Zwei Monate vor dem großen UN-Klimagipfel in Paris wählt die Staatengemeinschaft einen neuen Chefberater in Sachen Klimaforschung. Sechs Männer bewerben sich um die Nachfolge des langjährigen IPCC-Leiters Rajendra Pachauri.

Stuttgart - Das bekannteste Beratungsgremium für die Politik zum Thema Klimawandel benötigt einen neuen Vorsitzenden. Anfang Oktober entscheidet sich im kroatischen Dubrovnik, welcher Wissenschaftler in Zukunft den UN-Klimarat IPCC leitet. 195 Regierungsdelegierte dürfen darüber abstimmen. Der Rat hält die Regierungen der Welt darüber auf dem Laufenden, was Forscher über die von Menschen verursachten Klimaänderungen, ihre Folgen und mögliche Maßnahmen wissen. So entsteht eine Legitimationsbasis für die Klimapolitik.

 

Die Wahl hat eine ungewöhnliche Vorgeschichte: Ende Februar sah sich der langjährige Vorsitzende Rajendra Pachauri zum Rücktritt gezwungen. Eine Mitarbeiterin seines Instituts in Indien wirft ihm vor, sie sexuell belästigt zu haben. Pachauri muss sich vor Gericht verantworten. Seit dem Rücktritt wird der IPCC vorübergehend von dem sudanesischen Forscher und Beamten Ismail El Gizouli geleitet.

Sechs Kandidaten konkurrieren jetzt um den Vorsitz. Eine so offene Wahl hat es noch nie gegeben. Über den Vorsitzenden entscheiden maximal zwei Wahlgänge: Kommt im ersten Wahlgang keine absolute Mehrheit zustande, folgt eine Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen. Der Sieger darf im Dezember das IPCC auf dem UN-Klimagipfel in Paris vertreten, wo um die Zukunft der globalen Klimapolitik gerungen wird.

Der Wahlkampf währt schon einige Monate

Drei Kandidaten sind Europäer: Der Physiker Thomas Stocker forscht an der Universität Bern. Belgien nominierte den Physiker Jean-Pascal van Ypersele von der Université catholique de Louvain. Montenegro einigte sich mit Österreich auf einen gemeinsamen Kandidaten – den Ökonomen Nebojsa Nakicenovic, Vizedirektor des Internationalen Instituts für angewandte Systemanalyse in Wien. Er ist der einzige Kandidat, der nie zum IPCC-Büro gehört hat. Für die USA tritt Christopher Field an, ein Biologe von der Stanford University. Südkorea schickt den Ökonomen Hoesung Lee von der Korea University in Seoul ins Rennen. Und Sierra Leone hat kurzfristig noch den Ingenieur Ogunlade Davidson nominiert, der zuletzt Energieminister des afrikanischen Landes war.

Abgesehen von Davidson betreiben die Kandidaten seit Monaten Wahlkampf. Sie präsentieren zum Beispiel auf eigenen Internetseiten ihre Vision für den Klimarat und haben zum Teil Imagevideos erstellt. Ideell und logistisch werden sie von den Ländern unterstützt, die sie nominiert haben. Einmal im Amt soll der Vorsitzende aber übernational agieren.

Alle Nominierten haben respektable bis herausragende wissenschaftliche Leistungen vorzuweisen. Kritik hat hervorgerufen, dass keine Frau zur Wahl steht. Mehrere Kandidaten wollen mehr Forscher aus Entwicklungs- und Schwellenländern an den Klimaberichten beteiligen. Auch sonst ähneln sich die Visionen. So liest man bei fast jedem, dass die Relevanz der Klimaberichte für die Politik erhöht und die Kommunikation verbessert werden soll.

Ein wissenschaftliches Amt, kein politisches

Welche Faktoren bei der Wahl den Ausschlag geben, ist unklar. Von den strategischen Erwägungen ihrer Regierungen einmal abgesehen könnten die Delegierten etwa eine Präferenz in der Frage haben, ob sie einem Ökonomen oder einem Naturwissenschaftler den Vorzug geben wollen. Aber vielleicht ist diese Frage auch irrelevant. Das meint etwa der Umweltökonom Robert Stavins von der Harvard University – einer der maßgeblichen Autoren des letzten Klimaberichts.

Stavins hält die Charaktereigenschaften des IPCC-Vorsitzenden für wichtiger als dessen Fachgebiet. Von dem neuen Leiter wünscht er sich eine „Kombination gesunden Urteilsvermögens mit der Fähigkeit zum Management“. Im Auftreten unterscheiden sich die Kandidaten gewiss. Field und Stocker zum Beispiel strahlen Bedächtigkeit aus, während van Ypersele als lebhafter Kommunikator auffällt, der rege den Kurznachrichtendienst Twitter nutzt. Der Leiter dürfe die „Tribüne“ seines Amtes nicht missbrauchen, so Stavins – schließlich führe er ein wissenschaftliches Unternehmen, kein politisches. Am wichtigsten sei es, dass der neue Vorsitzende die Tür zu Reformen des Gremiums öffne.

Eine Reform ist schon erfolgt: Erstmals mussten die Kandidaten in einem Fragebogen Interessen finanzieller oder beruflicher Natur ausschließen, die ihre Objektivität gefährden könnten. Diese Eigendeklaration ist nach einer externen Begutachtung des IPCC vor fünf Jahren eingeführt worden und soll die Unabhängigkeit des Vorsitzenden garantieren.