In der Einrichtung werden Mädchen und Buben seit etwa einem Jahr in Vovinam unterrichtet.

Zuffenhausen - Das Kinderhaus Girasole ist an der Schrozberger Straße beheimatet – mitten in einem Brennpunktgebiet, wie der Verwaltungsleiter der privaten Kindertagesstätte, Peter H. Beverley, sagt. Etwa 40 Mädchen und Buben im Alter zwischen zwei und sechs Jahren werden in der Einrichtung betreut. Viele von ihnen kommen aus Migranten- oder sogenannten benachteiligten Familien. Wenn der Kindergarten dann am späten Nachmittag schließt, sind viele der Mädchen und Buben auf dem Spielplatz unterwegs. Dabei seien sie nicht selten auf sich allein gestellt, sagt Beverley. Konflikte zwischen den Kindern und Jugendlichen seien nicht ungewöhnlich. Wenn es zu Streitigkeiten oder auch einmal zu einem Gerangel komme, sollen die Mädchen und Buben wissen, wie sie am besten reagieren können, sagt Beverley. „In unserer Einrichtung lernen die Kinder gegenseitige Achtung, Respekt, Toleranz und Solidarität.“ So steht es auch im Leitbild des Kinderhauses.

 

Doch das reicht nicht: Seit rund einem Jahr gibt es nun einen neuen Baustein im Konzept des Kinderhauses, der dabei helfen soll, dass die Kinder zum einen die Attribute aus dem Leitbild noch stärker verinnerlichen und zum anderen dabei auch noch ihr Selbstvertrauen gestärkt wird. Der Baustein heißt Vovinam, eine vietnamesische Kampfkunst. Einmal pro Woche lernt eine Gruppe von zehn Kindern im Alter zwischen fünf und sechs Jahren, sich selbst zu verteidigen. Wie das funktioniert, zeigt ihnen Familienpädagogin Marion Richter, die im Kinderhaus arbeitet und privat seit 13 Jahren Vovinam trainiert.

Die Prüfung ist ein Novum

Gemeinsam mit Assistentin Rachele Santucci zeigt sie nun den Mädchen und Buben im Kinderhaus beispielsweise wie sie sich aus einer Umklammerung lösen oder den Hemdkragengriff anwenden können. „Das sind aber alles reine Befreiungstechniken“, sagt Richter. Die Kinder sollen sich verteidigen können, wenn sie beispielsweise auf dem Spielplatz in eine unangenehme Situation geraten. „Das langfristige Ziel ist, dass die Kinder nicht wegsehen, sich einmischen und andere verteidigen. Das kommt aber alles erst mit der Zeit“, sagt Richter. Zuerst einmal sollen sie ihre Angst verlieren und Selbstvertrauen tanken. „Das klappt.“ Die Fortschritte seien bei jedem deutlich zu erkennen.

Vor kurzem haben die zehn Kinder nun auch ihre erste Prüfung abgelegt – in der Vovinam Akademie in Stuttgart-West. „Das ist für einen Kindergarten ein Novum“, sagt Beverley. Und alle Mädchen und Buben haben bestanden.

Die Gruppe wird nun in wenigen Tagen aber ihr Training im Rahmen der Betreuung im Kinderhaus Girasole beenden. Im neuen Kindergartenjahr werden dann andere Mädchen und Buben mit Vovinam lernen, wie sie sich verteidigen können. „Es ist aber mein Herzenswunsch, dass auch die Kinder aus der aktuellen Gruppe weitermachen können, wenn sie wollen“, sagt Richter. Grundsätzlich bestehe die Möglichkeit in der Akademie in Stuttgart-West, kostenlos zu trainieren. Doch für manche Eltern dürfte der Weg dorthin wohl zu weit sein. „Wir arbeiten gerade an einer Lösung, damit die Kinder weiterhin diesen Sport praktizieren können. Es hat ihnen einfach sehr gut getan, und sie haben viel dabei gelernt“, sagt Beverley. Er sei frohen Mutes, dass es klappen werde. Egal wie, egal wo.