Der Stuttgarter Kinderbuch-Autor Mathias Jeschke möchte Kinder mit seinen Geschichten stärken.

Stuttgart - Ein kleines Mädchen erträgt den ewigen Streit seiner Eltern nicht mehr. „Ich zieh zu Frau Maiwald!“, ruft es aus. Papa und Mama halten inne und wenden sich dem Kind zu. Diese Szene aus dem Bilderbuch „Was meine Eltern von mir lernen können!“ ist typisch für die Geschichten von Mathias Jeschke. Ein Kind äußert spontan seine Gefühle, knipst so bei den Erwachsenen gleichsam ein Licht an und bekommt die Aufmerksamkeit und Nähe, die es braucht. Matthias Jeschke möchte mit seinen Büchern kleine Leser stärken: „Ich will dem Kind klar machen, du kannst für das, was dir wichtig ist, deine eigene Sprache finden, Position beziehen und sagen ‚so geht’s mir damit’.“

 

In einer anderen, eher leisen und dennoch genauso emotionsreichen Geschichte beobachtet ein Junge einen weinenden Mann auf der Straße. Er ist gebannt, besorgt und irgendwie auch froh, dass dieser Fremde seinen Gefühlen freien Lauf lässt. Am Abend erzählt er seinem hinter einer Zeitung verschanzten Vater davon. Der schaut das Kind an und nimmt es schließlich in den Arm.

In der gemütlichen Wohnung eines Mehrfamilienhauses in Stuttgart-Vaihingen, wo der Autor mit seiner Frau Tanja Jeschke, ebenfalls Kinderbuchschriftstellerin, der vierzehnjährigen Adoptivtochter und der neunjährigen Pflegetochter lebt, erklärt er im Hinblick auf die Töchter: „Es fing an mit dem kleinen Jungen in mir. Mir sind die Stimmungen und Gefühle als Kind noch sehr präsent. Die Geschichten würde ich auch erzählen wollen, wenn diese zwei wunderbaren Mädels nicht in mein Leben getreten wären.“

Eine Stellenanzeige führte in den Süden

Mathias Jeschke, groß, schlaksig, mit intensivem Blick aus dunklen Augen, ist ein zugewandter Mensch. Er mag Lesungen in Schulen und Bibliotheken, begrüßt die Kinder per Handschlag, fragt sie nach ihren Namen. Es geht ihm um die Wahrnehmung des Gegenübers. Als etwa die jüngere Tochter strahlend wie der Sonnenschein hereinflitzt, obwohl sie der Regen gerade aus dem Freibad vertrieben hat, und einen Blick auf das vor der Besucherin stehende angesagte Saftschorle-Fläschchen wirft, sagt er sofort, sie dürfe sich auch eines in der Küche nehmen. Es passt, dass er ursprünglich Pfarrer werden wollte.

Aufgewachsen in der Lüneburger Heide, entschied er sich nach Abitur und einer kurzen Zeit auf hoher See, evangelische Theologie in Göttingen zu studieren. Germanistik wäre für den Vielleser auch ein mögliches Fach gewesen, Lehrer werden wollte er allerdings nicht. Das Berufsbild Pfarrer hat für ihn ebenfalls mit Lesen und Schreiben zu tun – und mit Leuten zu reden, unterwegs zu sein. Doch der 1963 geborene Jeschke gehört der „Babyboomer-Generation“ an, für die es damals zu wenig Stellen gab. Da traf es sich gut, dass er während des Studiums, welches ihn auch nach Heidelberg und Rostock führte, Gedichte schrieb und in diesem Kontext immer wieder Verlagsarbeiten übernehmen konnte. Eine Stellenanzeige der Deutschen Bibelgesellschaft brachte ihn 1999 nach Stuttgart. Die Mischung aus Lektoratserfahrung und Theologiestudium erwies sich als stimmig für den Job, das Kinder- und Hörbuchprogramm des hiesigen Verlags zu leiten. Seit einigen Jahren in Teilzeit arbeitet er hier nach wie vor als Lektor.

„Eigentlich bin ich Lyriker“, gibt Mathias Jeschke zu. Zahlreiche Gedichtbände für Erwachsene, aber auch ein wunderschönes für Kinder – „Wie das Wiesel dem Riesen den Marsch blies“, illustriert von Jens Rassmus – zeugen davon. Seit 2012 ist der umtriebige Literaturfreund auch als Herausgeber der Reihe „Lyrikpapyri“ aktiv. Sechzehn Bücher sind mittlerweile beim in der Uckermark ansässigen Horlemann Verlag erschienen.

Lust an der Wortakrobatik

Im fröhlich blau gestrichenen kleinen Arbeitszimmer von Jeschke steht ein Regal mit Lyrik für Erwachsene und eines voller Kinderbücher. Die Kinderbuchprosa ereilte ihn über zwei Momente. Mathias Jeschke lernte das Bilderbuch „Mein erster Fisch“ von Hermann Schulz mit Bildern von Wiebke Oeser kennen, dessen künstlerischer Gesamteindruck ihn – Originalton – „high“ stimmte: „Wie das zusammengeht!“, schwärmt er. Und dann gab es die Würth-Literaturpreis-Ausschreibung mit dem Thema „Die Geschichte vom Lastkran, der eine Schiffssirene sein wollte“, die ihn so ansprang, dass er „die Geschichte aufgefaltet vor sich“ sah – und prompt einen Preis dafür erhielt. Bis zur Veröffentlichung des gleichnamigen Buchs 2005 war es allerdings noch ein gewisser Weg. Aber schon hier, mit sprechenden Bildern von Katja Gehrmann gepaart, spürt man sein Anliegen, einem Kind zu Ichstärke zu verhelfen, damit es sagt, was es fühlt, was auch hier einen Impuls bei einem Erwachsenen auslöst und zu einem aufmerksameren, froheren Miteinander führt. Die Lust an der von der Lyrik kommenden Wortakrobatik mit inhaltlicher Tiefe zieht sich durch, etwa in dem Bilderbuch „Peter Pumm sucht einen Freund“, das mit Begriffen wie „Kokolores“, „Firlefanz, „Larifari“ spielt, wenn der auberginenhaft gezeichnete kleine Protagonist einen Freund sucht, den er längst an seiner Seite hat.

Unwillkürlich kommt die Frage auf, ob sich das schreibende Ehepaar Jeschke über die eigenen Texte austauscht. „Selten“, meint Mathias Jeschke, „aber wenn, sage ich immer mehr zu Arbeiten meiner Frau als umgekehrt. Bin wohl auch vom Typ her Lektor und begleite gerne.“ Da ist es wieder, dieses freundlich Zugewandte, das den anderen wahrnimmt. Gut, dass Mathias Jeschke nicht Pfarrer geworden ist, denn als Autor erreicht er mit seiner warmherzigen, klugen Art ein größeres Publikum.

Werke

Das erfolgreichste Buch von Mathias Jeschke ist „Der Wechstabenverbuchsler“ mit dem Folgetitel „Der Wechstabenverbuchsler im Zoo“, beide trefflich illustriert von Karsten Teich und im Boje Verlag erschienen. „Die Flaschenpost“ mit Bildern von Katja Gehrmann (Hinstorff Verlag) erzählt eine unglaubliche, aber wahre Geschichte.

Buchtipps

Mathias Jeschke empfiehlt kleinen und großen Lesern die Opa-Enkel-Story „Rote Wangen“ von Heinz Janisch, bebildert von Aljoscha Blau (Aufbau Verlag) und für die, die sich gern gruseln „Unterm Bett liegt ein Skelett“ von Arne Rautenberg mit Zeichnungen von Nadia Budde (Peter Hammer Verlag) sowie Jutta Richters berührende Erzählung „Hechtsommer“ (Hanser Verlag).