Sind evangelische Kirchtürme samt Uhren und Glocken reparaturbedürftig, zahlen weltliche Gemeinden mit. Der Betrag stand 125 Jahre fest, jetzt wird er neu verhandelt.

Stuttgart - Ohne Turmuhr ging früher nichts, und rückte das Ziffernblatt mal aus dem Blickfeld, orientierten sich die Bewohner an den Kirchenglocken: Das Läuten um 11 Uhr signalisierte, dass es Zeit war, den Heimweg vom Feld anzutreten, das 12-Uhr-Läuten, dass es Mittagessen gab, das Bet-Läuten bei Einbruch der Dämmerung rief die Kinder heim und das Sturmläuten die Feuerwehr auf den Plan.

 

Weil Uhren und Glocken von Nutzen für alle waren, übernahmen um 1890 Städte und Gemeinden einen Teil der Reparaturkosten – und tun dies bis heute. Die Höhe der Beteiligung steht jetzt zur Disposition und beschäftigt die städtische Kämmerei wie auch den evangelischen Kirchenpfleger Hermann Beck gleichermaßen. „Es gibt Gespräche mit der Stadt über die Höhe künftiger Zuschüsse“, bestätigt Hermann Beck. Seit einem Jahr betreibe er deshalb Bestandsaufnahme aller Türme, Glocken und Uhren. Auslöser für diese Umtriebigkeit war ein Rechtsstreit zwischen der evangelischen Kirchengemeinde und der Stadt Giengen/Brenz um die Höhe der Beteiligung an Reparaturen. Das letzte Wort hatte schließlich der Staatsgerichtshof im Jahr 2015. Er legte 33 Prozent der Kosten als angemessenen Anteil der Stadt fest, die bis dahin fünf Sechstel der Reparaturkosten beigesteuert hatte. „Obwohl der Kirchturm sogar das Wappen der Stadt schmückt“, sagt Beck. Allerdings haben Armbanduhren und Handys Turmuhr und Geläut abgelöst.

Gültig ist ein Vertrag von 1890

Jede einzelne Kirchengemeinde hat einen eigenen Vertrag mit der Stadt. Die Entscheidung des Staatsgerichtshofs hebt diese Vereinbarungen von 1890 nicht vollständig auf, sie rückt allerdings den Nutzen von Türmen, Uhren und Glocken zurecht und eröffnet damit den Städten und Gemeinden Neuverhandlungen. „Wir haben ein Anpassungsverlangen im Jahr 2015 in einem Schreiben an die evangelischen Kirchengemeinden formuliert“, sagt Volker Schaible. Der stellvertretende Stadtkämmerer sagt: „Wir wollen zu einer Beteiligung von deutlich unter 50 Prozent kommen.“

Für 15 Kirchen in den Außenbezirken sind derzeit 50-Prozent-Beteiligungen die Regel, insgesamt gibt es für 27 Kirchengebäude Vereinbarungen. Für die Innenstadtkirchen gelten Einzelfallregelungen. Stadt und evangelische Kirche suchen nun eine einheitliche Lösung. „Wir wollen nicht um jeden Kirchturm einzeln streiten“, sagt Hermann Beck. Im März erwartet die Stadt ein Ergebnis, „noch 2017 könnte das Thema den Gemeinderat erreichen“, so Schaible.

Stadt und Evangelische Kirche ringen um Lösung

Was die Stadt für Türme, Glocken und Uhren ausgibt, „schwankt von Jahr zu Jahr“, sagt Volker Schaible, „aber wir sind bei Weitem nicht in den Millionen.“ Bei der evangelischen Kirche fallen Großprojekte schwerer ins Gewicht, siehe ehemals die Stiftskirche (6,5 Millionen Euro) oder die Matthäuskirche (4,25 Millionen Euro). Rund zwölf Millionen Euro sind für Sanierungen in den nächsten fünf Jahren veranschlagt. „Das ist viel Geld, aber eine Kirche ist nicht nur ein Raum, wo Menschen Gottesdienst feiern können, sondern sie hat auch Ausstrahlung aufs Quartier, sie ist zudem bildprägend und hat so auch einen Wert für die, die nicht in die Kirche gehen“, sagt Beck.

Abrisse sind nicht mehr tabu

Zwischen katholischer Kirche und Stadt existieren nur drei Beteiligungsverträge. „Das liegt daran, dass die erste katholische Kirche, St. Maria, erst im Jahr 1871 gebaut wurde“, sagt Alexander Schmidt, der Leiter der Abteilung Bau und Liegenschaften im Katholischen Stadtdekanat. Katholische Kirchen waren somit nie in weltlicher Hand und werden deshalb voll aus Kirchensteuermitteln finanziert. Laut Schmidt liegt der Sanierungsbedarf der nächsten fünf Jahre bei 18 Millionen Euro, unter anderem für St. Maria an der Tübinger Straße. Um zu sparen, wurden Kirchen bereits vermietet, und man sucht nach neuen karitativen Nutzungen. Auch Abrisse sind nicht tabu – ein Schicksal, das Schmidt für markante Kirchen wie St. Maria an der Tübinger Straße oder St. Nikolaus, die Russische Kirche an der Seidenstraße, ausschließt.