In „Die andere Seite der Hoffnung“, dem zweiten Teil seiner Flüchtlingstrilogie, zeigt der finnische Meisterregisseur Aki Kaurismäki einen jungen Syrer, der in Helsinki strandet. Um die Absurditäten europäischer Asylpolitik geht es da und um die Hilfsbereitschaft sogenannter kleiner Leute.

Helsinki - So kann man eine Lebensgemeinschaft auch beenden: Wortlos legt der Hemdenvertreter Wikström seiner Frau, die Lockenwickler trägt und schon morgens in tiefen Zügen raucht, den Wohnungsschlüssel auf den Tisch. Und den Ehering gleich dazu. Als er fort ist, wirft sie den Ring in den Aschenbecher und steckt ihre Kippe hinein. Wortlos.

 

Gleich in dieser ersten Szene zeigt sich die Handschrift des finnischen Tragikomikers Aki Kaurismäki: Die Welt durch seine Augen ist ein Gegenentwurf zur Hektik, Hysterie und Geschwätzigkeit, die sonst unseren Alltag bestimmt. Kleine Leute mit großen Träumen wohnen dort, die nur reden, wenn es wirklich etwas zu sagen gibt; meistens genügen ihnen Gesten und Blicke, um zu kommunizieren. Sie tun, was getan werden muss, und verharren ansonsten still im Blick auf die Melancholie ihres eigenen Menschseins. Dabei glimmt in der latenten Tristesse stets ein Funken Hoffnung.

Aus dem erfolglosen Hemdenvertreter Wikström wird ein erfolgloser Wirt

Schon in „Le Havre“ (2011), dem ersten Teil einer Trilogie, hat Kaurismäki sich der Flüchtlingsthematik zugewandt. Der erfolglose Autor Marcel Marx aus seinem Film „Das Leben der Bohème“ (1992) hat sich da zum erfolglosen Schuhputzer entwickelt, und dieser nimmt ganz selbstverständlich den afrikanischen Flüchtlingsjungen Idrissa auf, der zum Strandgut der Globalisierung geworden ist. Dieser Schuhputzer ergibt sich nie, man glaubt ihm, wenn er über Moral redet, weil er sie mit jeder Faser lebt. Als er erfährt, dass Idrissas Mutter in London ist, treibt er das Geld für die illegale Überfahrt in einem Fischerboot auf.

In „Die andere Seite der Hoffnung“ nun wird aus dem erfolglosen Hemdenvertreter Wikström ein erfolgloser Wirt. Gerade hat er ein Lokal übernommen, das nur einer übernehmen würde, der trotz allem keine Zweifel kennt. Das Schicksal spült ihm den jungen Syrer Khaled ins Haus. Als Asylbewerber ist er abgelehnt, obwohl er in Aleppo um sein Leben fürchten musste. Von der Polizei gesucht und von rechten Schlägern bedroht, sucht er einen Unterschlupf. Wikström ist zunächst skeptisch, und es bedarf handfester Mittel, bis die beiden zueinander finden. Dann aber setzt Wikström buchstäblich sein letztes Hemd aufs Spiel für Khaleds Glück.

Kaurismäki bringt Symbole zum Leuchten, die bei anderen plakativ wirken würden

Denn das Lokal läuft nicht, der Chef und drei Angestellte mogeln sich durch ein karges Dasein, wie Kaurismäkis Figuren das oft tun. Eine Umstellung auf Sushi schlägt fehl, weil die Gäste den Salzhering aus dem Eimer von 1961 nicht goutieren. Also schickt Wikström alle nach Hause, zieht mit den Zähnen den Korken aus der Whiskyflasche, setzt sich in den Lichtstreifen, der durchs Fenster fällt, und verharrt schweigend – eine Einstellung wie ein Gemälde.

Kaurismäkis Filmwelt ist stets ein Ort fein komponierter Motive und liebevoll platzierter Details. Er bringt Symbole zum Leuchten, die bei anderen plakativ wirken würden, etwa ihm gelangweilte Beamte, die streng nach Vorschrift arbeiten und sich kein bisschen für Menschen interessieren. Eine finnische Surfband aus alten Haudegen steuert den coolen Soundtrack bei, und sie besteht ganz selbstverständlich vor einem Poster von Jimi Hendrix, das andere Akteure klein aussehen lassen würde.

Die Handlung tragen bei Kaurismäki stets präzise gezeichnete Figuren. Der Syrer Sherwan Haji gibt dem gebeutelten Flüchtling Khaled eine natürliche Würde. Sakari Kuosmanen, ein Lieblingsschauspieler des Regisseurs und der Hauptdarsteller im Rachedrama „Juha“ (1999), spielt mit heiligem Ernst den unbeugsamen Verlierertypen Wikström. Jeder seiner Auftritte ist ein Genuss, besonders, wenn er mit den drei Angestellten in Interaktion tritt, die er mit der Spelunke übernommen hat: Janne Hyytiäinen als Koch, der nicht kochen kann, Ilkka Koivula als ungelenker Empfangsportier, den niemand braucht, Nuppu Koivu als überforderte Kellnerin, die schon an einem einzigen Gast scheitern muss.

Erst der Gestrandete lässt den rettenden Engel sichtbar werden

So wenig all das mit der Wirklichkeit zu tun zu haben scheint, so nahe kommen Kaurismäkis Charaktere den Zuschauern. Der Mann mit Suizidabsicht, der einen Killer auf sich selbst ansetzt („I Hired A Contract Killer“, 1990), sich aber kurz darauf verliebt, vertritt all jene, die ihr Grundvertrauen verlieren und überstürzt drastische Entscheidungen treffen; in den drei selbstbewussten wie erfolglosen Künstlern in „Das Leben der Bohème“ (1992) stecken all die, die nicht nur an Broterwerb denken, sondern noch zu träumen wagen. Wikström nun ist der Prototyp des braven Bürgers, der sich vergeblich abstrampelt, weil er nicht anders kann.

Kaurismäki balanciert auf schmalem Grat: Feiner Humor speist die Figuren mit gerade genug Lebensmut, um sie nicht das Gleichgewicht verlieren zu lassen am Abgrund zur Depression. Mal pendeln sie in Richtung Aufbruch, wie der „Der Mann ohne Vergangenheit“ (2002), der vor dem Nichts steht und dann ein ungeahntes neues Leben geschenkt bekommt, dann wieder tendieren sie zur Hoffnungslosigkeit, wie das gebeutelte „Mädchen aus der Streichholzfabrik“ (1990), dem Kaurismäki sogar zumutet, für eine Hure gehalten zu werden. Wikström gehört zu denen, die sich niemals beirren lassen, mag die Lage auch noch so hoffnungslos erscheinen. Wie in „Le Havre“ ist auch in Kaurismäkis zweitem Flüchtlingsfilm der rettende Engel die Hauptfigur und der Gestrandete dient ihm Folie, die ihn erst sichtbar werden lässt.

„Die andere Seite der Hoffnung“ ist der richtige Film zur richtigen Zeit, Kaurismäki hat den Regie-Bären bei der diesjährigen Berlinale verdient. Er strotzt nur so vor trockenem Humor, findet aber immer den richtigen Ton, um dem brandaktuellen Thema gerecht zu werden. Und er macht all den kleinen Leuten mit den großen Herzen Mut, die sich für andere abstrampeln – trotz allem, weil sie nicht anders können.