Dreimal haben sich die Protestanten nach dem Zweiten Weltkrieg zu Kirchentagen in Stuttgarter getroffen. Jedes dieser Treffen war vom jeweiligen Zeitgeist geprägt.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Die Menschen strömen auf den Platz vor dem Neuen Schloss, zum Jerusalemkreuz mit der Kirchentagslosung. „Wählt das Leben“ prangt vor der Schlossruine. Es ist das Jahr 1952, die Stadt ist in weiten Teilen noch immer eine Trümmerlandschaft, das Land leidet an den Folgen des Zweiten Weltkriegs.

 

„Wir müssen in Deutschland wieder lernen, auf die Stimme des Rechts zu hören“, ruft Helmut Gollwitzer den Teilnehmern zu . „Was Recht ist, erkennt man nur im Hören auf Gottes Wort.“ Die Rede des Berliner Theologen ist typisch für den Geist der Kirchentage in dieser Zeit. Die Titel sind weitläufig, politische Fragen werden religiös aufgefasst, umstrittene Themen wie die Westbindung und die Wiederbewaffnung kommen im Hauptprogramm nicht vor. Eine explizite Auseinandersetzung mit der NS-Zeit findet nicht statt. Es geht um sittliche Erneuerung und religiösen Aufbruch.

Im Geist der Adenauer-Republik

Rund 40 000 Dauerteilnehmer kommen Ende August 1952 zum vierten Kirchentag nach Stuttgart, zur Hauptversammlung im Rosensteinpark sogar 200 000 Menschen. Nicht Gesellschaftskritik und Kirchenreform sind die Ziele, sondern die Bestätigung des eingeschlagenen Weges der Adenauer-Republik, die Einübung einer bis dahin „fehlenden demokratisch-politischen Tradition im Protestantismus“, schreibt der Publizist Reinhard Henkys.

Die Begegnung war in diesen Jahren das Eigentliche beim Kirchentag, von Gleichgesinnten und von Menschen, die sich durch Krieg, Flucht und Vertreibung aus den Augen verloren hatten. Die Begegnung mit den Brüdern und Schwestern aus dem Osten, denen man zwei Jahre zuvor in Berlin ein „Auf Wiedersehen in Stuttgart“ zugerufen hatte, aber kam nicht zustande. Statt 20 000 kamen nur 35, die DDR hat ihnen die „Interzonenpässe“ verweigert.