken, um der Welt ein großes Geheimnis zu entreißen. Im erfolgreichsten (zweiten) Langdon-Roman, „Sakrileg“ (mit Tom Hanks verfilmt), hetzte Brown seine Leser auf einer Schnitzeljagd quer durch Europa zu Sehenswürdigkeiten vom Louvre bis zu Westminster Abbey, um ihnen die Wahrheit über Maria Magdalena und den Heiligen Gral zu offenbaren. Das Prinzip, Kryptologie mit touristischen Highlights zu kombinieren, nutzte der Autor in den Folgebänden mit erlahmender Kraft. „Origin“ beginnt mit einer weltweit im Internet verfolgten Präsentation im Guggenheim-Museum in Bilbao. Langdons Freund und ehemaliger Muster-Student, der stinkreiche Zukunftsforscher Edmond Kirsch, hat angeblich mithilfe eines Supercomputers die beiden größten Rätsel der Menschheit gelöst: Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Die Auflösung, da ist sich der radikale Atheist Kirsch sicher, werde die Weltreligionen in ihren Grundfesten erschüttern.

Statt das Ergebnis seiner Forschung in einer wissenschaftlichen Zeitschrift wie „Science“ zu publizieren, inszeniert Kirsch eine Show, die eher an die Verkündigung des Siegers von „Deutschland sucht den Superstar“ erinnert. Just in dem Moment (nach 150 Seiten!), in dem Kirsch zum Punkt zu kommen scheint, wird er auf offener Bühne erschossen. Kryptologe Langdon setzt von nun an alles daran, den Rest der Präsentation der ganzen Welt zugänglich zu machen. Unterstützt wird er von der Direktorin des Museums, die zufällig auch die Verlobte des spanischen Kronprinzen ist. Dazu müssen die beiden Kirschs Passwort knacken und in den Supercomputer eintippen. Dunkle Kräfte wollen dies mit einer Verfolgungsjagd verhindern. Steckt ein mächtiger katholischer Bischof dahinter? Oder die ultrakatholische Sekte der Palmarianer? Gar der Kronprinz selbst? Die iberischen Touristenwerber wird es freuen, dass die folgenden Schauplätze von Antoni Gaudís Sagrada Família in Barcelona und einem Hotel in Sevilla bis zum Palacio Real in Madrid und zum Kloster El Escorial sich zu einer hübschen Spanien-Rundreise fügen.

Hohe Hürde: Die Lösung der letzten Fragen der Menschheit

Das Prinzip des Cliffhangers verlangt, dass die Auflösung der Spannung den Leser sowohl erleichtert als auch befriedigt. Wer verspricht, die letzten Fragen der Menschheit zu lösen, muss eine hohe Hürde nehmen. Bei „Origin“ hat Kirschs spektakuläre Enthüllung am Ende leider nur die Brisanz eines Arte-Themenabends. Sollten die Vertreter der großen Weltreligionen deswegen ernsthaft in Panik geraten sein? Das Kliff, von dem der Bestsellerautor seine Helden stürzen lässt, ist leider kaum mannshoch.

Während Brown sich sicher sein kann, dass seine Leser nicht wissen, wie die Handlung weitergeht, muss sein englischer Kollege Ken Follett genau damit rechnen. „Das Fundament der Ewigkeit“ ist die zweite Fortsetzung des Mittelalter-Welterfolgs „Die Säulen der Erde“. Ein historischer Roman vor dem realen Hintergrund der europäischen Geschichte zur Mitte des 16. Jahrhunderts. In den Wirren der Reformation bekriegen sich in England und Spanien, in Frankreich und den Niederlanden Katholiken und Protestanten. Folletts Protagonisten sind in der einen oder anderen Weise Nachfahren der Kathedralen-Erbauer des ersten Bandes in dem fiktiven englischen Städtchen Kingsbridge: Der Kaufmannssohn Ned Willard schlägt sich auf die Seite der protestantischen englischen Thronanwärterin Elisabeth; sein Rivale Rollo Fitzgerald will der katholischen Maria Stuart auf blutige Weise zum Thron verhelfen.

Wie stets platziert Follett seine fiktiven Figuren geschickt im Dunstkreis der realen. So erleben sie Geschichte als persönliche Geschichten. Ein einigermaßen bewanderter Leser weiß, dass Elisabeth ihre Rivalin köpfen lassen wird, dass in der Bartholomäusnacht in Frankreich Protestanten hingemetzelt werden und die Engländer die spanische Armada besiegen. Follett gelingt dennoch ein Sog, der den Leser über mehr als tausend Seiten mitreißt. Er versetzt ihn nämlich in die Köpfe der handelnden Personen – die nicht ahnen, wie die Ereignisse ausgehen.

Wie geht es weiter? Wohin gehen wir? Weil wir Menschen das eben nicht wissen, schreibt die Wirklichkeit noch immer die besten Cliffhanger.

Fakten-Check: Was taugen die neuen Bestseller?

Das Fundament der Ewigkeit von Ken Follett

Was ist die Handlung? England, Mitte des 16. Jahrhunderts im Städtchen Kingsbridge. Im Schatten der Kathedrale treffen der Kaufmannssohn Ned Willard und der Sohn des Bürgermeisters, Rollo Fitzgerald, zum ersten Mal als Gegner aufeinander. In den folgenden Jahrzehnten entfaltet sich ihre Feindschaft in den Wirren der Reformation in England, Frankreich, Spanien und den Niederlanden – zumal Ned Rollos Schwester Margery liebt.

Um was geht es? Religiöse Toleranz und religiöser Fanatismus ringen nicht nur in unserer Gegenwart miteinander. Sie haben ihre blutige Spur im Europa der frühen Neuzeit hinterlassen. Der Roman schreibt die Weltbestseller „Die Säulen der Erde“ und „Die Tore der Welt“ fort.

Wer ist der Autor? Ken Follett wurde 1949 in Cardiff (Wales) geboren. Zunächst arbeitete er als Journalist. Sein erster literarischer Erfolg war der Thriller „Die Nadel“. „Die Säulen der Erde“ wurde in einer ZDF-Umfrage zum drittbeliebtesten Buch der Deutschen gewählt.

Was ist von dem Buch zu halten? Ein spannender, geschickt konstruierter Roman, der die Grausamkeit der Konfessionskriege vor Augen führt und ein Stück europäischer Geschichte lebendig macht.

Ken Follett: Das Fundament der Ewigkeit. Bastei-Lübbe. 1168 Seiten. 36 Euro.

Origin von Dan Brown

Was ist die Handlung? Der Zukunftsforscher Edmond Kirsch hat das Rätsel von Ursprung und Zukunft der Menschheit gelöst. Seine Enthüllungen würden alle Religionen erschüttern. Kirsch will sie einem weltweiten Publikum präsentieren. Mitten in seinem Vortrag im Guggenheim-Museum wird er erschossen. Der Kryptologe Robert Langdon will der Welt Kirschs Antworten verkünden. Von dunklen Mächten wird er dabei quer durch Spanien gejagt.

Um was geht es? Um religiöse Toleranz, die Evolution, künstliche Intelligenz, eine ultrakatholische Sekte und das ziemlich aufwendige Coming-out des spanischen Königs.

Wer ist der Autor? Dan Brown, geboren 1964, erfand für den Thriller „Illuminati“ die Figur des Kryptologen Robert Langdon, der auch in den weiteren Büchern „Sakrileg“, „Das verlorene Symbol“ und „Inferno“ auftritt. Der Autor lebt mit seiner Frau, einer Kunsthistorikerin, in New Hampshire.

Was ist von dem Buch zu halten? Dan Browns Roman erinnert an Dokumentationen auf ZDF Info: Mit viel Tara werden gewaltige Enthüllungen angekündigt – die sich am Ende als Banalitäten erweisen. (msr)

Dan Brown: Origin. Bastei-Lübbe. 672 Seiten. 28 Euro.