Die Gesellschaft kann das Rad nicht zurückdrehen. Davon ist Angelika Matt-Heidecker überzeugt. Beim Dämmerschoppen macht sie angesichts der Flüchtlingskrise den Bürgern Mut und wendet sich gegen Denkbarrieren in den Köpfen.

Kirchheim - Wenn Angelika Matt-Heidecker von Barrierefreiheit spricht, dann meint sie damit zwar auch, dass sich Menschen beim Zutritt zu Gebäuden keine Hindernisse in den Weg stellen dürfen. Die Kirchheimer Oberbürgermeisterin verwendet den Begriff aber in einem viel größeren Kontext und dehnt ihn auf alle Mitglieder der Gesellschaft aus. Sie versteht unter Barrierefreiheit „die Chancengleichheit beim Zugang zur Bildung, Information, Wohnraum, Mobilität und die politische und kulturelle Teilhabe“.

 

Eine „Globalisierung de luxe“ kann es nicht geben

Beim traditionellen Dämmerschoppen am Freitagabend rief die Rathauschefin die Bürger auch dazu auf, angesichts der Flüchtlingskrise Barrieren in den Köpfen zu überwinden. Eine „Globalisierung de luxe“ könne es nicht geben, griff Matt-Heidecker einen Gedanken von Richard David Precht auf. Können Europa und Deutschland „ein Welterholungsgebiet für Wohlhabende sein? Zugeschüttet durch Produkte aller Couleur von den laufenden Bändern in China und Bangladesch, verkauft als unendlicher Spaß aus der Sinn- und Unsinn-Produktion?“, zitierte die Oberbürgermeisterin Matt-Heidecker den Philosophen Precht.

„Wir leben im Jahr eins nach der Erkenntnis, dass wir unseren Wohlstand mit jenen teilen müssen, auf deren Kosten wir ihn – zum Teil – erarbeitet haben und weiter erarbeiten“, folgert die Oberbürgermeisterin. Die Flüchtlinge seien gekommen, um zu bleiben. „Auch sie wollen von der Globalisierung profitieren und nicht ihr Opfer bleiben“, erklärt Angelika Matt-Heidecker und fragt: „Wenn es legitim ist, dass Rüstungsfirmen von den Kriegen der Welt profitieren, ist es dann nicht auch legitim, dass die Kriegsopfer ins Neckartal und nach Kirchheim unter Teck kommen?“.

Werte haben in der „world.com“ weiter Bestand

Während der Landshuter Landrat Peter Dreier am Donnerstag einen Bus mit Syrern zum Kanzleramt geschickt hat oder ihr Leinfelden-Echterdinger Amtskollege Roland Klenk wie berichtet am Samstag wegen der Flüchtlingskrise Angela Merkel einen Brandbrief nach Berlin sandte, analysiert Angelika Matt-Heidecker nüchtern. „World.com hat begonnen, uns zu verändern. Mit Abschotten halten wir die globalisierte Welt nicht auf.“

Deutschland sei längst nicht mehr das Land, „dessen Gastronomie weitgehend aus Strammer Max und Zigeunerschnitzel bestand“. Aber auch im unübersichtlichen „Global Village“ gebe es weiterhin Leitplanken. „Ich bin mir ganz sicher, was uns als Seelenort wichtig ist, wird auch weiterhin Bestand haben. Es werden aber Werte und Gefühle innerhalb der alles umfassenden world.com sein.“

Wer Spielregeln nicht akzeptiert, hat hier keinen Platz

Neben der Rechtsstaatlichkeit und der Menschlichkeit sei die Gleichberechtigung von Frau und Mann einer dieser unveräußerbaren Werte. „Ich möchte auch in Zukunft mit meiner Nachbarin in der Neujahrsnacht nach Hause auf den Milcherberg laufen und mich an der Offenheit und einer herrlichen Freiheit und Sicherheit in dieser Stadt erfreuen“, sagt Angelika Matt-Heidecker mit Blick auf die jüngsten Übergriffe in Köln und Hamburg. „Wer das nicht akzeptiert, hat kein Bleiberecht“, sagte das Stadtoberhaupt an die Adresse von kriminellen Asylbewerbern.

Für schärfere Kontrollen von Flüchtlingen

Flüchtlinge sollten schärfer kontrolliert und registriert werden, fordert Matt-Heidecker. Wenn es keinen Grund zum Bleiben gebe, müsse rascher abgeschoben werden. Wer anerkannt sei und zur Eingliederung bereit, der habe allerdings Anspruch auf die eingangs erwähnte Barrierefreiheit. „Wir werden die Menschen in unsere Bildungssysteme bringen müssen, in Betreuung und Integration“ – und dies werde Milliarden kosten, macht Matt-Heidecker deutlich. Um Flüchtlingen ein Dach über dem Kopf bieten zu können, fordert sie eine „massive Unterstützung“ durch den Bund.

Beim Neujahrsempfang beschreibt die Oberbürgermeisterin die Herausforderungen der nächsten Monate und Jahre: Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, Anstrengungen für den Klimaschutz und die Stärkung von Bildungsangeboten sind nur einige der vielen Aufgaben. Doch ist Angelika Matt-Heidecker zuversichtlich, gemeinsam mit der Kirchheimer Bürgerschaft die dabei im Weg stehenden Barrieren beiseite zu räumen.