Ministerpräsident Winfried Kretschmann warnt vor einer radikalen Trennung von Staat und Kirche. Das bringe nicht mehr, sondern weniger Freiheit, sagt der Grüne auch in Richtung seiner Partei.

Familie, Bildung, Soziales : Michael Trauthig (rau)

Stuttgart - Momentan haben diejenigen wieder Auftrieb, die das traditionelle Verhältnis von Staat und Religion kippen möchten. Der Fall des Bischofs von Limburg, der wohl mit kirchlichen Mitteln verschwenderisch umgegangen ist, Gläubige gegen sich aufgebracht und es vermutlich mit der Wahrheit nicht immer ganz genau genommen hat, liefert den Kritikern Munition. Auch der baden-württembergische Ministerpräsident hält den hohen Geistlichen in seinem Amt nicht mehr für tragbar. Doch einen Grund, nun die Beziehung zwischen Staat und Kirche völlig neu zu ordnen, erkennt Kretschmann in den Vorgängen nicht. Vielmehr meint der Grüne, die Aufdeckung des Skandals stehe dafür, dass gesellschaftliche Kontrolle wirkt.

 

Kretschmann spricht am Freitag an der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Und das Mitglied des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken warnt davor, das Religiöse aus dem öffentlichen Raum zu verbannen. Das bringe keinen Freiheitsgewinn, sondern das Gegenteil. Vielmehr müsse der Staat die Religionen fördern – und zwar im eigenen Interesse: „Denn der Staat braucht sinnstiftende Gemeinschaften.“ Kretschmann plädiert für eine kooperative oder „ausbalancierte Trennung“ beider Sphären. So werde einerseits verhindert, dass eine grundsätzliche Dimension von Kultur verloren gehe. Andererseits würden auch die Religionen dazu gebracht, sich im säkularen Raum zu bewegen und ihre Glaubensinhalte plausibel zu machen.

Kretschmann: Kirchen sollen über ihr Arbeitsrecht nachdenken

Dennoch sieht der 65-Jährige auch Modernisierungsbedarf, weil der religiöse Pluralismus wächst und das Verständnis für Traditionen abnimmt. So wünscht er sich, dass andere Religionsgemeinschaften eine gleichberechtigte Stellung zu den Kirchen erlangen. Das heißt etwa: regulären muslimischen Religionsunterricht an den Schulen ermöglichen und einen muslimischen Sozialverband gründen, der ein Alternativangebot zu den christlichen Einrichtungen schüfe. Außerdem hofft Kretschmann auf einen neuen Konsens über den Schutz christlicher Feiertage: „Ich war selbst überrascht, an wie vielen Tagen ein formelles Tanzverbot gilt.“ Er empfiehlt den Kirchen zwar über ihr Arbeitsrecht nachzudenken, das es zum Beispiel erlaubt, einen katholischen Mitarbeiter zu kündigen, weil der nach einer Scheidung wieder heiratet.

Der Ministerpräsident macht aber klar, dass sich der Staat wegen des Tendenzschutzes da prinzipiell nicht einzumischen habe. In seiner Partei allerdings gibt es durchaus gegensätzliche Auffassungen zu seiner Sicht. So sagt Kretschmann offen: „Wenn ich nicht aufpasse, fasst meine Partei immer laizistische Beschlüsse.“