Aus drei verschiedenen Perspektiven beleuchtet der russische Filmregisseur Andrei Konchalovsky das Angst- und Gewaltsystem der Nazis in künstlerisch überhöhten Schwarz-Weiß-Bildern.

Stuttgart - Der Schädel kahl, die Wangen hohl, die Augen fiebrig und leer: Der Anblick von KZ-Insassin Olga (Yuliya Vysotskaya) ist schwer auszuhalten. Steif kauert sie an einem Tisch und blinzelt in die Kamera. Als Zeugin soll sie einem objektiven Beobachter von ihrem Martyrium berichten. Doch erst zum Ende des scheinbar zynisch betitelten Kriegsdramas „Paradies“ lüftet der russische Regisseur Andrei Konchalovsky das Geheimnis, wem gegenüber sich Olga da offenbart. Eine findige, aber auch heikle Entscheidung, weil Konchalovsky den Spannungseffekt bewusst einsetzt, um sein Publikum über die gesamte Strecke seiner oft sperrigen Erzählung bei der Stange zu halten.

 

Olga, eine russische Adlige, gibt zu Protokoll, sie habe in Paris als Moderedakteurin gearbeitet. Als die Deutschen Frankreich besetzten, schloss sie sich der Résistance an und versteckte jüdische Kinder. Bald wurde sie verhaftet und zu Jules (Philippe Duquesne) gebracht, einem französischen Kommissar, der mit den Nazis kollaborierte. Auch Jules muss sich vor dem namenlosen Beobachter erklären, genau wie Helmut (Christian Clauß), ein junger SS-Offizier, der Olga lange vor dem Krieg traf und sich in sie verliebte.

Die Schicksale der drei entwickelt Konchalovsky zunächst unabhängig voneinander in Rückblenden. Aus drei verschiedenen Perspektiven beleuchtet der Film also das Angst- und Gewaltsystem der Nazis, dem Olga, Jules und Helmut auf unterschiedliche Weise zum Opfer fallen.

Aus Himmlers Keller dringen Schreie eines Gefolterten

Den brutalen Alltag dieser Zeit inszeniert Andrei Konchalovsky streckenweise quälend realitätsnah. Peter Kurth gibt den tumb sadistischen SS-Mann Krause, der einer Jüdin fast das Genick bricht, indem er ihr mehrfach eine Tür gegen den Nacken rammt. In einer anderen Szene trifft Helmut den SS-Reichsführer Heinrich Himmler (Viktor Sukhorukov) in dessen protziger Villa. Während Himmler endlos über Tod und Ehre schwadroniert, dringen aus dem Keller Schreie eines Gefolterten. Bilder aus dem Lager zeigen, wie internierte Frauen den Leichnam einer gerade Gestorbenen fleddern.

Solche Gräueldarstellungen sind typisch im Holocaustfilm, trotzdem wirken sie hier anders, weil der Kameramann Aleksandr Simonov seine fast quadratischen Schwarz-Weiß-Bilder künstlerisch überhöht. Besonders deutlich wird das in Szenen, die vor dem Krieg in einem südlichen Arkadien spielen, wo sich Olga und Helmut zum ersten Mal begegnen. Simonov gestaltet entrückte, kantig elegante Tableaus, die an Gemälde Tamara de Lempickas oder an die surrealistischen Fotos von Man Ray erinnern.

Dass Olga über den Umweg durch die Hölle ihr Paradies doch noch findet, tröstet wenig. In der Wirklichkeit hat es diesen besseren Ort schließlich nie gegeben.

Paradies. Russland, Deutschland 2016. Regie: Andrei Konchalovsky. Mit Yuliya Vysotskaya, Christian Clauß, Philippe Duquesne. 132 Minuten. Ab 12 Jahren. Delphi