Chris Kraus bricht in „Die Blumen von gestern“ Rollen auf und zeigt, dass man im Zusammenhang mit dem Holocaust lachen darf.

Stuttgart - ie haben keine Geliebte, Sie gehen nicht zu Nutten, Sie lieben Ihr Kind – was soll ich denn mit Ihnen sprechen, Sie amüsieren mich nicht!“ Was für ein Affront aus dem Mund einer gebildeten alten Dame. Einer Schoah-Überlebenden gar, die sich mit Sarkasmus dagegen wehrt, als Vorzeige-Zeitzeugin bei einem Holocaust-Kongress aufzutreten. Totila Blumen, der sein Geld als HolocaustForscher damit verdient, „negativ zu sein“, wirft das Handtuch – er ist der lebenserfahrenen Jüdin nicht gewachsen, die sich partout nicht auf die Opferrolle reduzieren lassen möchte.

 

Eine Schlüsselszene ist das in Chris Kraus’ jüngstem Spielfilm: Hier die Opfer, da die Täter – der 1963 geborene Historiker, der das Drehbuch selbst geschrieben hat, bricht die Rollen auf. Und das mit herausfordernd komischen Mitteln. Denn nicht nur die Dame Rosenberg, wunderbar verkörpert von der jüngst verstorbenen österreichischen Schauspielerin Sigrid Marquardt, überfordert den Misanthropen Blumen. Vor allem kommt die französische, auf Lebenslust fixierte Praktikantin Zazie wie ein Vulkan über ihn.

Eine Reise nach Riga bringt Gewissheit

Sie provoziert ihn („ein Holocaust-Forscher ohne Humor ist wie ein Popo ohne Loch“), insistiert („auch Holocaust-Forscher können über Sex sprechen“), drängt, will ihn knacken, koste es, was es wolle. Totila Blumen – zu Hause warten Ehefrau, Adoptivkind und Eigenheim – wehrt sich tapfer, aber vergeblich. Zazie und Totila sind Extremisten aus zwei Lebenswelten. Eine Reise nach Riga bringt Gewissheit: Zazies Großmutter wurde als Jüdin ermordet, Totilas Großvater gehörte zu den Mördern; als Kinder hatten sie auf einer Schulbank gesessen.

Kraus, der in seinen Spielfilmen Biografisches verarbeitet, zeigt in „Die Blumen von gestern“ zwei auf Krawall gebürstete Existenzen, ohne deren Fragilität zu verstecken. Adèle Haenel und Lars Eidinger spielen sich das Leben aus dem Leib, das so komplex, so vielschichtig, so widersprüchlich ist. Sie wetzen Worte wie Klingen, vertiefen sich in Augen-Blicke, sind lakonisch. „Menschen töten, Menschen lieben“, sagt Zazie. Versöhnung durch Liebe? Ja, warum denn nicht. Auch wenn es, wie das bizarre Happy-End des Films zeigt, alles andere als einfach ist.