Sami Khedira ist sehr heimatverbunden. Deshalb hat der Weltmeister gestern Fellbach besucht. Seine Familie wohnt bis heute dort. Und alte Weggefährten werden nicht müde zu sagen, der Sami sei einer von ihnen geblieben.

Sport: Gerhard Pfisterer (ggp)

Fellbach - Dass die Oeffinger so sind, wie sie sind, ist historisch bedingt. Das Dorf war bis 1810 in bayerischem Besitz und bildete lange eine katholische Enklave in einer protestantischen Gegend. Über die Eingemeindung nach Fellbach anno 1974 sind manche der knapp 7000 Einwohner bis heute unglücklich. Es existiert sogar eine Untergrundgruppierung namens „Freiheit für Oeffingen“, die immer wieder Protestaktionen startet.

 

Heimatverbundenheit und Zusammenhalt wird bei den Oeffingern groß geschrieben, da macht auch Sami Khedira, der berühmteste Oeffinger, keine Ausnahme. „Ganz Oeffingen ist stolz auf Sami“, sagt Michael Bren (54), der Fußball-Abteilungsleiter des TV Oeffingen. „Er ist einfach einer von uns.“ Und der 27-Jährige ist einer der 23 Superhelden des deutschen Sports, die bei der Fußball-WM in Brasilien nach dem 1:0-Finalsieg über Argentinien den goldenen Pokal überreicht bekamen.

Nach einem Südostasienurlaub mit seiner modelnden Verlobten Lena Gercke macht Sami Khedira gestern einen Abstecher in seinen Heimatort, um mit seinen Fans eine WM-Party zu feiern. Dort, wo alles anfing: auf dem Sportgelände Tennwengert. Das Stadion wird bei der Gelegenheit dann gleich auch noch nach ihm benannt. „Das ist eine große Ehre“, sagt Sami Khedira. „Ich bin stolz, ein Oeffinger zu sein.“

Zuerst muss noch ein Rostbraten her

Die 2000 Fans auf dem Sportgelände müssen warten. Sami Khedira, erst am frühen Morgen in Europa gelandet, hat schon Verspätung beim vorangehenden Empfang im Rathaus, wo er sich zunächst vor versammelter Lokalprominenz ins Goldene Buch der Stadt Fellbach einträgt: „Entschuldigen Sie mein Aussehen, ich bin ein bisschen müde, ich bin schon 24 Stunden auf den Beinen – aber das hier wollte ich mir nicht nehmen lassen.“

 VfB-Präsident Bernd Wahler im Kurzinterview

Bernd Wahler ist auch da. Von seinem Traum, Sami Khedira zurückzuholen, spricht der Präsident des VfB Stuttgart diesmal aber nicht: „Ich habe so etwas ja schon mal gesagt, das wurde mir dann kräftig um die Ohren gehauen. Er ist als Weltmeister in Regionen, die für uns schwer zu stemmen sind im Moment. Aber es wäre natürlich toll, wenn jemand wie er seine Karriere irgendwann mal beim VfB beenden würde.“ 40 Reporter, Kameramänner und Fotografen drängen sich um die besten Plätze. Politiker machen Fanbilder mit dem Star, der Fellbacher Oberbürgermeister Christoph Palm fotografiert gleich mit.

Auch nach der Ankunft des Weltmeisters auf dem Oeffinger Sportgelände müssen die Fans sich noch gedulden. Er braucht etwas zu essen. Rostbraten, das hatte er sich – ganz der Schwabe – gewünscht. Eine Stärkung für den Weg, denn direkt nach der Party wird es in einen Kurzurlaub mit seinem Bruder Denny und Freunden weitergehen. Erst am 5. August steigt der von hartnäckigen Wechselgerüchten begleitete Mittelfeldspieler wieder bei Real Madrid ins Training ein. Sagt er zumindest.

Mit einer Dreiviertelstunde Verspätung kommt Sami Khedira dann auf die Bühne. „Geil, dass ihr da seid – dafür hat sich die Reise in die Heimat gelohnt“, ruft er der mittlerweile im Regen stehenden Menschenmenge zu. „Egal, was man für eine Karriere macht, wo es einen hinverschlägt, man sollte immer wissen, wo man herkommt, wo seine Wurzeln liegen.“

Sami Khedira am Beginn seiner Karriere Foto: StZ

„Oeffingen grüßt seinen Weltmeister Sami Khedira“ steht auf den riesigen Bannern, die seit dem deutschen WM-Sieg im Ort hängen. Der Nationalspieler hat davon schon vor seiner Stippvisite gestern mitbekommen. Aus dem Urlaub postete er ein Bild mit einem diesem Grußbanner auf der Internet-Fotoplattform Instagram und schrieb dazu: „Oeffinger Junge ein Leben lang – #TVOe #worldchampion #2014“.

TVOe, das ist die Abkürzung für seinen Heimatverein, für den sein Bruder Denny in der Bezirksliga spielt. In weißer Hose, buntem Trikot und pinkfarbenen Stutzen machte Sami Khedira 1993 auf dem Oeffinger Tennwengert als F-Junior seine ersten Karriereschritte. „Ich habe mir schon immer ausgemalt, dass er mal Nationalspieler wird“, sagt sein erster Trainer Roland Ihring, der für die WM-Party einen Tag Urlaub genommen hat und nach einem Foto mit seinem abgeschirmten Ex-Schützling die Faust ballt. „Er hat damals schon eine Riesenkondition gehabt. Ich hatte manchmal das Gefühl, als hätte er drei Lungen – er ist immer für zwei bis drei Jungs gerannt.“

Der 58-Jährige hat den Weltmeister auch schon in seinem Wohnzimmer kicken sehen. Denn sein heute 27-jähriger Sohn Timo war nicht nur Mitspieler, sondern von der ersten bis zur siebten Klasse Sami Khediras Nebensitzer. „Er war einer von uns, hat mit uns mittags auf dem Bolzplatz gekickt, auch wenn wir zehn Klassen schlechter waren“, sagt Timo Ihring. In seinem Freundebuch aus Grundschulzeiten gibt der kleine Sami Michael Jackson als Lieblingsmusik an und Pommes als Lieblingsspeise. In der Rubrik „Hobbys“ steht genau das gleiche Wort wie bei „Das möchte ich werden“: Fußballer!

Das Besondere an ihm ist das Normale

„Er wusste genau, was er will“, sagt Timo Ihring, der seine Mittagspause für die WM-Party streckt und in der VIP-Zone eine Zigarette raucht. „Er war für jeden Spaß zu haben. Als bei uns das erste Bier kam, hat er sich aber zurückgehalten – er war schon immer sehr karrierebewusst.“ Er beschreibt ihn als ruhigen Kumpeltyp, um den sich die gemeinsame Gastmutter beim England-Austausch schon mal Sorgen wegen seiner Schüchternheit machte: „Ich muss immer lachen, wenn ich sehe, was er jetzt für abgeklärte Interviews gibt.“

Auch Sami Khediras erste Klassenlehrerin Sonja Kauffeldt (61) von der Oeffinger Schillerschule ist mit zwei Kolleginnen zu der WM-Party auf den Tennwengert gekommen. Sie hat den gefeierten Weltmeister ebenfalls als zurückhaltenden Buben in Erinnerung: „Er war sehr unauffällig. Er war keiner, der lautstark nach vorne getreten ist. Fußball war ihm schon immer das Wichtigste.“ Genau so hat ihn der pensionierte Oeffinger Rektor Hagen Jeutter erlebt, der auch der Lieblingslehrer des jungen Sami war. „Er hatte schon immer Bodenhaftung, hat viele schwäbische Eigenschaften“, sagt der 70-Jährige vor seinem Auftritt als Interviewpartner des SWR-Moderators Michael Antwerpes. „Das Besondere an ihm ist das Normale.“ Die bekannteste Familie Oeffingens heißt mittlerweile nicht mehr Rombold, Rothwein, Schweizer oder Stetter, sondern Khedira. Zwei neu gebaute Häuser mit gemeinsamem Pool sind ihr Rückzugsort, wo Sami im April auch seinen Geburtstag mit Gästen wie dem angesagten Musiker Cro und einem Feuerwerk feierte. Das heißt aber nicht, dass die Khediras sich von den anderen Menschen abgrenzen; nur Presseanfragen lehnen sie kategorisch ab.

Mutter Doris arbeitet im Schreibwarengeschäft

Ganz normale Leute sind das, die sind auf dem Teppich geblieben, sagen die Oeffinger. Mutter Doris arbeitet wie eh und je im Schreibwarenladen vor Ort. Vater Lazhar, der aus Tunesien stammt und früher niederklassig als Torwart spielte, ist eigentlich immer bei den TVOe-Heimspielen des mittleren Sohns Denny (22) zu sehen, der für Sami auch das Marketing macht. Der jüngste der drei Khedira-Brüder, Rani (20), wechselte kürzlich vom VfB zum Zweitligisten RB Leipzig.

Sami Khedira ging 1995 als E-Junior vom TVOe zum VfB, den er 2007 in seiner ersten Bundesligasaison mit dem 2:1 am letzten Spieltag gegen Energie Cottbus zur deutschen Meisterschaft köpfte. Damals durfte er sich erstmals ins Goldene Buch der Stadt Fellbach eintragen. „Einmal Oeffinger, immer Oeffinger“, schrieb er. Bei der WM-Party bekommt er von dem fein gemachten, stolzen Fußball-Abteilungsleiter Michael Bren ein TVOe-Trikot überreicht, auf dem dieser Spruch vorne draufsteht.

Zum Abschied stimmt Sami Khedira noch ein „Die Nummer eins der Welt sind wir“ an. Dann dröhnt „Atemlos“ von Helene Fischer aus den Boxen, der Vorzeige-Oeffinger und seine Familie schießen kleine weiße Fußbälle ins Publikum. Es ist ein bisschen wie beim großen Empfang für die Nationalelf in Berlin. Nur ohne Helene.