Bei einer Veranstaltung mit dem Titel „Streit um die Bibel“ hätte man eine Auseinandersetzung der theologischen Richtungen in der evangelischen Kirche erwarten können. Doch es kam anders.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Wenn bei diesem Kirchentag auf der Verpackung Streit steht, ist da nicht unbedingt Streit drin. Von dem Titel „Streit um die Bibel“ konnte man jedenfalls eine Auseinandersetzung der theologischen Richtungen in der evangelischen Kirche erwarten. Doch es kam anders. Bei der Eröffnung erinnerte der Stuttgarter Kirchenrat Dan Peter als Moderator zwar daran, dass dieses Streitthema Ende der 1960er Jahre so manche Gemeinde „ziemlich durcheinandergewirbelt hat“. Seine Mitmoderatorin und Pfarrerin Dorothee Gabler wies aber sogleich den Weg, den die Veranstaltung beim CVJM gehen sollte. „Die württembergische Landeskirche vereint unterschiedliche Frömmigkeitstypen“. Diese „verschiedenen Zugänge zur Bibel, die nebeneinander bestehen bleiben sollen“, wolle man darstellen, ihre Qualitäten, aber auch ihre Grenzen, wie das Frank Zeeb, Referatsleiter Theologie beim Oberkirchenrat, am Rande erklärte. Dafür hatte man sich ein besonderes Prozedere ausgedacht.

 

Acht Personen saßen auf der Bühne, der pietistischen Richtung, der historisch-kritischen Bibelforschung, des feministischen Verständnisses und einer eher psychologischen Auffassung. Die hielten aber keine Statements. Stattdessen verteilten sich die gut 300 Zuhörer in sechs Workshops, in zwei Runden konnten sie zwei besuchen. Im Zentrum stand die Geschichte von Abraham, Sarah und Hagar.

Für Hartmut Schmid, den Vorsitzenden des pietistischen Liebenzeller Gemeinschaftsverbands, zeigt diese, wie die Biografie einzelner Menschen eingebunden ist in den Heilsplan Gottes und wie sich dieser zuletzt auch erfülle. Abraham ist von Gott verheißen, dass er Stammvater eines mächtigen Volkes sein werde. Doch seine Frau Sarah bekommt kein Kind, weshalb sie entscheiden, dass Abraham Nachwuchs mit der Sklavin Hagar zeugen soll. Aus dieser Verbindung geht Ismael, der Stammvater der Araber, hervor. Nach Jahren, als Sarah doch noch Isaak, den Stammvater der Israeliten, bekommt, wird Hagar mit ihrem Sohn verstoßen. „Gott löst seine Verheißungen ein“, sagte Steffen Kern vom Gemeinschaftsverband Apis. „Gott hält uns die Treue, und das dürfen wir auch persönlich nehmen.“

„Die starken Konfrontationen sind vorüber“

Wolfgang Oswald, Alttestamentler aus Tübingen, machte seine Zuhörer mit der historisch-kritischen Methode vertraut. Er erläuterte, dass es über Abraham und Sarah keine historischen Quellen gebe und diese nicht als Individuen aufzufassen seien, sondern als „korporative Charaktere“. So stehe die Unfruchtbarkeit Sarahs für die gefährdete Lage eines Volkes auf Wanderschaft. Für den Glauben sei aber auch dies von Belang, so Oswald. Anders als frühere Forschergenerationen verwerfe man heute biblische Texte nicht mehr einfach, man bewerte sie nur unterschiedlich: „Die starken Konfrontationen sind vorüber.“

Bärbel Wartenberg-Potter, frühere Bischöfin in Lübeck, hob die Leistungen der feministischen Theologie hervor. So sei es etwa deren Verdienst, dass neben Abraham heute überhaupt Frauenfiguren wie Sarah und Hagar in den Blick gerückt seien. „Das macht auch Frauen von der Bibel existenziell betroffen, das gibt ihnen Lebensmut“, sagte Wartenberg-Potter. Im Gespräch nach der Sitzung aber fand eine Zuhörerin: „Das war doch sehr sanft.“ Eine andere beklagte: „Wir haben doch ein sehr männliches Gottesbild, das schmerzt mich, ich habe da keine Heimat.“

Vermutlich wird die Frau dies auf ein Kärtchen geschrieben und an eine der Pinnwände geheftet haben. Diese sollten nach den Workshops nämlich einen „stummen Dialog“ innerhalb des Publikums ermöglichen. Ob das damit zufrieden war? Eine Teilnehmerin aus Freiburg sagte jedenfalls, sie sei „total enttäuscht“, weil sie nichts über die Abgrenzung der Richtungen erfahren habe. Und eine 68-Jährige aus Echterdingen kam zu dem Schluss: „Ich sehe da gar keinen Streit.“