Der Verdacht gegen den CDU-Abgeordneten Karl Zimmermann wegen der Beihilfe zur Entziehung Minderjähriger erhärtet sich. Er soll einer Mutter und ihrem Sohn geholfen haben, unterzutauchen.

Kirchheim - Karl Zimmermann gerät zusehends stärker unter Druck. Wie berichtet, strebt die Staatsanwaltschaft Stuttgart ein Ermittlungsverfahren wegen der Anstiftung oder Beihilfe zur Entziehung Minderjähriger gegen den Kirchheimer CDU-Landtagsabgeordneten an. Die Behörde wirft dem 61-jährigen Politiker vor, er habe einer Mutter geraten, mit ihrem heute fünfjährigen Sohn unterzutauchen, um sich der Vollstreckung zweier Beschlüsse des Oberlandesgerichts Stuttgart zu entziehen. Dieses hatte nach einem Sorgerechtsstreit entschieden, dass der Junge laut internationalem Gesetz nach der gescheiterten Ehe seiner Eltern wieder zu seinem Vater nach Australien zurückkehren müsse. Die Frau hat daraufhin den Petitionsausschuss des Landtags angerufen, in dem Karl Zimmermann Mitglied ist. Er hat sich in dieser Funktion über das vermeintliche Unrecht empört und für das Anliegen der Frau stark gemacht.

 

Zimmermann bestreitet Anstiftung

Der CDU-Politiker bestreitet auf Anfrage unserer Zeitung allerdings vehement, dass er der Frau, die im April im Allgäu verhaftet wurde, zum Abtauchen geraten habe. Er habe auch nie gewusst, wo sie sich aufgehalten habe. Das passt allerdings nicht zu Aussagen, die er im Vorfeld der Festnahme vor mehreren Personen geäußert haben soll. Die Kirchheimer Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker beispielsweise erinnert sich, dass Zimmermann in ihr Büro gekommen sei, um sie über den Fall der Kirchheimer Bürgerin zu informieren. Er sei sehr aufgebracht über das Schicksal der Frau und ihres Kindes gewesen und habe sich sehr für deren Belange engagiert. Dabei habe er auch erwähnt, „dass er wisse, wo sie sich versteckt hält, aber nicht daran denke, den Aufenthaltsort preiszugeben“, sagt die Rathauschefin auf Anfrage. Dies bestätigt ein anderer Amtsträger, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Er erinnere sich zwar nicht mehr an den genauen Wortlaut Zimmermanns, „aber es ging schon eindeutig in diese Richtung“, erklärt er auf Nachfrage unserer Zeitung.

Zimmermann bestreitet dies entschieden, bezeichnet das als „absoluten Quark“. Er habe stets behauptet, zu wissen, „wo sie definitiv nicht ist“, so seine Erklärung. Möglicherweise habe er sich dabei „bewusst unglücklich ausgedrückt, damit die Frau nicht verfolgt wird“. Aber wenn er von manchen Personen falsch verstanden worden sei, „ist das deren Problem“. Schon oft habe er „aus taktischen Gründen“ die Leute glauben lassen, „der Zimmermann weiß alles“. Der ehemalige Kriminalhauptkommissar beteuert aber, nie davon Kenntnis gehabt zu haben, wo sich die Frau befindet. Zudem habe er ihr nicht geraten, sich mit ihrem Sohn zu verstecken.

Frau in Oberstdorf festgenommen

Widerlegt würde das durch eine angebliche Einlassung der Frau, die inzwischen mit ihrem Sohn wieder in Australien lebt. Laut dem Kirchheimer Rechtsanwalt Markus Berthold – er hat Zimmermann auf Betreiben des australischen Vaters angezeigt – soll sie bei ihrer Festnahme betont haben, es sei die Idee des CDU-Politikers gewesen, sich der Vollstreckung zu entziehen. Das könne natürlich eine Schutzbehauptung der Frau sein, sagt Berthold, aber die Kriminalpolizei erachte diese Aussage unmittelbar bei der Festnahme als „ernst und authentisch“. Berthold erinnert sich zudem, dass Zimmermann ihm gegenüber erklärt habe, es gebe keine Chance, die Mutter und das Kind zu finden, wenn sie sich außerhalb Baden-Württembergs befänden. Tatsächlich ist sie im April im bayrischen Oberstdorf festgenommen worden – in einer Ferienwohnung, die laut Berthold dem Vermieter ihrer früheren Wohnung in Kirchheim gehört.

Immunität für Ermittlungsverfahren aufgehoben

Damit hat sich das hartnäckig in der Stadt kursierende Gerücht nicht bestätigt, wonach es Zimmermann selbst gewesen sein soll, der die Flüchtige in seiner Allgäuer Ferienwohnung beherbergt habe. Das sei „totaler Quatsch“, zumal sich sein Urlaubsdomizil mindestens 100 Kilometer von Oberstdorf entfernt befinde.

Ein Sprecher des Landtags bestätigt, die Immunität Zimmermanns sei für dieses Ermittlungsverfahren aufgehoben worden. Der CDU-Politiker ist empört, dass seinem Engagement als Abgeordneter und Mitglied des Petitionsausschusses Strafbarkeit unterstellt werde. Sollte Anklage gegen ihn erhoben werden, müsse sich künftig „jeder überlegen, ob er Abgeordneter wird, und er muss sich zweimal überlegen, ob er in den Petitionsausschuss geht“. Letztlich gerate eine eventuelle Anklage „zur Schande für die Staatsanwaltschaft“.

Der Fall im Fernsehen

Sendung:
Das SWR-Fernsehen befasst sich am Donnerstag von 20.15 Uhr an in der Sendung „Zur Sache Baden-Württemberg“ mit dem Fall. Unter dem Titel „Karl Zimmermann – vom Helfer zum Verdächtigen“ wird in dem Beitrag ein Porträt des Politikers gezeigt und auf die gegen ihn gerichteten Vorwürfe eingegangen.

Situation:
Inzwischen lebt die Frau mit ihrem Sohn in Australien. Laut dem Rechtsanwalt Markus Berthold sieht der Vater den Fünfjährigen an den Wochenenden und unregelmäßig auch unter der Woche. Wie es der Frau gehe, könne er nicht beurteilen, „aber das Leben des Kindes läuft dort relativ harmonisch ab“. Der Vater unterstütze die Frau finanziell, und er tue das auch gerne: „Ihm ist wichtig, dass sein Sohn in seiner Nähe ist.“

Kommentar: Skurril und konstruiert

Kirchheim - Karl Zimmermann setzt sich für die Belange der Menschen ein. Als Landtagsabgeordneter im Allgemeinen und als Mitglied des Petitionsausschusses im Besonderen will er Verzweifelten zu ihrem – zumindest gefühlten – Recht verhelfen. Dieses Engagement für die vermeintlich Schwachen kann ihm sicher keiner absprechen, und es ist aller Ehren wert.

Die Art und Weise indes löst mitunter Kopfschütteln aus und ist alles andere als von Diplomatie und Fingerspitzengefühl geprägt. Im aktuellen Fall vermutet die Staatsanwaltschaft Stuttgart gar, dass sich der 61-Jährige in seinem Bestreben, einer verzweifelten Mutter zu helfen, nicht um Recht und Gesetze geschert hat. Es wäre nicht das erste Mal. Auch im Fall eines schwarz gebauten Hauses in der Gemeinde Ohmden (Kreis Esslingen) kam Zimmermann zu der irrigen Meinung, das Petitionsrecht stehe über dem Verwaltungsrecht, und setzte sich über Urteile des Verwaltungsgerichts und die Planungshoheit der Kommune hinweg.

Außerdem verinnerlicht kaum ein Politiker den Leitsatz „Tue Gutes und rede darüber“ so intensiv wie Zimmermann. Mit seiner Mitteilungsfreude will er nicht nur menschliche Schicksale, sondern auch sich selbst und seinen Einsatz in den Fokus rücken. Wenn sich herausstellen sollte, er hätte tatsächlich öffentlich behauptet, das Versteck der Frau und ihres Sohnes zu kennen, würde das nur wenige wundern.

Seine Versuche, die von ihm angeführten angeblichen Missverständnisse mit seinen Gesprächspartnern zu erklären, muten ziemlich skurril und konstruiert an. Angesichts der Tatsache, dass sie sich unabhängig voneinander zumindest sinngemäß an die entsprechenden Äußerungen des Politikers erinnern, wirken Zimmermanns Aussagen wenig glaubwürdig.