Der einst angesehene Beruf des evangelischen Geistlichen hat an Attraktivität verloren. Die Gemeinden müssen oft lange nach einem neuen suchen.

Böblingen - Wenn Stefan Taut morgen als zweiter Pfarrer an der Böblinger Martin-Luther-Kirche eingesetzt wird, geht eine einjährige Vakanz – in Kirchenkreisen spricht man von Vakatur – zu Ende. „Das war eine harte Zeit“, sagt Tauts Kollege Dietrich Groh, der der alleinige Ansprechpartner für die 3500 Gemeindeglieder war. „Wir haben ein Schmalspurprogrammm gemacht. Manches wie den Werkstattgottesdienst haben wir ausfallen lassen“, sagt Lutz Sparmann, der Vorsitzende des Kirchengemeinderats. Ähnliche Probleme hatte man in Weissach, wo nach einem Jahr Vakanz am vergangenen Sonntag die Investitur des neuen Pfarrers Thomas Nonnenmann stattfand.

 

Wenn auch die evangelische Kirche weit entfernt ist von den Problemen der Katholiken, die seit geraumer Zeit ihre Geistlichen aus Afrika holen, so dauert die Pfarrersuche doch deutlich länger als früher. Und kamen noch vor einigen Jahren oft drei oder mehr Bewerber auf eine Stelle, so stellt sich mittlerweile zumeist nur ein Kandidat dem Kirchengemeinderat vor.

Pfarrer haben als Beamte zwar einen sicheren Arbeitsplatz, aber keine geregelten Arbeitszeiten. „Für uns gilt die Sechs-Tage-Woche, eine festgelegte Stundenzahl gibt es nicht“, sagt der Böblinger Dekan Bernd Liebendörfer. Es könne durchaus sein, dass das ein Grund ist für die zurückgehenden Zahlen von Theologiestudenten, die ins Pfarramt streben. Sein Herrenberger Kollege Eberhard Feucht glaubt, dass die Erwartungen an die Pastoren so manchen Interessenten abschreckt.

Residenzpflicht und Heiratsauflagen

Die Liste der Einschränkungen des so genannten Tendenzbetriebs Kirche ist lang: So ist die wilde Ehe im Pfarrhaus ein Tabu. Die Heirat mit einem Katholiken ist noch okay, ein Moslem oder Atheist als Partner geht nicht. Auch gleichgeschlechtliche Partnerschaften sind im Pfarrhaus nicht erlaubt – wenn es auch Ausnahmen von dieser Regel gibt. Auch sind Pfarrer angehalten, ihre Kinder evangelisch zu taufen und haben eine Residenzpflicht: Sie müssen am Amtsort im Pfarrhaus wohnen. Und dann sind da noch die unausgesprochenen Erwartungen vieler Gemeindemitglieder. „Pfarrer sollen sozusagen stellvertretend für alle anderen ein moralisches Leben führen“, sagt Feucht.

Jüngere Kollegen wie der Böblinger Dietrich Groh sehen das entspannt. „Bei den Arbeitszeiten muss man schauen, dass man sich private Termine freihält. Ich kann durchaus mit Freunden in den Biergarten. Ich gehe dann nach Stuttgart, wo nicht so viele Böblinger sind“, sagt er. Seine Erfahrung ist, dass „jüngere Leute es cool finden, wenn sie den Pfarrer beim Biertrinken treffen“. Sein Kollege Stefan Taut sieht beim Bild des Pfarrers einen gesellschaftlichen Wandel: „Ich bin geschieden und wieder verheiratet. Das ist kein Thema.“ Auch die Pfarrfrau, die kostenlos Frauenkreis und Jungschar leitet, gebe es so nicht mehr. „Wir haben drei Kinder. Selbstverständlich arbeitet meine Frau. Sie ist Ärztin und liebt ihren Beruf.“ Statt unbezahlten Pfarrfrauen gibt es immer mehr weibliche Geistliche: ein Drittel der Pfarrer sind Frauen.

Taut sieht als Ursache für das geringere Interesse am Pfarrberuf vor allem die hoch akademisierte Ausbildung. „Das Ideal heißt: Fünf Jahre Studium in Tübingen, möglichst am Stift, wo man über hochphilosophische Fragen diskutiert und Hebräisch und Griechisch lernt.“

In England werden auch Taxifahrer zu Pfarrern ausgebildet

In England, wo er unmittelbar vor Antritt in Böblingen ein viermonatiges Kontaktstudium absolvierte, hat er sich die Ausbildung angeschaut. „Die ist vielfältiger. Dort werden auch Taxifahrer Pfarrer. Sie lernen zwar kein Hebräisch, aber können es gut mit den Leuten.“ Mehr Vielfalt wünscht er sich auch in Deutschland und in der württembergischen Landekirche. „Sonst ergeht es uns in einigen Jahren wie es jetzt schon in Mecklenburg-Vorpommern ist: Dort betreut ein Pfarrer sechs Orte und hat fünf Beerdigungen pro Woche. Er begleitet die letzten Verbliebenen der Volkskirche auf dem Weg ins Grab.“

So dramatisch sieht die Württembergische Landeskirche ihre Situation nicht. „Wir haben zwar momentan mehr als 100 offene Pfarrstellen. Aber 80 davon sind gewollt, um die gewünschte Fluktuation zu gewährleisten“, sagt Oliver Hoesch, der Sprecher des Bischofs. Noch gebe es genügend Nachwuchs. Eng könnte es in zehn Jahren werden: „Dann kommt auf uns eine Pensionierungswelle von Pfarrern zu.“