Der französische Schauspieler François Cluzet („Ziemlich beste Freunde“) sagt im Interview zu seinem neuen Film „Der Landarzt“ warum er keine Filmfestivals mag, wie junge Regisseure ihre Inkompetenz verbergen und weshalb man keine Kunst machen kann, wenn man Menschen für Idioten hält.

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München - In Thomas Liltis Film „Der Landarzt von Chaussy“ (Filmstart: 8. September) stellt François Cluzet einen knorrigen Arzt in der Provinz dar. Er verliebt sich in eine Kollegin (Marianne Denicourt), die ihm assistiert, als er wegen einer Erkrankung beruflich kürzer treten muss. Bei dem Gespräch über den Film in einem Konferenzzimmer des feinen Bayerischen Hofes in München ist der französische Schauspieler glücklicherweise bester Dinge – allerdings immer noch genauso um den Berufsstand des Landarztes besorgt wie im Film. -

 
Monsieur Cluzet, ist der „Der Landarzt von Chaussy“ auch eine Rehabilitation für den Landarzt Charles Bovary, den Gustave Flaubert in seinem Roman als provinziellen Dummkopf dargestellt hat?
(Lächelt). Nein. Das Thema hat eher etwas mit der Biografie des Regisseurs Thomas Lilti zu tun, der auch Arzt ist, viele Vertretungen auf dem Land übernommen hat und davon erzählen will.
Aber sympathischer ist der von Ihnen gespielte Arzt Jean-Pierre Werner doch als Charles in Flauberts Roman „Madame Bovary“?
Ja, das schon. Lilti zeigt in seinem Film aber vor allem politische und soziale Probleme dieses Berufes auf. Die junge Ärzte wollen nicht mehr auf dem Land leben. Deshalb gibt es eine Verödung in der Provinz und eine Entwertung des Berufes. In Frankreich finden Sie enorm viele Ärzte in der Stadt und enorm viele an der Côte d’Azur, aber sehr, sehr wenige auf dem Land. Warum? Weil die auch ein schönes Leben haben wollen.
Das ist in Deutschland ähnlich. Es ist paradox: Man romantisiert das Landleben und liest ständig in Zeitschriften darüber, aber keiner will dort arbeiten.
Ich bin selbst ein Enkel von Bauern. Die Leute auf dem Land können kaum überleben, die Zucht ist nicht mehr rentabel. Das Leben auf dem Land ist schwer, wenn man nicht auf dem Land geboren ist. Die jungen Ärzte wollen ein Familienleben mit Kindern, aber auf dem Land gibt es nicht so viele gute Schulen, und man ist weit entfernt von der Kultur, vom Kino, vom Theater, Museen.
Trotz all der Probleme zeigt der Film auch den dörflichen Zusammenhalt. Man hilft einander, etwa wenn es um die Pflege eines alten Patienten geht, der lieber daheim in vertrauter Umgebung als im Krankenhaus sterben will.

Nun ja, der Arzt kennt jeden. Er kennt Deine Eltern, Deine Kinder, aber er muss sich auch ständig beweisen. Wenn Sie ein schlechter Arzt sind, schaffen Sie es nur, in Paris Karriere zu machen. Und dann muss ein Arzt in der Provinz sehr vielseitig sein. Wie man im Film sieht, ist Monsieur Werner Generalist. Er kann mit den Patienten über Grippe sprechen und über psychische Probleme, aber auch über Ärger mit der Schwägerin, mit dem Auto, mit der Heizung.

In dem Film sagt Ihr Monsieur Werner, dass das Leben eines Arztes deprimierend ist – es gibt nur Sorgen, Leiden, Nöte. Im Kino hat ein Schauspieler auch mit schwierige Themen zu tun. Gibt es Ähnlichkeiten zwischen den Berufen?
Eher nicht. Wenn Sie krank sind und ins Kino gehen, werden Sie es nicht gesund wieder verlassen. Die Leute gehen ins Kino, um sich abzulenken. Wir Schauspieler sind für Unterhaltung zuständig. Und es gibt sicher deutlich mehr reiche Starschauspieler als Starärzte. Natürlich ist der Beruf eines Schauspielers komplex: voller Freude, voller Leidenschaft. Aber man braucht auch viel Geduld.
Inwiefern?
Entweder Sie machen alles, was Ihnen angeboten wird, oder Sie warten und wählen aus, möchten gute Filme machen und Ihrer Karriere eine gewisse Qualität geben, auch wenn das sehr subjektiv ist. Aber was soll’s, wenn die Künstler jammern. Es ist ein Privileg, Künstler zu sein. In Frankreich und in Deutschland haben wir das Glück, in Ländern zu leben, in denen Frieden herrscht und in denen es eine reiche Kinokultur gibt, selbst wenn das amerikanische Kino bei Ihnen noch präsenter ist als bei uns. Ganz Frankreich hat zum Beispiel kürzlich mit Spannung den Kinostart des deutschen Films „Toni Erdmann“ erwartetet.
Haben Sie Maren Ades Film bei den Festspielen in Cannes gesehen?
Ich gehe nicht gern auf Festivals, ich bin eher ein Eremit.
Ebenso wie „Toni Erdmann“ ist „Der Landarzt“ mit Ihnen und Marianne Denicourt ein Film mit zwei starken Schauspielern: Sandra Hüller und Peter Simonischek. Das war auch so in „Die Hölle“ mit Emmanuelle Béart und natürlich in „Ziemlich beste Freunde“ mit Omar Sy. Reizt Sie das besonders, das Spiel zu zweit?
Wie die Schauspieler in „Toni Erdmann“ komme ich vom Theater. Dort, aber auch im Kino, ist der Mitspieler das Wichtigste. Was das Publikum interessiert, ist die Frage, was zwischen zwei Figuren vor sich geht. Omar ist sehr lustig, aber auch deshalb, weil man sieht, wie er von anderen Figuren wahrgenommen wird. Es geht um Blicke, um das Miteinander. Egal, wie großartig ein Schauspieler ist, er ist nichts ohne den anderen.
„Ziemlich beste Freunde“ war ein Hit, gelobt wurde auch 1994 das Eifersuchtsdrama „Die Hölle“ von Claude Chabrol. Er hatte Ihnen Ihre dritte Filmrolle überhaupt gegeben – in „Die Phantome des Hutmachers“ 1982.
Als im französischen Fernsehen nach „Ziemlich beste Freunde“ eine Sendung mit mir gemacht wurde, durfte ich Claude Chabrol einladen, er sagte dem Journalisten: Jetzt liebt Ihr alle Cluzet, aber damit sei Ihr zehn Jahre zu spät dran! Ich habe mit Chabrol fünf Filme gemacht. Er ist für mich eine Art geistiger Vater gewesen.
Was schätzten Sie an ihm?
Er war außergewöhnlich großzügig, klug, kultiviert, inspirierend. Bei Chabrol stand bei der Arbeit immer die Freude im Vordergrund. Er sprach erst mal über den Abend zuvor und darüber, was man am kommenden Abend unternehmen würde. Er wusste, die Welt dreht sich weiter, egal, was wir hier machen. Heute denkt manch ein junger Filmemacher, je schmerzhafter die Dreharbeiten sind, desto besser wird der Film. Damit verbirgt er aber nur seine Inkompetenz. Wenn Sie ein guter Regisseur sind, gelingt Ihnen ein Film auch in guter Stimmung. Es ist weniger ermüdend und beglückender zu arbeiten, wenn Sie entspannt sind. Dann sind Sie am nächsten Tag wieder bereit, alles zu geben.
Dennoch sagen viele Künstler, Kunst entstehe aus Schmerz.
Ich glaube, es geht um Menschlichkeit in der Kunst. Ein Künstler ist jemand, der die Menschen liebt. Man muss so viel Schmerzhaftes, so heftige Emotionen spielen als Schauspieler.Warum sollte man das auf sich nehmen, wenn man denken würde, die Menschen seien Idioten?

Zur Person:

François Cluzet (60) wurde am 21. September 1955 in Paris geboren. Der französische Schauspieler begann seine Karriere 1976 am Theater, später arbeitet er im Kino mit Regisseuren wie Claude Chabrol und Bertrand Tavernier, spielt in Filmen wie „Die Hölle“, „Kein Sterbenswort“ oder „Kleine wahre Lügen“. Weltberühmt wurde er 2011 als gelähmter Millionär in dem Film „Ziemlich beste Freunde“ von Olivier Nakache und Éric Toledano.

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