Die Mitgliederzahlen der Kirchen schwinden zwar auf den Fildern, doch sind die Bürger deswegen weniger gläubig? Ein Blick in die Statistik.

Filder - Eng gedrängt sitzen die Gemeindemitglieder auf den Kirchenbänken, einige müssen stehen. Zu Weihnachten strömen die Menschen in die Kirche der Gemeinde Sankt Michael in Sillenbuch. Die Innenräume anderer Kirchen aus dem Bezirk bieten ein ähnliches Bild. An diesem andachtsvollen Tag, dem Geburtstag von Jesus Christus, sehen die Pfarrer und Priester, wie viele Mitglieder ihre Gemeinde eigentlich umfasst.

 

Doch der Anblick voll besetzter Kirchenbänke ist selten geworden. Die traditionellen Amtskirchen schwinden, die Zahlen der evangelischen und katholischen Bürger sinken stetig sowohl in den einzelnen Stadtbezirken als auch in ganz Stuttgart. Das statistische Amt der Stadt Stuttgart sammelt die Daten über die Religionszugehörigkeit der Bürger.

In den Stadtbezirken Degerloch, Sillenbuch, Birkach und Plieningen gehört mittlerweile nur rund die Hälfte der Bewohner der evangelischen oder katholischen Konfession an. Zum Vergleich: Im Jahr 1995 gaben noch rund 70 Prozent der Bürger an, Protestant oder Katholik zu sein. Dabei gingen die Zahlen der Katholiken nur leicht zurück, die Protestanten jedoch verloren viele Mitglieder.

Katholisch zu sein ist nicht ganz so „out“ wie evangelisch zu sein

Besonders ins Auge sticht der Rückgang der evangelischen Gläubigen in Degerloch: 46 Prozent waren 1995 evangelisch, aktuell sind es 33 Prozent. Im selben Zeitraum sank der Anteil der Katholiken von 25 auf 23 Prozent. Auch die anderen Stadtbezirke Sillenbuch, Birkach und Plieningen liefern ein ähnliches Bild. Salopp formuliert, ist katholisch zu sein auf den Fildern nicht ganz so „out“ wie evangelisch zu sein. Trotz allem wohnen auf der Filderebene noch die meisten Protestanten im Stuttgarter Stadtbezirksvergleich. Degerloch und Sillenbuch beherbergen die meisten Stuttgarter Protestanten bezogen auf die Anzahl der Menschen in den Bezirken.

Stuttgart ist traditionell evangelisch. 1534 führte Herzog Ulrich die Reformation in Württemberg ein, noch im selben Jahr feierten die Protestanten in der Stuttgarter Stiftskirche den ersten evangelischen Gottesdienst in Württemberg. Erst 250 Jahre später wurde die erste katholische Kirche im heutigen Stadtteil Hofen bei Bad Cannstatt eingeweiht. So zumindest teilt es das Statistische Amt der Stadt Stuttgart mit, das die religiöse Vielfalt in der Landeshauptstadt erforscht hat. Auch die Industrialisierung und die Zuwanderung nach Stuttgart im 19. Jahrhundert änderte nichts daran, dass die Bürger überwiegend dem lutherischen Glauben folgten. Ende der 50er, Anfang der 60er erreichte die Anzahl der Gemeindemitglieder in beiden Konfessionen ihre Höhepunkte. In dieser Zeit entstanden im Stuttgarter Raum knapp 50 neue evangelische und katholische Kirchen.

Seither sinken die Anteile derer, die dem christlichen Glauben angehören möchten. Woran liegt das? Ganz nüchtern betrachtet hat die evangelische Kirche eher ein Demografieproblem in Stuttgart als die katholische, ihre Mitglieder sind mit durchschnittlich 47 Jahren drei Jahre älter als die Katholiken. Es sterben verhältnismäßig schlicht mehr evangelische Gemeindemitglieder als katholische. Dazu treten mehr aus der Kirche aus als getauft werden.

Lückenhafte Datenerfassung

Doch der sinkende Anteil gläubiger Menschen erklärt sich nicht allein durch die Demografie, ein weiterer Grund liegt in der lückenhaften Datenerfassung. Schlicht zu sagen, dass Religion und Gläubigkeit seit den 60ern an Bedeutung verlieren oder die Bürger sich von Religionen entfremden, greift zu kurz. Nur die Mitgliedschaft in einer sogenannten öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft ist im Melderegister verzeichnet. Dazu gehören neben der römisch-katholischen und der evangelischen Kirche auch orthodoxe und jüdische Gemeinden sowie Freikirchen. Muslime hingegen sind nicht erfasst. „Sicherlich hat der starke Zuzug in den vergangenen Jahren mit dazu beigetragen, dass sich der Bevölkerungsanteil, der einer anderen oder keiner Religionsgemeinschaft angehört, erhöht hat“, sagt Attina Mäding vom Statistischen Amt Stuttgart. Die Folge: Der Anteil der Protestanten und Katholiken in der Bevölkerung sinkt in den Statistiken, die Zahlen sagen aber nichts über die Religiosität der Menschen aus.

Beim Zensus 2011 gaben nur zehn Prozent der Stuttgarter an, keiner Religion oder Glaubensrichtung anzugehören, so ergibt sich ein anderes Bild: Ein Bild gläubiger Stuttgarter, nur sind sie nicht mehr ausschließlich evangelisch oder katholisch. Das bestätigen auch die Erkenntnisse aus der Stuttgarter Lebensstilbefragung 2008. Diese fragte die Religiosität der Teilnehmer ab. Mitglieder anderer Religionsgemeinschaften schätzten sich selbst deutlich religiöser ein als Katholiken oder Protestanten, doch in den Zahlen zur Religionszugehörigkeit tauchen diese Menschen nur unter „andere, keine Religionszugehörigkeit“ auf.

Die Stuttgarter sind also den Zahlen nach nicht grundsätzlich weniger religiös als noch vor 20 Jahren, nur die traditionellen „Amtskirchen“ erleben einen Bedeutungsverlust. Gegen diesen Trend stemmt sich die katholische Gemeinde Sankt Michael in Sillenbuch. Sie verzeichnete bis 2014 noch zunehmende Mitgliederzahlen.