Ehrenamtliche Richter sehen sich durch die Ausnahmeregelung im geplanten Neutralitätsgesetz zurückgesetzt. Der Landesverband der Schöffen erwägt eine Klage.

Stuttgart - Baden-Württembergs Schöffen halten die Ausnahmeregelungen im geplanten Kopftuchverbot bei Gerichten und Staatsanwaltschaften für falsch und erwägen dagegen zu klagen. „Wir können nicht hinnehmen, dass im Rahmen eines politischen Kompromisses Unterschiede zwischen haupt- und ehrenamtlichen Richtern gemacht werden sollen“, sagte der Landesvorsitzende des Bundes ehrenamtlicher Richterinnen und Richter, Robert Gunderlach, unserer Zeitung. Der Ministerrat will an diesem Dienstag abschließend über das „Gesetz zur Neutralität bei Gerichten und Staatsanwaltschaften“ entscheiden und dieses dem Landtag zuleiten. Das darin formulierte Verbot von Kleidungsstücken, die eine religiöse, weltanschauliche oder politische Auffassung zum Ausdruck bringen, soll lediglich für Berufsrichter gelten, nicht aber für ehrenamtliche.

 

Schöffengerichte seien ein Richterteam, argumentiert hingegen Gunderlach, das in seiner Gesamtheit zur Neutralität verpflichtet sei. „Wenn man dieses Team nun künstlich durch die Kleiderordnung auseinander dividiert, finden wir das nicht gut.“ Dies könne auch zur Fehlannahme verleiten, dass ehrenamtlichen Richtern das Tragen solcher symbolbehafteten Kleidungsstücken erlaubt sei. Dabei gelte auch für sie das allgemeine Mäßigungsgebot. Schon jeder äußere Anschein, wonach Richter von Neutralität, Objektivität, Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit abweichen könnten, müsse vermieden werden.

Erfolgloser Protest

Der Landesverband der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter hat diese Position in den vergangenen Wochen deutlich gegenüber der Landesregierung zum Ausdruck gebracht – allerdings ohne Erfolg. „Auch nach nochmaliger Prüfung“ sollte an der bisher vorgesehenen Regelung festgehalten werden, heißt es in der aktuellen Vorlage für den Ministerrat. Die Schöffen wollen nun zunächst die Entscheidung des Parlaments abwarten, ehe sie reagieren. „Dann aber könnten wir uns vorstellen, dass wir als Verein oder mit anderen zusammen eine Klage anstrengen“, sagte Gunderlach unserer Zeitung. Auch wenn ehrenamtliche Richter keine juristische Ausbildung hätten, keine Gerichtsverfahren leiteten und aus dem Volk gewählt seien, so seien sie doch als „Richter ohne Roben“ mit gleichem Recht und Gewicht an den Gerichtsentscheidungen beteiligt.

Aktuell sind Gunderlach allerdings keine Fälle bekannt, in denen Richterinnen oder Richter den Wunsch geäußert hätten, ein Kopftuch oder ein anderes Zeichen zu tragen, das eine bestimmte Religion oder Weltanschauung zum Ausdruck bringt. Auch im Stuttgarter Justizministerium heißt es: „Im aktuellen Jahrgang ist niemand an uns herangetreten.“ Allerdings gab es in den vergangenen fünf Jahren insgesamt zehn Rechtsreferendarinnen, die im Rahmen ihrer Ausbildung ein Kopftuch trugen. Da man mit ihnen jedoch vereinbart hatte, dass sie freiwillig darauf verzichten, die Staatsanwaltschaft in Sitzungen vor Gericht zu vertreten, verlor die Sache an Brisanz.

Grün-schwarzer Kompromiss

Das neue Gesetz schreibt die Neutralität nun nicht nur allgemein, sondern mit Blick auf symbolträchtige Kleidungsstücke fest. Es sieht vor, dass bei Wahrnehmung richterlicher oder staatsanwaltlicher Aufgaben „in einer Sitzung oder bei Amtshandlungen außerhalb einer Sitzung, bei denen Beteiligte, Zeugen oder Sachverständige anwesend sind“, keine Symbole oder Kleidungsstücke getragen werden dürfen, „die bei objektiver Betrachtung eine bestimmte religiöse, weltanschauliche oder politische Auffassung zum Ausdruck bringen“. Das könnten auch große Kreuze sein, betont Gunderlach, der den Vorstoß von Justizminister Guido Wolf grundsätzlich gutheißt.

Die grün-schwarze Koalition hatte sich im Winter nach langem Tauziehen auf den Kompromissvorschlag geeinigt, die Schöffen von der Vorschrift auszunehmen. Während Wolf diese ursprünglich auf alle Richter ausdehnen wollte, argumentierte Ministerpräsident Winfried Kretschmann dagegen. „Ich kann mir in keiner Weise vorstellen, dass ein Jude mit einer Kippa die Neutralität des Staates verletzt“, sagte er damals. Wolf akzeptierte den Kompromiss: „Das Entscheidende ist für mich, dass es in Baden-Württemberg keine Richter und Staatsanwälte mit religiösen Symbolen gibt.“