In Bad Wimpfen erzählen Kinder ihren Altersgenossen die Geschichten in der Stadtgeschichte.

Bad Wimpfen - Vorneweg ein Ortskundiger, der Jahreszahlen herunterbetet, gefolgt von genervten Erwachsenen, die ihren gelangweilten Nachwuchs hinter sich herziehen: Stadtführungen wie diese treiben Kindern das Interesse an Geschichte aus. Wie es anders geht, ist den Sommer über in Bad Wimpfen (Kreis Heilbronn) zu erleben. Hier führen nämlich Kinder Kinder - und deren Eltern, die dieser etwas anderen Stadtführung ebenfalls einiges abgewinnen können.

 

Sonntag, kurz nach 14 Uhr am Rathaus von Bad Wimpfen. 20 Erwachsene und Kinder haben für jeweils drei Euro Karten bei der städtischen Mitarbeiterin Ilona Nolte gelöst. Selbstbewusst nehmen die beiden Kinderstadtführerinnen auf der Treppe Aufstellung: „Hallo und herzlich willkommen zu unserer Kinderstadtführung.“ Lucie (14) trägt zu türkisfarbenen Fingernägeln ein bodenlanges weinrotes Gewand; Marlene (12) hat über die Jeans ein sackartiges Leinenhemd und eine rosafarbene Schürze gezogen, die langen Haare sind mit einem Kopftuch aus der Stirn gebunden. Dann geht’s los auf die Tour durch die Altstadt.

Jahrhundertelange Geschichte

Bad Wimpfen blickt auf eine lange Geschichte zurück. Die Stationen der einstündigen Kindertour durch die denkmalgeschützte Stadt unterscheiden sich nicht von üblichen Stadtführungen, das Vorgetragene freilich schon. Schon die Römer siedelten am strategisch wichtigen Zusammenfluss von Kocher, Jagst und Neckar. Jahrhunderte später errichtete der Stauferkaiser Friedlich I. Barbarossa oberhalb des Neckars die größte Kaiserpfalz nördlich der Alpen, und auch die Reichsstadtzeit hat ihre Spuren hinterlassen. Rathaus, Blauer Turm, Steinhaus, Palas, Roter Turm, Spitalgässchen, Spital, Adlerbrunnen, Badgasse, Zehntscheuer. „Kinder sehen ihre Stadt aus einem anderen Blickwinkel als Erwachsene“, sagt Nolte, die das Projekt seit Jahren betreut und die jugendlichen Führer ausbildet, „sie interessieren sich für die Geschichten in der Geschichte.“

Die Großen können mit den Kleinen kaum Schritt halten

Das Wahrzeichen der Stadt, der Blaue Turm markiert den höchsten Punkt. Für Kinder interessanter ist eine Maueröffnung über dem heutigen Eingangstor. „Das ist ein Abort-Erker“, erklärt Lucie, der eigentliche Eingang habe sich früher auf einer anderen Seite befunden. „Warum?“, lässt sie raten: „Ganz einfach, sonst hätte man das Geschäft ja auf den Kopf gekriegt.“ Zwei kleine Jungs lachen laut, die Erwachsenen lächeln. Exkremente sind ohnehin ein Dauerbrenner. Im Roten Turm machen die Mädchen auf einen mehrfach gewundenen Gang zur ehemaligen Toilette aufmerksam: „Damit es innen nicht so gerochen hat.“ Die Kinder nicken, das leuchtet ein. Dann wird es schön gruselig. Marlene zeigt Waffen aus dem Mittelalter, etwa den Menschenfänger, einen langen Metallstab mit einem Zahnkranz an der Spitze, der Verbrecher in Schach hielt. Mit wachsender Begeisterung folgen die Kinder ihren Führerinnen, die immer mehr an Tempo zulegen. Bei der Kinderstadtführung haben eher die Großen Probleme, mit den Kleinen Schritt zu halten. Fünf Mädchen und zwei Jungs sind in diesem Jahr als Kinderstadtführer beschäftigt. Die Talentsuche erfolgt über eine Ausschreibung im Stadtanzeiger oder per Mund-zu-Mund-Propaganda.

Auf die Ausbildung in Theorie und Praxis folgt als Generalprobe eine Stadtführung von Eltern und Geschwistern, dann sind die Kinder fit. Die erwachsenen Begleitpersonen sind ehrenamtlich dabei, die Jungen bekommen pro Auftritt ein Taschengeld von sieben Euro. Ihr Motiv scheint aber woanders zu liegen. So gerne Lucie („Ich find’s cool“) im Mai wieder die Hauptrolle spielen möchte: Bei der Besetzung der nächsten Führung muss Nolte ein Machtwort sprechen. Die anderen wollen ja auch mal drankommen.

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