Die Kirche bemühtsich um Frieden im Streit ums Glockenläuten.

Stuttgart-Sillenbuch - Es waren harte Worte, die der Pfarrer Hans-Ulrich Gehring am Freitagabend zu hören bekommen hat. „Selbstherrlich“ agiere die Gemeinde, „undemokratisch“ sei es, was die Kirche da treibe, als „Bevormundung“ und „Allmacht der Kirche, die an den Vatikan erinnert“ erlebe man es, frühmorgens durchs Glockenläuten aus dem Bett geholt zu werden.

 

Dabei hatte der evangelische Pfarrer die Anwohner mit einem guten Vorsatz in den Luthersaal eingeladen: Das Treffen sollte Frieden in den Glockenstreit bringen, der seit einigen Wochen rund um die Martin-Luther-Kirche tobt. Etwa 40 Leuten sind am Freitag gekommen.

Die Beschwerden von Anwohnern mehren sich

Der Kirchengemeinderat hatte im November vergangenen Jahres beschlossen, die Läuteordnung zu ändern. Dem vorausgegangen war ein fünf Jahre dauernder Prozess, in dessen Verlauf der Glockensachverständige der Evangelischen Landeskirche, Claus Huber, mehrmals eine Änderung des Glockenläutens angeregt hatte.

Seitdem jene neue Läuteordnung zu Ostern in Kraft getreten ist, mehren sich die Beschwerden von Anwohnern. Insbesondere das morgendliche Läuten, das werktags um sieben Uhr beginnt, stört manche Nachbarn – das wurde bei dem Treffen deutlich. „Wir haben heute andere Arbeitsstrukturen. Es gibt viele Schichtarbeiter, für die ist sieben Uhr einfach zu früh“, sagte eine Anwohnerin.

„Wer neben eine Kirche zieht, muss mit Geräuschen rechnen“

Doch auch die Gegenseite meldete sich zu Wort. Etliche Besucher bekundeten ihre Sympathie für den Klang der Glocken. Zwei ältere Sillenbucher verwiesen darauf, dass es im Bezirk früher üblich gewesen sei, sogar schon um sechs Uhr morgens zu läuten – so wie es zum Beispiel in der Innenstadt gehandhabt werde. Eine Anwohnerin betonte, die Kirche habe ein Hausrecht, das sie ausüben dürfe und das die Menschen zu akzeptieren hätten. „Wer neben eine Kirche zieht, muss mit Geräuschen rechnen“, sagte eine weitere Zuhörerin. Und eine Frau, die stellvertretend für einige Familien aus der Nachbarschaft sprach, gab den Glockengegnern den Rat: „Wenn Sie von den Glocken aufwachen, dann zwingt Sie niemand zum Aufstehen. Drehen Sie sich doch einfach um, und schlafen Sie weiter.“

Der Pfarrer Hans-Ulrich Gehring und Markus Pflugfelder vom Kirchengemeinderat nahmen im Ergebnis vor allem zwei Anregungen mit. „Der Nervenpunkt ist das Sieben-Uhr-Läuten. Da werden wir auf einen Kompromiss zusteuern“, sagte Gehring. Der Kirchengemeinderat werde das Thema jedenfalls in seiner nächsten Sitzung aufnehmen, „denn das kann und werde ich nicht alleine entscheiden“, so Gehring. Zum anderen räumte der Pfarrer ein, dass er den Willen der Menschen, ein Mitspracherecht in der Sache zu bekommen, unterschätzt habe: „Das nehme ich ernst, und das trifft mich auch hart. Vielleicht hätte ich das anders handhaben sollen, aber hinterher ist man immer klüger.“ Bei aller Kompromissbereitschaft signalisierte Gehring aber auch, dass die Gemeinde von ihrer grundsätzlichen Linie nicht abrücken werde: „Wir werden die neue Läuteordnung nicht kassieren.“ Letztlich, so betonte es der Pfarrer, „entscheiden wir“.