Martin Scorseses neuer Film spielt im Japan des 17. Jahrhunderts. Trotzdem greift er vertraute Themen des Amerikaners auf. Der katholisch erzogene Regisseur erzählt von Missionaren und Gläubigen, von Inquisitoren und Verrätern, von Sünde und Erlösung.

Stuttgart - In den USA hat Martin Scorsese gerade für große Aufregung in der Filmbranche gesorgt. Dafür hätten schon Thema und Besetzung seines nächsten Films gereicht: „The Irishman“ soll von einem Auftragsmörder der Mafia erzählen und wird unter anderem Robert De Niro, Al Pacino, Joe Pesci und Harvey Keitel vor der Kamera versammeln. Fans freuen sich auf „klassischen Scorsese“, auf einen Nachfolger von „Taxi Driver“, „Goodfellas“ und „Casino“. Was aber für noch größeren Wirbel sorgt, ist der Produktionsrahmen. „The Irishman“ wird nicht unterm Dach des Studios Paramount entstehen, das ein Vorgriffsrecht auf neue Scorsese-Projekte hat, sondern beim Streamingdienst Netflix, der 105 Millionen Dollar Produktionskosten abgenickt und volle künstlerische Freiheit zugesagt hat. Der Grund, warum Paramount Scorsese ziehen lässt, kommt nun ins deutsche Kino: „Silence“.

 

Diese Verfilmung eines Romans des Japaners Shusaku Endo ist auf den ersten Blick eben kein „klassischer Scorsese“, erzählt also nicht von Freundschaftsgeflechten, Bandenstrukturen und Machomythen des italoamerikanischen Milieus, in dem die Mafia gedieh. Es geht um Christenverfolgung im Japan des 17. Jahrhunderts, um zwei portugiesische Padres, die heimlich ins Land kommen, um Gerüchten nachzugehen, ein Missionar sei unter Druck vom Glauben abgefallen und lebe als Gelübdebrecher und Götzendiener. „Silence“ wurde in den USA zaghaft gestartet und ging an der Kinokasse völlig unter. Keiner bei Paramount traut sich an ein weiteres Scorsese-Projekt heran.

Rowdys und Gläubige

Nun ist es seltsam genug, dass viele Fans Mafiafilme als Normalfall bei Scorsese sehen, bei diesem vielfach interessierten Regisseur mit seinem breiten Stil- und Themenspektrum. Noch seltsamer aber scheint, dass nur wenige Fans die Verbindungen von „Silence“ zu vielen anderen hochgerühmten Werken des 1942 in New York geborenen Regisseurs interessant genug fanden, um ihn weiterzuempfehlen.

Der katholisch erzogene Scorsese hat immer wieder den katholischen Prägungen im Leben seiner oft genug asphaltdarwinistischen Du-oder-ich-Rowdys nachgespürt, hat Grundmotive christlichen Glaubens in Gangster- und Durchboxerwelten übertragen. Er hat von Typen erzählt, denen Religiöses nachgeht, ohne dass sie es wahrhaben wollen, die in religiösem Geschehen stecken, ohne das zu realisieren. Sie kämpfen schlicht darum, Schaden von sich abzuwenden und weltlichen Profit zu erlangen.

„Silence“ liefert dazu die Gegenbewegung. Dieser Film erzählt von Menschen, die das Christliche suchen, an sich ziehen, sich zu seinen Symbolen bekennen, und das in vollem Bewusstsein, dass ihnen dies schlimmsten weltlichen, ja, physischen Schaden eintragen wird.

Die Padres vom Schlepperboot

Anfangs ist man irritiert, dass die beiden Padres Sebastião Rodrigues und Francisco Garrpe ein wenig blass wirken, dass Andrew Garfield und Adam Driver ihre Figuren, die sich von China aus unter Lebensgefahr nach Japan schmuggeln, ein wenig zu modern anzulegen scheinen. Aber bald wird dieser Eindruck unwichtig. Man begreift, dass es Scorsese – für längere Zeit jedenfalls – gar nicht um die vermeintlichen Identifikationsfiguren geht, um waghalsige Europäer in der Fremde, sondern um die Japaner selbst.

Als die Padres vom Schlepperboot aus furchtsam an Land waten, sich in einer Höhle verstecken, haben sie Japanlängst. verloren gegeben. Da geht es nur um die Standhaftigkeit eines anderen Europäers, um die Würde der Religion. 300 000 getaufte japanische Christen, so ihre Einschätzung, sind entweder getötet oder von den Truppen der Inquisitoren zurück zur Staatsreligion gezwungen worden. Was sie allenfalls erhoffen, ist ein halbwegs verlässlicher, bestochener Schleuser. Was sie bang erwarten, ist Verrat.

Als sie in ihrer Höhle entdeckt werden, wollen sie Reißaus nehmen, sehen sich schon verschleppt und gefoltert. Aber was da herandrängt, sind nur ein paar ausgemergelte, sehnsüchtige Menschen, die sich in höchster innerer Pein der Lebensgefahr aussetzen, um wieder einmal einen Segen zu empfangen oder gar ein Abendmahl zu feiern. Scorsese inszeniert das ohne Ironie, ohne Verzerrung, ohne psychologisierende Erklärungswut. Er zeigt, was unzeitgemäß geworden ist, nicht eigenen Glauben oder Unglauben, sondern die Realität tiefer fremder religiöser Überzeugung.

Ein alter Stoff zur neuen Weltlage

Die Padres erleben nun ein Katakombenchristentum ohne schützende Katakomben. Und Scorsese nähert sich in klugen Dialogen und Konfrontationen auf vielen Ebenen dem Mysterium des religiösen Empfindens an. Man kann „Silence“ als politischen Film zur Weltlage sehen, als Verdeutlichung dessen, was tatsächlich vorgeht: Menschen werden für religiöse Überzeugungen verfolgt und ermordet. Man kann ihn auch als privatere Meditation Scorseses lesen, als bessere Neuverhandlung der Themen aus „Die letzte Versuchung Christi“. Ein Sohn Gottes, seiner Wiederauferstehung gewiss, mag leichter sterben als ein kleiner japanischer Bauer.

Sind Symbole wichtig oder darf man sich von ihnen lossagen? Ist der Glaube überhaupt bedeutsam oder sind politische Realitäten und das Durchkommen im Alltag vordringlicher? Bei der Erörterung dieser Fragen gibt Scorsese auch den Inquisitoren gute Argumente und so viel Schläue wie Brutalität an die Hand. Die Christen und die Padres werden nämlich entdeckt, und „Silence“ spart nicht an Folterszenen. Aber die dienen immer der Vergegenwärtigung der Passion, nicht dem Zeitvertreib der Zuschauer. „Silence“ ist trotz einiger kleiner Längen ein aufwühlender Film.

Sehen Sie hier den Trailer zu „Silence“:

Silence. USA 2016. Regie: Martin Scorsese. Mit Andrew Garfield, Adam Driver, Liam Neeson, Tadanobu Asano, Yosuke Kubozuka. 162 Minuten. Ab 12 Jahren.