In einer neuen Förderklasse für begabte Flüchtlinge am Pfarrwiesen-Gymnasium bereiten sich 19 Jugendliche auf den Schulabschluss und ein Studium vor. In wenigen Monaten sollen die Schüler in die Regelklassen integriert werden.

Sindelfingen - Vor vier Monaten erst ist Ahmad nach Deutschland gekommen. Doch der 17-jährige Somalier hat keinerlei Probleme, einen ihm fremden deutschen Text vorzulesen. Nicht akzentfrei, aber klar und deutlich sind die Worte zu hören, die er flüssig zu Sätzen zusammenfügt. Soheil, der vor zehn Monaten aus dem Iran geflüchtet ist, kann sogar schon Feinheiten in seiner neuen Sprache entdecken. „Problemchen, das ist ein kleines Problem“, kann er sich ein unbekanntes Wort mühelos erschließen. „Doch warum heißt es dann Mädchen, auch wenn das Mädchen größer ist als ich?“

 

Doch diese Frage kann ihm noch nicht einmal seine Lehrerin Meike Hertkorn beantworten, die sonst auf jede Frage eine Antwort weiß. Und gefragt wird sie sehr vieles. „Ich muss mich hier viel intensiver vorbereiten als in der Flüchtlingsklasse an der Berufsschule, in der ich zuvor unterrichtet habe. Man merkt deutlich, dass hier die Leistungsbereiten sind.“

Jugendliche Flüchtlinge lernen normalerweise in einer der Vorbereitungsklassen an den Berufsschulen Deutsch. „Doch diese Klassen sind sehr heterogen. Da sitzen Analphabeten neben jungen Leuten, die kurz vor dem Abitur standen. Die Leistungsstarken sind da unterfordert, sagt Hertkorn. So wie Ahmad. „Sein Betreuer sagte mir, dass sich der Junge in seiner alten Schule sehr gelangweilt habe“, berichtet die Lehrerin. Dabei sei der junge Somalier extrem motiviert. „Ich fahre jeden Tag eineinhalb Stunden zur Schule und wieder zurück“, erzählt der 17-Jährige.

19 Jugendliche im Alter zwischen 15 und 19 Jahren besuchen die neue Förderklasse für begabte Migranten am Sindelfinger Pfarrwiesen-Gymnasium. „Wir sind noch am Experimentieren“, sagt der Schulleiter Bodo Philipsen. Sein Ziel: „Wir wollen das Kompetenzzenrum im Landkreis für leistungsstarke Flüchtlinge werden.“

Volle Klassen, zu wenige Lehrer

20 Stunden intensiven Deutschunterrichts pro Woche stehen auf dem Stundenplan. Dazu kommt der Besuch einzelner Fachstunden in einer achten, neunten oder zehnten Klasse der Schule. Möglichst schnell sollen die Jugendlichen ganz in die Regelklassen integriert werden. Ein großes Problem hat Philipsen dabei: „Unsere Klassen sind voll.“ Mit den Flüchtlingen erreiche man Klassenstärken von 34 Schülern, der Teiler liegt bei 30. Er hofft, dass das Regierungspräsidium weitere Lehrer zuteilt. In der nächsten Woche führt er Gespräche.

Eigentlich hatte das Konzept des Pfarrwiesen-Gymnasiums die Aufnahme jüngerer Schüler vorgesehen, die sich langsam auf das Abitur vorbereiten sollten. Doch die Realität zeigte, dass die 10- bis 15-Jährigen oft gleich von der Grundschule auf das Gymnasium wechselten. Die Älteren hingegen bleiben auf der Strecke.

27 Bewerber hatte Philipsen für die Starterklasse. 19 Jugendliche nahm er auf. In einem Vorstellungsgespräch hatten diese beweisen müssen, dass sie motiviert sind und über gute Grundkenntnisse im Deutschen verfügen. „Ganz wichtig ist, dass sie bereits eine Fremdsprache können. Für das Abitur müssen sie zwei Fremdsprachen beherrschen, wobei die Muttersprache als eine geprüft werden kann.“ Wichtig für die Zulassung sei gewesen, ob die Lehrer der bisherigen Vorbereitungsklasse das Leistungsvermögen ihrer Schützlinge als gymnasialfähig einschätzten.

„Die ganze Schulgemeinschaft profitiert von den Flüchtlingen“, berichtet Philipsen. Deutlich wird das im Gemeinschaftskundeunterricht der 10b, an dem auch die Syrer Dalo und Omar sowie der Iraner Zanyar teilnehmen. Menschenrechte sind das Thema. Und diese sind für die Flüchtlinge im Gegensatz zu ihren deutschen Klassenkameraden nicht selbstverständlich. „Wir sind Christen, durften das aber im Iran nicht zeigen. Das war gefährlich“, berichtet Zanyar, und er erzählt von seiner Flucht: „Einen Monat, erst zu Fuß über Land, dann mit dem Boot übers Meer.“ „Frauen haben in Syrien nicht die gleichen Rechte wie Männer. Sie dürfen nicht Auto fahren“, sagt Omar. „Das ist nicht überall so“, widerspricht Dalo. „Meine Mutter fährt Auto.“

Die 19-Jährige ist die Älteste der Vorbereitungsklasse, sie hat ganz klare Ziele: „Erst Abitur, dann will ich Lehrerin oder Dolmetscherin werden.“ Computertechnologie möchte der Somalier Ahmad später studieren. Die Lehrer sind überzeugt, dass ihre Schützlinge das schaffen. „Die sind so unglaublich motiviert. Das wirkt positiv, auch auf unsere Schüler“ – das jedenfalls erhofft sich der Rektor.

Jugendliche aus 40 Nationen besuchen die Schule

Modellschule
Drei zusätzliche Deutschlehrerinnen hat das Pfarrwiesen-Gymnasium für die 23 Stunden Deutschunterricht der Vorbereitungsklasse engagiert. Hinzu kommen zwei Verfügungsstunden für die Koordinierung des Projekts. Die Schule hat viel interkulturelle Erfahrung: Aus 40 Nationen stammen ihre Schüler. Und sie ist eines von drei Modell-Gymnasien im Land mit Islam-Unterricht für muslimische Schüler.

Region
Das Land plant, in jedem Kreis eine Schule mit einer gymnasialen Vorbereitungsklasse für begabte Migranten einzurichten. Im Moment gibt es solche Klassen bereits am Georgii-Gymnasium in Esslingen, am Elly-Heuss-Knapp-Gymnasium in Stuttgart, am Göppinger Freihof-Gymnasium sowie am Justinus-Kerner-Gymnasium in Heilbronn. Viele Gymnasien, auch im Kreis Böblingen, nehmen auch einzelne begabte Flüchtlingskinder gleich in die Regelklassen auf.