Bis 2020 will Europa 20 Prozent weniger Energie verbrauchen. So hat es die „Klimakanzlerin“ Merkel einst durchgesetzt. Jetzt kommt der Widerstand auch aus Berlin.

Brüssel - Freunde werden EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) und Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) wohl nicht mehr. Zumindest ist ihr Verhältnis am 22. Juni vergangenen Jahres nachhaltig gestört worden: Als der Schwabe in Brüssel seinen Gesetzesvorschlag für mehr Energieeffizienz vorstellte, gab der Liberale fast zeitgleich eine Pressemitteilung heraus, die auch unter deutschen EU-Diplomaten als grobes Foulspiel gegenüber dem eigenen Kommissar gewertet wurde. Oettingers Vorschläge „lehne ich ab“, hieß es darin, es dürfe keine „Maßnahmen mit planwirtschaftlichen Zügen“ geben. Da half es auch nicht, dass die Mitteilung schnell von der Internetseite seines Ministeriums gelöscht wurde.

 

Der Streit ums Energiesparen tobt nicht nur zwischen Brüssel und Berlin, sondern auch zwischen Bundeswirtschaftsministerium und dem von Norbert Röttgen (CDU) geleiteten Umweltressort. Röttgen unterstützt Parteifreund Oettinger, während Rösler beim Nein zu dessen Plänen bleibt. Im Ergebnis gehört Deutschland zu drei von 27 Staaten, die sich offiziell noch nicht positioniert haben – das soll Diplomaten zufolge auch beim EU-Ministerrat am Dienstag in Brüssel so bleiben. Dabei kommt es – da sich 16 Staaten positiv zu Oettingers Plänen äußerten, acht kritisch – noch mehr als sonst auf die Bundesregierung an.

Entsprechend gereizt reagiert der deutsche EU-Kommissar auf die fehlende Unterstützung aus der Heimat: „Die Effizienz war eine Idee der deutschen Ratspräsidentschaft – und dann kam nichts nach.“ Wer beim Energiesparen nicht ernst mache, habe „das Recht zur Sonntagsrede verwirkt“.

Der Streit tobt auch zwischen Röttgen und Rösler

Die Prognosen sind schlecht

Es geht um die „20-20-20“-Formel für das Jahr 2020. Bis dahin soll die EU – so hatten es die Staats- und Regierungschefs 2007 unter Vorsitz der später „Klimakanzlerin“ getauften Angela Merkel beschlossen – 20 Prozent weniger Kohlendioxid in die Luft blasen als im Vergleichsjahr 1990, 20 Prozent des Energiebedarfs aus erneuerbaren Quellen decken und zugleich 20 Prozent weniger Energie verbrauchen. Doch nur die ersten beiden Ziele wurden bisher in Gesetzestexte gegossen.

Entsprechend schlecht sind die Zahlen. Laut EU-Kommission werden die Europäer 2020 insgesamt 1678 Millionen Tonnen Öleinheiten Energie verbrauchen – nur neun Prozent weniger als im Referenzjahr 2005.

Oettingers Gesetz soll für die restlichen Sparprozente sorgen

Oettingers Gesetzespaket soll nun für die restlichen Sparprozente sorgen – doch haben die Mitgliedstaaten es in den ersten Verhandlungen schon verwässert. Der Ursprungsvorschlag sah vor, die öffentliche Hand zu verpflichten, in ihrem Besitz befindliche Gebäude schneller energetisch zu sanieren. Statt wie bisher 1,5 Prozent im Jahr sollten drei Prozent vorgeschrieben sein. Im aktuellen Textentwurf gilt dies nur für die Zentralregierung – nicht für Länder und Kommunen.

Vorbild sollen staatliche Stellen auch beim Einkauf sein. Wo immer Energiesparklassen existieren, sollte es die höchste sein, hieß es im Kommissionsentwurf, der nun mit Einschränkungen versehen ist. Die vorgesehene Verpflichtung von Energieversorgern, Kunden mit intelligenten Stromzählern und monatlichen Abrechnungen zu versorgen, ist ebenfalls zur Kann-Bestimmung geworden. Weiterhin unangetastet ist eine Vorgabe für die Wirtschaft, bei neuen Kraftwerken oder großen Industrieanlagen entstehende Wärme besser zu nutzen.

Größter Knackpunkt, der den FDP-Mann Rösler von der Planwirtschaft reden lässt, aber ist Artikel 6 – weil er angeblich den Energieversorgern vorschreibt, weniger Energie zu verkaufen. Geplant ist, dass EnBW, Eon, Vattenfall oder RWE ihren Kunden Energiesparmaßnahmen wie Doppel-Glasfenster oder Hausdämmungen finanzieren, um einen jährlichen Verbrauchsrückgang in Höhe von 1,5 Prozent zu erzielen – und dafür höhere Preise pro Kilowattstunde berechnen könnten. Dass so die Verkaufsmenge eines Energieunternehmens nach oben begrenzt wird, wie Kritiker schimpfen, ist falsch. „Die Richtlinie“, sagt ein Kommissionsmitarbeiter, „enthält nichts, was mehr Umsatz verhindert“. Die Idee dahinter, die in Dänemark, Großbritannien, Italien, Frankreich und Belgien bereits praktiziert wird, ist vielmehr Wettbewerb: Wer das bessere Energiesparprogramm anbietet, gewinnt Kunden – und kann mehr Energie verkaufen. „Das ist nichts Sozialistisches“, sagt der Brüsseler Energieexperte.

Wirtschaftsminister Rösler spricht von Planwirtschaft

Die Aufregung ist auch deswegen unverständlich, weil Oettingers Vorschlag vielen anfangs eher zu unambitioniert war. So kritisierte der Grünen-Abgeordnete Claude Turmes aus Luxemburg, der Berichterstatter des Europaparlaments, Oettingers Verzicht auf verbindliche Ziele zeige, „dass er an der Leine der Lobbys geführt wird“. Es sei ein „Fehler“, den Mitgliedstaaten das Erreichen des 20- Prozent-Zieles zu überlassen.

Tatsächlich räumt der Vorschlag aus dem Hause Oettinger den Staaten die Möglichkeit ein, das 1,5-Prozent-Ziel auf alternativem Wege zu erreichen. Dann wären kaum Zusatzanstrengungen nötig: Die Energieeinsparung in Deutschland zwischen 1990 und 2010 betrug bereits 1,8 Prozent im Jahr, wie die Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen errechnete. Das Energiekonzept der Bundesregierung sieht daher mindestens zwei Prozent vor, um das langfristige Ziel einer fast CO2-freien Wirtschaft zu erreichen.

Eine erneute Überprüfung steht erst 2014 an

Zweifel gibt es auch in der EU-Kommission selbst. Sollte der verwässerte Entwurf angenommen und in den anschließenden Verhandlungen mit dem Europaparlament nicht verschärft werden, „verfehlen wir das Ziel“, sagt der Kommissionsmitarbeiter. Eine erneute Überprüfung, ob nicht doch verbindliche Einsparziele für jedes Land festgelegt werden müssen, hat Günther Oettinger aber erst für 2014 angekündigt.