Das französische Drama „Der Himmel wird warten“ zeigt auf drastische Art zwei Mädchen im Sog des Islamismus, die nach Syrien wollen. Fast dokumentarisch wirkt das fiktiv erzählte Grauen.

Stuttgart - Ein elterlicher Albtraum der Gegenwart: Das eigene Kind wirft alles über Bord, was war, und springt in den Abgrund islamistischer Radikalisierung – weil es betörenden Hasspredigern und Rattenfängern auf den Leim gegangen ist. Die lauern in sozialen Netzwerken mit pseudoreligiösen Verblendungsstrategien, ihre kruden Verschwörungstheorien verfangen, weil sie tatsächliche Ungerechtigkeiten manipulativ nutzen.

 

Die französische Filmemacherin Marie-Castille Mention-Schaar zeigt in ihrem Filmdrama zwei französische Mädchen aus der wohlsituierten weißen Mittelschicht, die in den Sog des Islamismus geraten. Und sie zeigt fassungslose, verzweifelte Eltern, gespielt unter anderem von Sandrine Bonnaire, die bei Beratungsstellen und in Selbsthilfegruppen Antworten suchen.

Sonia fliegt auf, als ein Sondereinsatzkommando die Wohnung der Familie stürmt – die 17-Jährige soll einen dschihadistischen Anschlag geplant haben. In der Folge durchlebt Sonia eine Art kalten Entzug mit Hausarrest und striktem Internetverbot. Es fehlt nur der Schaum vorm Mund, wenn Noémie Merlant als dämonisch besessene Sonia ihre Eltern beschimpft und der kleinen Schwester mit Engelszungen das Laptop abzuschmeicheln versucht.

Die irrationale, stille Begeisterung wird nachvollziehbar

Mélanie wird gerade erst infiziert, ein Prince Charming umgarnt sie auf Facebook zunächst mit Komplimenten, erteilt ihr aber bald immer strengere Anweisungen. Sie konvertiert heimlich, beginnt in ihrem Zimmer regelmäßig zu beten, besorgt verhüllende Kleidung, isoliert sich unter ihren Freunden durch seltsame Aussagen. Sie gibt sogar ihr geliebtes Cello auf – alles in der Hoffnung, sich möglichst bald in Syrien mit dem Verführer zu vermählen.

Naomi Amarger gelingt es eindrucksvoll, die irrationale, stille Begeisterung einer minderjährigen Frau auf Selbstsuche nachvollziehbar zu machen. In Momenten der Enthusiasmierung bringt sie gar ihr Gesicht zum Leuchten.

Mention-Schaar hat die Mädchenschicksale drastisch in Szene gesetzt. Man spürt die Empathie der Filmemacherin für die Jugendlichen, die in einer liberalen Welt extreme Mittel suchen für ihre Rebellion. Ein überwunden geglaubtes Ideal reiner, jungfräulicher Liebe verfängt bei ihnen wieder, von ihm lassen sie sich in die Irre locken. In Syrien aber wartet statt ihrer Verführer die Mörderbande IS, der sie als Gebärsklavinnen dienen. Dass die Regisseurin die Radikalisierung als Psychose mit krassen Symptomen darstellt, die einer harten Drogensucht ähnelt, macht anschaulich, wie schwer dagegen anzukommen ist.

Eine Syrien-Rückkehrerin als Beraterin

Die Regisseurin hat mit Betroffenen und Journalisten gesprochen, Propagandavideos gesichtet. Eine Syrien-Rückkehrerin, die den gesamten Horror durchlebte, hat beim Drehbuch geholfen und die jungen Schauspielerinnen beraten. Und Dounia Bouzar, die Gründerin einer Hilfseinrichtung für Opfer islamistischer Manipulation, spielt sich im Film selbst.

Sehr real, fast dokumentarisch wirkt deshalb das fiktiv erzählte Grauen, das übers allgegenwärtige Netz leicht einsickern kann in den Alltag Jugendlicher, die immer schon empfänglich waren für abseitige Einflüsterungen. So kommt „Der Himmel wird warten“ einem Phänomen sehr nahe, das trotzdem schwer zu begreifen und noch schwerer zu ertragen bleibt.

Der Film ist ab 12 freigegeben und läuft von diesem Donnerstag an im Kino Delphi.