Der Pädagoge Jo Ungemach hat 38 Jahre lang auf dem Abenteuerspielplatz gearbeitet. Dabei hat er sehr unterschiedliche Generationen von Flüchtlingskindern kennen gelernt. Nun macht sich der 65-Jährige vom Platz. Er geht in den Ruhestand und will endlich mal ausschlafen.

Aus den Stadtteilen: Kathrin Wesely (kay)

S-West - Angezählt wirk Jo Ungemach eigentlich nicht. Dabei ist er bloß noch diese Woche da, dann wird er nach 38 Jahren dem Abenteuerspielplatz den Rücken kehren. Seine Klientel hat den 65-Jährigen nicht bloß auf Trab, sondern offensichtlich auch frisch gehalten. Ein Grund mehr, den Kontakt zum Abi-West nicht komplett abreißen zu lassen. Ungemach bleibt im Verein und er wird regelmäßig mit seiner Band, die aus ehemaligen Kindern vom Abenteuerspielplatz und Eltern besteht, zum Proben herkommen. Im Übrigen will er die Modernisierungsarbeiten des Abi-eigenen Tonstudios, die anstehen, begleiten. „Aber zuerst mal werde ich ausschlafen, wo ich jetzt nicht mehr zur Arbeit muss.“

 

Kinder mit vollem Terminkalender

Ungemach hatte 1978 als junger Pädagoge beim Abenteuerspielplatz angefangen. „Ich war 28, genauso alt wie mein Nachfolger, der jetzt kommt. Ein gutes Einstiegsalter“, urteilt Ungemach. Als er selbst anfing, war der Abi eine matschige Wiese mit ein paar Bretterbuden. Heute steht dort ein komfortables Gebäude mit großer Halle zum Tollen, mit Werkstätten, einem Kino, einem Tonstudio, einem Büro und einem Raum für Versammlungen.

Auf seinem beruflichen Endspurt im vergangenen Jahr ist er noch ein Mal mit einer völlig neuen Klientel konfrontiert worden – mit Bürgerkriegsflüchtlingen aus Syrien. In den zurückliegenden Jahrzehnten hat Ungemach Kinder und Jugendliche unterschiedlicher Generationen und Herkunftsländer kennengelernt.

Die Flüchtlingskinder in den 1990er Jahren, die der Krieg im ehemaligen Jugoslawien nach Stuttgart und auf den Abenteuerspielplatz geführt hatte, sei ein komplett anderes Kaliber gewesen: „Da kamen die Jungs zu uns auf den Platz und haben Krieg gespielt. Die haben sich gegenseitig beschossen und auch viel kaputt gemacht. Ich erinnere mich, dass sie die komplette Blitzableiteranlage am Haus runtergerissen haben. Das war jeden Tag Krisenmanagement.“ Aufgefallen sei ihm auch ein ausgeprägtes Machogehabe. „Mädchen kamen so gut wie gar keine. Und von Frauen haben sich die Jungs nichts sagen lassen. Wir waren damals völlig überfordert. “

Bildung macht den Unterschied

Ungemach glaubt, dass ein Grund für das aggressive Verhalten der Flüchtlingskinder damals war, dass sie nirgends richtig aufgefangen wurden. „Diese Willkommenskultur und all die Betreuungsangebote, die den Menschen heute gemacht werden, gab es damals noch nicht. Die Menschen mussten mit ihren Traumata alleine fertig werden.“ Sehr sprechend findet Ungemach, dass man die Neuankömmlinge in den 1990er Jahren als „Asylanten“ bezeichnete. „Heute sagt man ‚Flüchtlinge‘.“ Die Situation sei heute eine komplett andere. Die Kinder aus Syrien, sagt er, „unterscheiden sich eigentlich nicht von unseren Kindern hier. Die passen gut zusammen.“ Auf dem Abenteuerspielplatz tollen sich Kinder und Jugendlicher aller Nationalitäten. Die Herkunft sei eigentlich kein Thema, sagt der Pädagoge. „Bildungsunterschiede spielen eine wichtigere Rolle als die Nationalität, es ist egal, wo einer herkommt.“ Kinder aus bildungsfernem Elternhaus neigten eher zu Vorurteilen. „Sie sind insgesamt derber, distanzieren sich und finden Sicherheit nur in sehr engen Grenzen.“

Innerlich versucht Jo Ungemach seit einer Weile, sich für den Ruhestand zu wappnen. Er hat sich vorgenommen, sich mehr der Musik zu widmen, eigene Kompositionen und Arrangements zu schreiben. Außerdem erwartet ihn im Remstal ein Stückle, mit Wald und einem Hüttchen drauf. Reisen steht natürlich auch auf der Agenda. Aber die bevorstehende Lebensveränderung verunsichert den alten Hasen schon ein bisschen: „Ich werde ich mich jetzt selbst besser kennen lernen.“