Derweil sich in den Backnanger Stuben jetzt alles um Steaks dreht, haben Gourmets mit der Kerzenstube eine neue Adresse. Testesser Matthias Ring ist voll des Lobes, positiv unter anderem: das Preis-Leistungs-Verhältnis.

Lokales: Matthias Ring (mri)

Backnang - Viel Rauch um Nichts“, könnten konservative Gourmets unseren Abend in der Kerzenstube kommentieren. Zum einen, weil die Raucharomen dominierten, zum anderen, weil sich manches – pulverisierter Lauch und supersofte Perlzwiebeln – im Mund sofort auflöste. „Augenzwinkern“ nennt Sascha Wolter das; sowie er beim Rundgang nach dem Menü fragte, ob wir „Spaß“ gehabt hätten. Ja, für einen guten Spaß beim Essen sind wir immer zu haben, wenn er nicht zu sehr auf Kosten des guten Geschmacks geht.

 

Wir kennen Wolters Kochkünste aus den Backnanger Stuben, in denen er sich jetzt auf hochwertige Steaks konzentriert. Gourmettrips werden nun im ersten Stock des Dekohauses Caférieur Rilke angeboten, der nach einer Testphase dauerhaft bespielt wird. Bis zu achtmal täglich mache sich der Geschäftsführer und Küchenchef in Personalunion derzeit auf den andert-halbminütigen Fußweg, um in beiden Stuben nach dem Rechten zu schauen.

Positiv: das Preis-Leistungs-Verhältnis

In der Kerzenstube sitzt man auf Korbstühlen in der Weite des Raumes zwischen Ausstellungsstücken und allerlei Lichtern. Was beim Blick in die Karte sofort positiv auffällt, ist das gute Preis-Leistungs-Verhältnis sowohl bei den Weinen als auch den Speisen. An unserem Abend gab es sieben Gänge für 89 Euro, wir haben uns für drei festgelegte (49 Euro) und fünf nach Wahl (74 Euro) entschieden. Mit Ziegenkäse als Marshmallow, einem „Hanuta“ mit Steinpilzfüllung und einem Shot vom Sud der Ofenkartoffel ging es lustig los. Bei den Vorspeisen hat uns die fruchtig-frische Kombination von Topinambur, grünem Apfel (als Ragout und flambierter Schaum), Haselnuss und Forelle mehr überzeugt als das Tatar von der Ofenkarotte mit fermentiertem Saft, Arganenöl und schaumstoffartigen Petersilienknäueln. Hier kam erste Skepsis auf, ob jedes Überführen in eine andere Konsistenz dem Geschmack förderlich ist, mehr noch beim dehydrierten und pulverisierten Lauch, der sich wie eine Erdhalde über eine glasierte Stange und herzhafte Hähnchenflügel ausbreitete.

„Ganz anders“ bedeutet nicht immer „richtig gut“

Besser fanden wir den intensiven Lorbeersud mit „feiner Zwiebel“ und Salzzitrone zum Rochenfilet. Zum geschmorten Milchkalb floss als Special Effect Eigelb aus den geräucherten Ravioli, bei den Desserts gefiel uns das Kamilleeis des einen, das zweite hieß „Milchreis ganz anders“, eine symptomatische Ansage, wobei „ganz anders“ nicht immer „richtig gut“ bedeuten muss. Thai-Mango und Espresso Granité mundeten vorzüglich – die beinharte Puffreisplatte bereitete uns weniger Freude.

Wir zweifeln nicht, dass Sascha Wolter weiterhin einen Michelin-Stern verdient, der vom Stammhaus in die Kerzenstube wandern wird, wenn auch erst im nächsten Jahr. Der Gast kann sich nun entscheiden, ob Gourmetmenü hier oder Steakkarte da – und wir sind bei aller Detailkritik froh, dass die Kochkunst nicht ganz auf dem Grillaltar der Fleischeslust geopfert wird.

Kerzenstube, Marktstr. 44, 71522 Backnang, Tel. 07191-912 79 37, www.restaurantkerzenstube.de, Dienstag bis Samstag ab 18.30 Uhr

Die Bewertung:

Küche ****

Service ****

Ambiente ***

***** = herausragend, **** = überdurchschnittlich, *** = gut, ** = Luft nach oben, * = viel zu verbessern

Die Beurteilung berücksichtigt auch das Preis-Leistungs-Verhältnis. Das günstige Lokal um die Ecke wird nach anderen Kriterien bewertet als ein Sternerestaurant. Der Test gibt Aufschluss über die Tagesform der Küche.