Der Stuttgarter Knabenchor Collegium Iuvenum hat beim Kirchentag einen Auftritt mit der Kölner Vokal-Popband Wise Guys. Eindrücke von der Probe.

Klima und Nachhaltigkeit: Julia Bosch (jub)

Stuttgart/Freiburg - Lange ausschlafen an einem Sonntag ist für die jungen Sänger ein seltener Luxus. Anstelle von ausgiebigem Frühstück oder den beliebten Fernsehsendungen am Sonntagmorgen, steht bei ihnen meist ein Konzert in einer Kirche ein. Manchmal in Stuttgart, manchmal aber auch in der Umgebung oder irgendwo in Deutschland. An diesem Sonntag haben sie Glück: Sie singen um 10 Uhr in der Stuttgarter Domkirche St. Eberhard. Heißt: Zuhause schlafen und nicht bereits im Morgengrauen losfahren müssen.

 

Nachdem der Gottesdienst vorbei ist, gegen 11.45 Uhr, fängt ihr Tag jedoch gerade erst an. Ein Junge nach dem anderen stürmt in den Reisebus, der am Karlsplatz geparkt steht und auf dem das magnetische Schild angebracht ist: „collegium iuvenum Stuttgart“. Manche Knaben tragen noch die Konzertkleidung vom Gottesdienst, aber die meisten haben Alltagsklamotten an: kurze Hose, T-Shirt, viele tragen eine Baseballkappe auf dem Kopf.

Die Sänger aus dem Knabenchor collegium iuvenum Stuttgart (CIS) sind wie alle anderen Jungs in ihrem Alter auch: Sie mögen Fußball, Computerspiele und Harry Potter. Nur können sie eben besonders gut singen und sind häufig auf Reisen. Wie an diesem Sonntag Ende April, als 55 Sängerknaben in den Reisebus nach Freiburg einsteigen, um mit der Vokal-Pop-Band Wise Guys im Vorfeld zum gemeinsamen Auftritt beim 35. Kirchentag in Stuttgart zu proben.

Den Auftritt mit der in Deutschland bekannten Band haben die Knaben dem Engagement ihres Chor-Geschäftsführers Andreas Roßkopf zu verdanken. Er ist selbst Fan der Band und weiß, dass sich unter den jungen Sängern viele begeisterte Anhänger befinden: „Vor etwa sechs Jahren schrieb ich das Management der Wise Guys erstmals an“, berichtet er. „Und kurze Zeit später kündigten sie sich auf einen Besuch bei uns an. Die Band besuchte uns in der Domsingschule und sang einige Lieder. Im Anschluss beantworteten sie mit viel Humor die Fragen der Knaben und Männer.“ Ein erster Kontakt war entstanden.

Das Highlight des Jahres für die Knaben

In den kommenden Jahren bekam Roßkopf immer wieder mit, dass die Wise Guys regelmäßig auch auf kirchlichen Großereignissen auftraten. „Als klar wurde, dass der Kirchentag 2015 in Stuttgart ausgerichtet wird, habe ich das Management angefragt, ob ein gemeinsamer Auftritt möglich ist“, berichtet Roßkopf. Kurze Zeit später kam die Zusage und eine für die Knaben umgeschriebene Version des Titels „Jetzt ist Sommer“. Mit dem Lied wurden die Wise Guys 2001 bundesweit bekannt, den Refrain kennt man aus dem Radio: „Jetzt ist Sommer, egal ob man schwitzt oder friert, Sommer ist was in deinem Kopf passiert. Jetzt ist Sommer, ich hab’ das klargemacht. Sommer ist wenn man trotzdem lacht.“

Die Chorjungs kennen den Text allesamt längst auswendig. In den vergangenen Wochen haben sie regelmäßig am Ende ihrer Proben den Titel einstudiert, um bestens präpariert für die Probe mit der Band zu sein. Doch für viele ist das Lied keineswegs etwas Neues – nicht wenige haben CDs von den Wise Guys zu Hause oder auch einige Titel von ihnen auf dem Handy. Der Chorleiter Michael Culo weiß, dass der Auftritt mit den Wise Guys für die Knaben das Highlight des Jahres ist: „Da dürfen sie die Musik singen, die sie sonst in ihrer Freizeit hören.“

Um aber mögliche Probleme frühzeitig zu klären und zumindest einmal zusammen vor dem großen Auftritt am 4. Juni zu proben, hat Roßkopf die gemeinsame Probe mit den Wise Guys und dem anschließenden Konzertbesuch organisiert. Dafür fahren die Knaben auch an einem Sonntag gerne jeweils gut zwei Stunden nach Freiburg und wieder zurück nach Stuttgart.

Mädchen verboten

Schon im Reisebus auf den Weg nach Freiburg hört man hin und wieder Klänge aus den Wise Guys – allerdings nicht etwa vom Handy abgespielt (beim Knabenchor gilt theoretisch ein strenges Handyverbot!), sondern von den Jungs selbst gesungen. „Das Lied gefällt uns richtig gut“, sagt Samuel Liebhäuser (11). Der Fünftklässler besucht das musikalisch geprägte Eberhard-Ludwigs-Gymnasium und ist seit vier Jahren aktiver Sänger im Knabenchor. Sein Nebensitzer Leonhard Penz (11) ergänzt: „Uns macht es auch Spaß, mal etwas ganz Anderes zu singen als Kirchenmusik.“ Der Fünftklässler der Waldorfschule am Kräherwald ist vielseitig musikalisch begabt: „Ich spiele Geige und mache im Schulorchester mit“, berichtet er. Im Knabenchor ist er schon so etwas wie ein alter Hase: „Ich bin seit fünfeinhalb Jahren dabei und habe damals im A-Chor angefangen“, berichtet er. Daher ist er mittlerweile an das das Busfahren gewohnt. Die weite Fahrt für eine Probe sei aber etwas Einmaliges: „Wir fahren häufiger für Konzerte sehr weit , aber für eine Probe bisher noch nie.“ Doch es ist ja nicht nur eine Probe: An dem Abend geben die Wise Guys ein Konzert im Freiburger Konzerthaus – dazu wurden die Knaben eingeladen.

„Wir sind ein freier Chor und finanzieren uns durch Zuschüsse und Spenden“, erläutert der Chorleiter. Hauptsächlich wird der CIS aber von einem großen Förderverein getragen. „Der Knabenchor ist unterteilt in acht Chorstufen“, sagt Culo. Die ersten drei Stufen (Eltern-Baby-Rhythmik, Eltern-Kind-Rhythmik und musikalische Früherziehung Vokal) sind noch gemischte Gruppen, also gemeinsame Angebote der Stuttgarter Mädchenkantorei und des Knabenchors. Ab 10 Monaten können Kinder einsteigen – gemeinsam mit einem Elternteil. Bis etwa zum sechsten Lebensjahr läuft das Singen in diesen Gruppen mit Rhythmusübungen und einfachen Liedern spielerisch ab.

Ab der Chorstufe A sind Mädchen nicht mehr erlaubt. Dann werden auch Lesekenntnisse zwingende Voraussetzung und die Knaben erhalten in Kleingruppen Stimmbildung. Nach der Chorstufe A folgen noch die Stufen B und C, bis die Knaben in den Reise- und danach in den Konzertchor aufsteigen können. Die ältesten Sänger im CIS sind in den Mittzwanzigern, im sogenannten Männerchor. Doch dazwischen heißt es für manche Pause machen: Im Stimmbruch setzen einige Jungs aus - andere, bei denen die Männerstimme schon anspricht, singen im Nachwuchsmännerchor und werden behutsam stimmbildnerisch betreut. Bei den großen Auftritten kommt ausschließlich der Reise- und Konzertchor zum Einsatz. So wird es auch beim Kirchentag sein – daher waren auch bei der Probe in Freiburg nur die Knaben aus diesen beiden Chorstufen dabei, sowie 20 Sänger aus dem Männerchor.

Jungs müssen ihr Improvisationstalent unter Beweis stellen

Nach gut zwei Stunden Fahrt rollt der Bus vor dem Konzerthaus in Freiburg vor. Kurze Pause an der frischen Luft, anschließend heißt es Einsingen im Foyer. „Aufstellung“, ruft der Chorleiter und kurz danach stehen die Knaben in einem Halbkreis vor Culo, die mitgereisten Männer dahinter. Bei den Stimmübungen, wozu auch die sogenannte Solmisatio gehört, zeigen die Knaben innerhalb des gesungenen „do-re-mi-fa-so-la-ti-do“ , wie gut sie aufeinander abgestimmt sind.

Dann beginnen die Knaben die ersten Klänge aus dem gemeinsamen Lied mit den Wise Guys zu singen. Als Mensch ohne außergewöhnlich geschultes Gehör ist man überzeugt, dass es bereits perfekt klingt. Doch der Chorleiter hat Verbesserungswünsche: „Den Ton brauche ich etwas deutlicher“, oder „Nein, ihr müsst an der Stelle einstimmig singen.“ Schließlich ist Culo zufrieden und es geht in den Konzertraum, wo die Wise Guys bereits am Aufbauen und Proben sind. Spätestens jetzt wird die außergewöhnliche Disziplin der Jungs in diesem Alter sichtbar.

Mucksmäuschenstill betreten sie die Bühne und stellen sich auf. Andrea Figallo, Sänger der Wise Guys und derjenige der mit dem Mund den Bass mimt, beginnt den Takt vorzugeben. Die Chorknaben steigen ein. Sofort unterbricht Bariton Edzard „Eddi“ Hüneke: „Nein, stopp, wir fangen erst zwei Takte später an zu singen.“ Nächster Versuch: Diesmal gelingt der gemeinsame Einsatz, doch nun müssen die Knaben ihr Improvisationstalent unter Beweis stellen: „Könntet ihr noch einen Vers zusätzlich singen?“, fragt Hüneke und sagt ihnen zweimal den zusätzlichen Text vor. Die Jungs nicken und singen beim nächsten Mal den eben frisch gelernten Vers mit. Die Wise Guys nicken zufrieden und loben die Nachwuchssänger: „Das klingt super, richtig cool!“ Mit roten Wangen und sichtlich stolz verlassen die Knaben die Bühne – nun ist Freizeit angesagt, bis das Konzert der Wise Guys beginnt und die Jungs ausnahmsweise mal auf den Zuschauerrängen Platz nehmen.

Vorfreude auf den Kirchenag

Um kurz vor 18 Uhr sitzen die Knaben auf zwei Reihen verteilt im Konzerthaus. Noch erscheint der junge Sänger Florian Hog (13) gelassen: „Ich kenne nur ein paar Lieder von den Wise Guys“, sagt er. „Aber die Lichter und das Equipment von ihnen finde ich wirklich beeindruckend.“ Nachdem die ersten Minuten des Konzerts vergangen sind, kann er sein Smartphone aber kaum mehr aus der Hand legen: Immer wieder setzt er an und macht Fotos. In der Pause springt der Plochinger Gymnasiast auf und besorgt sich am Werbestand der Wise Guys für 16 Euro die neueste CD. Und spätestens als die Vokal-Pop-Band nach der Pause „ihr“ Lied singt, also „Jetzt ist Sommer“, ist für die Knaben kein Halten mehr. Alle klatschen und singen laut mit.

Auch auf dem Heimweg nach Stuttgart lässt die Euphorie nicht nach. Nur die wirklich Erschöpften können schlafen. Die anderen stimmen immer wieder Lieder der Wise Guys an. Man darf davon ausgehen, dass die Vorfreude auf den gemeinsamen Auftritt nach diesem Tag noch mal um einiges gestiegen ist.