Eltern müssen einiges beachten, wenn sie ihrem Nachwuchs Medikamente geben.

Stuttgart - Es ist später Sonntagabend, der Fünfjährige fiebert, die Packung mit den Zäpfchen ist alle und die diensthabende Apotheke ausgerechnet am anderen Ende der Stadt. Zum Glück liegen im Medikamentenschrank noch ein paar Fieberzäpfchen der großen Schwester, die ist erst elf – was soll da schon schiefgehen?

 

Eine ganze Menge, sagen Experten und raten dringend davon ab, Kindern Medikamente zu geben, die nicht für ihr Alter zugelassen sind. Der kindliche Organismus ist im Wachstum, Organe entwickeln sich. Die Leber muss sich erst auf ihre lebenslange Aufgabe einstellen, auch die Nieren sind in den ersten Jahren mit Feinjustierung beschäftigt. Immunsystem und Stoffwechselkreisläufe funktionieren noch nicht wie bei einem Erwachsenen. Und in der Pubertät kommt ein chaotischer Mix aus Hormonen hinzu. All das spielt eine Rolle dabei, wie eine Substanz auf den Körper wirkt, betont Dirk Mentzer vom Paul-Ehrlich-Institut, dem deutschen Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel.

Lebensgefährliche Überdosis

„Erst seit etwa 20 Jahren gibt es umfangreichere Untersuchungen dazu, welchen Einfluss Medikamente auf den kindlichen Organismus haben“, sagt der Kinderarzt. So habe man etwa herausgefunden, dass die Menge bestimmter Enzyme, die in der Leber Arzneimittel abbauen, altersabhängig stark schwankt. Das führt mitunter dazu, dass Kinder unter zwei Jahren die doppelte Dosis dessen nehmen müssen, was für Erwachsene empfohlen wird.

In anderen Fällen wiederum wäre das hochgefährlich. Eine Faustregel, wie Dosen von Erwachsenen auf Kinder heruntergerechnet werden können, gibt es nicht. „Im Alter zwischen drei und zehn Jahren wachsen Kinder, werden aber nicht dicker. Hier kann ich also nicht exponentiell rechnen, sondern muss das sich verändernde Verhältnis von Körpergröße zu Gewicht beachten“, erklärt Mentzer. Und das für jede Substanz individuell.

Zulassung für Kinder

Damit Eltern sicher sein können, dass ein Medikament ihrem Kind nicht schadet, verpflichten die europäischen Arzneimittelbehörden die Hersteller von Medikamenten seit zehn Jahren dazu, die Wirkstoffe auch für die Verwendung bei Kindern zu untersuchen. Ob diese Untersuchung stattgefunden hat und das Medikament für Kinder zugelassen ist, steht im Beipackzettel unter Indikationen und Anwendungsgebiete. „Der Prozess ist noch nicht abgeschlossen, es kann also durchaus sein, dass sich bei manchen Medikamenten noch kein Hinweis auf die Zulassung für Kinder findet“, sagt Mentzer. Das bedeute dann nicht automatisch, dass das Mittel ungeeignet sei, doch hier empfiehlt sich auf jeden Fall, mit dem Arzt Rücksprache zu halten.

Etwa 20 Prozent der Arzneimittel, die Ärzte regelmäßig verwenden, sind nicht für Kinder zugelassen, schätzt Mentzer. Dazu zählen blutdrucksenkende Mittel und Medikamente gegen Krampfleiden sowie bestimmte Antibiotika. Unter ärztlicher Kontrolle im Krankenhaus werden solche Stoffe im Notfall aber auch Kindern gegeben.

Gut gemeint ist nicht gut gemacht

Dirk Mentzer warnt vor gut gemeinten Medikamentengaben, die schnell zu einer Überdosierung führen können. Ein Klassiker sind Heuschnupfentropfen, sogenannte Antihistaminika. „Das Kind leidet an der Allergie, die Eltern haben die frei verkäuflichen Tropfen zu Hause rumstehen und geben sie ihm. Das ist eigentlich ungefährlich. Doch dann geben die Eltern die Tropfen nochmals, weil sie irgendwie nicht zu wirken scheinen – so wird rasch eine Überdosierung erreicht, die zum Atemstillstand führen kann“, erklärt Mentzer. Es hat bereits Todesfälle nach solchen versehentlichen Überdosierungen gegeben.

Das Gleiche gilt für Sprays, die viele Kinder gegen Asthma verschrieben bekommen, sogenannte Betamimetika. Wenn die einmalige Anwendung keine Wirkung zeigt, wird gerne wiederholt gesprüht – das kann zu Herzrasen und Herzrhythmusstörungen und damit zum Tod führen. „Die wichtigste Regel lautet hier, keine Versuche mit einer Selbstmedikation zu unternehmen, sondern sich genau daran zu halten, was der Arzt gesagt hat, und im Zweifel Rücksprache mit ihm oder einem Apotheker zu halten“, sagt Mentzer.

Stiefkind Kinderheilkunde

Dass die Kinderheilkunde in Sachen wissenschaftlicher Untersuchungen ein Stiefkind ist, findet auch Angela Caduff Good. „Da sind einfach immer noch viele Informationslücken vorhanden, die dazu führen, dass wir nicht immer wissen, ob ein Medikament für ein Kind sicher ist oder nicht“, sagt die Fachapothekerin vom Kinderspital Zürich. Sie weist darauf hin, dass die in einem Beipackzettel aufgeführten Nebenwirkungen eines Arzneimittels oft Studien mit Erwachsenen entnommen sind. „Es kann sein, dass die Substanz auf einen kindlichen Körper ganz anders wirkt und vielleicht Nebenwirkungen verursacht, die man nicht erwartet oder die beim Erwachsenen in dieser Art gar nicht beschrieben sind“, sagt Caduff Good.

Sie empfiehlt daher, ein Kind, dem man ein Medikament gibt, immer im Auge zu behalten und eventuelle Auffälligkeiten dem Arzt oder Apotheker zu berichten. So sei es auch immer möglich, dass – wie Erwachsene auch – Kinder oder Jugendliche allergisch auf ein Mittel reagieren, unabhängig davon, ob es richtig dosiert ist oder nicht. Oder ein Medikament wird versehentlich überdosiert, wenn Eltern zum Beispiel zum gleichnamigen, aber höher dosierten Fieberzäpfchen der großen Schwester greifen.

Keine kleinen Erwachsenen

„Es ist für Laien oft schwierig, eine Überdosierung zu erkennen“, sagt Caduff Good und fügt an: „Dafür braucht es einen guten Indikator. Wenn ein Medikament zum Beispiel laut dem Beipackzettel als Nebenwirkung müde macht, mein Kind aber wirklich extrem müde wird, dann würde ich schon stutzig werden.“ In einem solchen Fall könne der Giftnotruf kontaktiert werden: „Dort erhält man sehr kompetente Auskunft.“ Generell rät sie zu einem bedachten Umgang mit Medikamenten und empfiehlt Eltern, sich stets zu sagen: Kinder sind keine kleinen Erwachsenen.

Altersgerechte Darreichungsform

Verpackung
Dass viele Medikamente für Erwachsene für Kinder ungeeignet sind, zeigt sich oft schon in ihrer Form: Tabletten, Zäpfchen, Kapseln sind zu groß. Arzneimittel, die hauptsächlich für Kinder gedacht sind, liegen daher meist in einer entsprechenden Darreichungsform vor, solche, die für Kinder und Erwachsene gleichermaßen geeignet sind, gibt es meist in mehreren Varianten.

Faustregel
Als Faustregel sollte man sich daran orientieren, dass Kinder unter sechs Jahren Flüssigkeiten bekommen, danach sind die meisten in der Lage, auch eine Tablette zu schlucken. Achten Sie beim Arzt darauf, welche Darreichungsform er auf das Rezept des Kindes schreibt. Wenn Sie beispielsweise wissen, dass Ihr Zehnjähriger Probleme damit hat, eine Tablette zu nehmen, fragen Sie direkt nach einem Saft.