Die Beteiligten des Konzerts in der Stiftskirche am Karfreitag haben Tolles geleistet – und ein Werk aufgeführt, dessen Herkunft und Qualität zweifelhaft sind.

S-Mitte - Einer wurde am Ende dieses Sonderkonzerts in der Stiftskirche sogar lautstark gefeiert – trotz Karfreitag, dem stillen Feiertag. Aber eigentlich hatten alle solch aufbrandenden Applaus verdient, die in der Stunde der Kirchenmusik unter der höchst konzentrierten Leitung von Kantor Kay Johannsen an der Aufführung dieses apokalyptischen Mammutwerkes mitgewirkt hatten. Allenfalls bei Franz Schmidt, dem Komponisten des Oratoriums „Das Buch mit sieben Siegeln“, mag man da leise Zweifel haben. Aber der ist ja schon lange tot.

 

Der Wiener Tonsetzer starb 1939, noch vor Kriegsbeginn. Er starb herzkrank, bevor er das Auftragswerk „Deutsche Auferstehung“ vollendete, mit dem der umjubelte Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich als klangstarke Huldigungs-Kantate gefeiert werden sollte. Die neuen nationalsozialistischen Herren der Kultur schätzten Franz Schmidt als führenden Komponisten der frisch angegliederten „Ostmark“ und seinen Stil sicherlich als sehr passend zu ihrer „Neuen Zeit“. Man darf solche Musik wie das ein paar Jahre zuvor entstandene Oratorium über die an sich schon grelle „Offenbarung des heiligen Johannes“ heutzutage schon aufführen. Aber es schadet nicht, den Hintergrund zu kennen.

Der Besetzungs-Aufwand für zwei Stunden durchkomponierte Apokalypse hält sich doch in zivilen Grenzen. Die Stiftskantorei und die sinfonisch vollstimmige Stiftsphilharmonie wurden angefüllt durch die Posaunen des Jüngsten Gerichts (die zu dritt schöne weich-melodische Stellen hatten), Pauken und Trompeten, ein Schlagwerk, um Gong und Becken, marschmäßige Snaredrum und knochenklapperndes Xylophon erweitert, dazu eine solistisch hervortretende Orgel sowie neben dem Erzähler-Tenor des Johannes ein klassisches und hochklassiges Sängerquartett.

Die Vertonung eines visionären Monstertextes

Franz Schmidt wollte wohl barocke Pracht und Frömmigkeit, klassische Formmuster, romantische Klangvielfalt und eine Dosis moderner Freiheiten mit seinem – naja – soliden satztechnischen Handwerk zusammenzwingen in die Vertonung dieses visionären Monstertextes. Die „Hure Babylon“, der „Antichrist“, die sieben Plagen und sieben Siegel und viel anderer irrwitziger Endzeit-Horror mehr, haben Künstler wie Spinner aller Epochen stets magisch angezogen.

Schmidt aber begnügte sich nicht damit, die leicht gekürzte Langfassung dieses faszinierenden Horrortextes durchzukomponieren, also ein Vielfaches an Worten etwa des Mess-Ordinariums ins Tönen zu versetzen. Er fühlte sich offenbar noch berufen, ziemlich plumpe eigene „Ergänzungen“ beizufügen („Die Völker sind zornig geworden“). Völkische Anmaßung? Kleiner Größenwahn? Durchgeknalltes Pathos? Wohl schon. Das fiel zu jener Zeit nicht so auf.

Paradox war dabei, dass ein Männerchor nach all dem Schwulst ein von gregorianischem Mönchsgesang noch runterreduziertes „Dankgebet“ in seiner einstimmigen Schlichtheit endlich mal als einen klaren Kontrast bringen durfte. So etwas hatte sich das empfindlichere Ohr schon stundenlang herbeigesehnt in diesem oft tumb aufgetürmten Klang-Bombast. Der sonst so kritisch-kundige Kay Johannsen mag in manchen Fugen und „Quadrupelfugen“ Franz Schmidts irgendeinen kompositorischen Wert ausgemacht haben. Beim einmaligen Hören wirkte das groteske Opus eher wie unbeholfenes Kantoren-Strickwerk. Die Interpreten ließen ihm aber eine uneingeschränkt wertschätzende Würdigung zuteil werden: Chor, Orchester, Solisten – allesamt von erster Klasse.

Das beste an Durchhalten auf höchstem Niveau lieferte der amerikanische Tenor Brenden Gunnell mit seiner nuancierten Erzähler-Partie des Johannes. Er hätte nicht erröten müssen im wiederholten Jubel des Publikums. Denn der war vollkommen verdient für diesen staunenswerten stimmlichen Kraftakt. Auch die bestechende Gestaltungskraft Kay Johannsens durfte zu Recht gefeiert werden.